Ocak: „Ein Tag, den wir ihnen niemals vergeben werden können"

Emine Ocak gilt als ein Symbol der Samstagsmütter. Auch sie verlangt nach der Aufklärung des Schicksals ihres Sohnes. Am vergangenen Samstag wurde sie in Istanbul selbst Opfer von Polizeigewalt.

Am 21. März 1995 hat man ihren Sohn Hasan Ocak „verschwinden lassen". Seitdem ist sie jeden Samstag am Galatasaray-Platz in Istanbul. Hasans Leichnam tauchte am 15. Mai desselben Jahres auf einem Istanbuler Friedhof auf. Der erst 30-Jährige starb durch Foltereinwirkung. Bis zum Fund des Leichnams ihres Sohnes gab es keine staatliche Tür, an der die Familie Ocak, die ursprünglich aus Dersim stammt, nicht angeklopft hätte. Die Fragen der Familie wurde von der Polizei mit Gewalt und Festnahmen beantwortet.

Doch Emine Ocak fragt weiter danach, was zwischen dem 21. März und dem 15. Mai 1995 mit ihrem Sohn passiert ist. Vor allem fordert sie Gerechtigkeit und dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Am vergangenen Samstag beteiligte sie sich deshalb an der 700. Kundgebung der Samstagsmütter in Istanbul. Und wieder wurde sie zum Opfer von Polizeigewalt, weil sie Antworten vom Staat forderte. Mit dem Bild ihrer Festnahme wurde Emine Ocak allerdings auch zum weltweiten Symbol der Samstagsmütter und der Gewalt, mit welcher der türkische Staat Müttern begegnet, die nach dem Schicksal ihrer „verschwundenen" Kinder fragen.

Der schwerste je stattgefundene Angriff auf die Samstagsmütter

Die heute 82-jährige Emine Ocak wurde vor 22 Jahren schon einmal bei der Aktion der Samstagsmütter festgenommen. Ihre Tochter Maside Ocak, die ebenfalls am Samstag auf dem Galatasaray-Platz festgenommen wurde, spricht allerdings davon, dass am vergangenen Samstag der bisher schwerwiegendste Polizeiangriff auf die Aktion stattgefunden habe.

Maside Ocak berichtet, dass zu Beginn der 700. Mahnwache der Samstagsmütter die Polizei mündlich mitgeteilt habe, dass ihre Kundgebung für verboten erklärt worden sei. Einen schriftlichen Nachweis hierüber habe es allerdings nicht gegeben. „Wir wollten daraufhin unsere Mütter von dem Platz weg begleiten, damit ihnen nichts geschieht. Doch sie machten uns klar, dass sie nicht gewillt seien, die Mahnwache aufzulösen. Als wir dann erneut mit den Verantwortlichen sprechen wollten, hatte die Polizei uns bereits umzingelt. Die Mütter kamen uns zur Seite und da begann die Polizei bereits, uns alle herumzuschubsen", berichtet die Tochter von Emine Ocak.

Besonders die Festnahme ihrer Mutter habe ihr weh getan, berichtet Maside Ocak: „Sie haben sie geschubst und geschlagen. Als wir später entlassen wurden, hatte sie überall blaue Flecken am Körper. Aber auch mein Neffe, der auf dem Platz war, erfuhr grausame Polizeigewalt. Er hatte Wunden an der Nase und am Hals."

Am Ende seien mit ihr gemeinsam drei Generationen der Familie Ocak gleichzeitig festgenommen worden. Zwischen 10 und 18 Uhr seien sie mit anderen Festgenommenen in Handschellen in einem Polizeifahrzeug festgehalten worden. Erst als sie zur Gesundheitskontrolle ins Krankenhaus gebracht wurden, seien die Handschellen gelöst worden.

Die gesamte Welt hat gesehen, wozu dieser Staat fähig ist

Maside Ocak erklärt, dass der türkische Innenminister Soylu für die Geschehnisse am vergangenen Samstag in Istanbul verantwortlich ist und dazu Stellung nehmen muss. „Wir wollten an diesem Tag der Sehnsucht nach unseren Vermissten Ausdruck verleihen. Wir wollten unsere Forderung nach Gerechtigkeit, die wir seit 700 Wochen auf die Straße tragen, erneuern. Doch sie haben nicht nur uns angegriffen. Sie haben auch die Menschen, die uns unterstützen wollten, mit Gummigeschossen und Gasgranaten angegriffen. Einer Freundin von uns, die sie festgenommen hatten, haben sie die Finger gebrochen. Sie haben an diesem 25. August ein Verbrechen an der Menschlichkeit begangen. Die ganze Welt hat gesehen, wozu dieser Staat fähig ist. Sie hat gesehen, dass die Grausamkeiten dieses Staates selbst die 90er Jahre verblassen lassen. Sie haben uns einen Tag erleben lassen, den wir ihnen niemals vergeben werden können", so Ocak.