Zum 776. Mal hat die Initiative der Istanbuler Samstagsmütter mit einer Kundgebung gegen die Praxis des „Verschwindenlassens“ in staatlichem Gewahrsam protestiert und eine Bestrafung der Täter gefordert. Der angestammte Kundgebungsort auf dem Galatasaray-Platz in der belebten Fußgängerzone wurde von der Polizei gewohnheitsmäßig vorzeitig gesperrt. Ihre Forderungen konnten die Samstagsmütter nur in einer Seitenstraße vor der Istanbuler Zweigstelle des Menschenrechtsvereins IHD vortragen. Sie wurden dabei von den HDP-Abgeordneten Filiz Kerestecioğlu, Oya Ersoy und Musa Piroğlu, dem ehemaligen HDP-Abgeordneten Ferhat Encü, dem CHP-Abgeordneten Sezgin Tanrıkulu, der Schauspielerin Nur Sürer und zahlreichen weiteren Menschen unterstützt.
Thema der heutigen Aktion war Maskut Tepeli, der vor 36 Jahren verschwunden ist. Der Leichnam des damals 28-jährigen Lehrers wurde niemals aufgefunden. Er war Mitglied des Lehrerverbands TÖB-DER und wurde am 4. Februar 1980 verhaftet. Nach vier Monaten wurde er aus dem Gefängnis entlassen und zog nach Istanbul. Am 2. Februar 1984 befand er sich auf dem Weg zur Wohnung eines Freundes im Istanbuler Stadtteil Küçükbakkalköy. Als er feststellte, dass die Tür aufgebrochen war, versuchte er zu flüchten und wurde von Polizisten, die in der Wohnung gewartet hatten, angeschossen. Trotz hohem Blutverlust wurde er in eine Decke gewickelt zur politischen Polizei in Gayrettepe gebracht. Nach Angaben von drei ebenfalls festgenommenen Zeugen wurde er von der Polizei so stark gefoltert, dass er am 5. Februar 1984 ins Koma fiel und ins Militärkrankenhaus Haydarpaşa eingeliefert wurde. Seitdem ist er verschwunden. Die Behörden verleugneten, dass Tepeli jemals festgenommen wurde. Jahre später erfuhren die Angehörigen, dass er am 6. Februar 1984 im Krankenhaus verstorben ist und auf dem Friedhof Helvacıdede anonym begraben wurde. Der genaue Ort des Grabes ist unbekannt. Ein gerichtliches Verfahren gegen die an der Festnahme und dem Verhör beteiligten Polizisten Rahmi Kaya, Servet Bozkurt, Hasip Dönmez, Zafer Elemen, Şeyhmuz Altın, İlhami Öztürk und Hikmet Taşdelen hat nicht stattgefunden. Nachdem alle rechtlichen Möglichkeiten in der Türkei ausgeschöpft waren, haben Anwälte den Fall 2017 vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gebracht.