Istanbul: 777. Mahnwache der Samstagsmütter

Die Initiative der Samstagsmütter ist zum 777. Mal in Istanbul zusammengekommen, um gegen die staatliche Praxis des „Verschwindenlassens” zu demonstrieren. Die heutige Aktion wurde Rıdvan Karakoç gewidmet.

Seit 25 Jahren fordern die „Samstagsmütter“ in Istanbul Aufklärung über ihre in der Türkei verschwundenen Angehörigen. Die am längsten andauernde Aktion zivilen Ungehorsams in der Türkei begann am 27. Mai 1995 mit der Sitzaktion der Familie und der Rechtsvertreter des durch Folter ermordeten Lehrers Hasan Ocak auf dem Galatasaray-Platz. Der Familie von Hasan Ocak schloss sich dann die Familie von Rıdvan Karakoç an. Sein Schicksal war auch das Thema der heutigen Kundgebung, die wieder in einer kleinen Seitenstraße vor der Istanbuler Zweigstelle des Menschenrechtsvereins IHD abgehalten werden musste. Seit dem Sommer 2018 wird der angestammte Platz vor dem Galatasaray-Gymnasium im Stadtteil Beyoğlu wöchentlich von der Polizei abgeriegelt.

Rıdvan Karakoç verschwand im Februar 1995, nachdem er zur Polizei gebracht worden war. Sein Tod kam nur durch Zufall ans Licht: die Angehörigen von Hasan Ocak waren gerade bei der Staatsanwaltschaft Beykoz, als sie ein Foto des von Folter erstellten Körpers des Vermissten sahen. Später kam heraus, dass der Leichnam von Rıdvan Karakoç bis zum 26. März 1995 in der Gerichtsmedizin aufbewahrt und später auf einem Friedhof für Unbekannte begraben wurde. Am 2. Juli 1995 wurde das Grab geöffnet. Die Autopsie ergab, dass er durch einen Strick um den Hals erdrosselt worden war und Verbrennungen aufwies – dasselbe Schicksal hatte auch Hasan Ocak erleiden müssen.

Die genaue Zahl der „Verschwundenen“ in der Türkei ist nicht bekannt, sie wird mit Tausenden angegeben. Doch die Tode von Hasan Ocak und Rıdvan Karakoç waren die ersten beiden, die in Erfahrung gebracht werden konnten.

Wie die „Mütter des Platzes der Mairevolution“ in Argentinien haben auch die Samstagsmütter mehrere Forderungen: Sie wollen wissen, was dem Opfer widerfahren ist, und sie wollen ihre Angehörigen zurück – tot oder lebendig. Mit dieser Forderung wird versucht, diese Menschenrechtsverletzungen im kollektiven Gedächtnis lebendig zu halten. Die zweite Forderung betrifft die Feststellung der Täter und die strafrechtliche Ahndung des Verbrechens.

Die Verweigerung des Vergessens durch die Samstagsmütter ist nicht auf Istanbul begrenzt, sondern hat sich auch auf kurdische Städte mit den höchsten „Verschwundenen-Raten“ ausgebreitet. In Metropolen wie Amed (Diyarbakir), Êlih (Batman) und Şirnex (Şırnak) finden ebenfalls wöchentliche Mahnwachen statt.