Der Widerstand im Flüchtlingslager Mexmûr in Südkurdistan hat die irakische Regierung zu Verhandlungen gezwungen. Eine vom Demokratischen Volksrat des selbstverwalteten Camps entsandte Abordnung hat sich am Montagabend zu Gesprächen mit Vertretern der irakischen Streitkräfte getroffen, bestätigte Filiz Budak als Ko-Vorsitzende des Gremiums. „Wir haben unsere Bedenken und Forderungen dargelegt. Dabei wurde unmissverständlich betont, dass eine Militarisierung des Lagers nicht in Frage kommt“, so Budak. Teilweise seien die Forderungen aber noch streitig.
Am frühen Samstagsmorgen waren Vertreter des irakischen Innen- und Verteidigungsministeriums ohne vorherige Ankündigung in Mexmûr eingetroffen, um das Lager mit Stacheldraht einzäunen zu lassen. Die Beamten wurden von Militärs und Polizei, darunter auch Spezialeinheiten, begleitet. Die Sicherheitskräfte rückten mit Dutzenden Panzerfahrzeugen an, um die Anordnung Bagdads durchzusetzen. Dazu gehört neben einer Umzäunung auch die Stationierung von irakischen Polizei- und Militäreinheiten, die Schließung aller Ein- und Ausgänge bis auf den Hauptzugang, die Installierung von militärischen Betonbarrieren auf dem Zufahrtsweg und die Aufstellung von Beobachtungstürmen.
Filiz Budak (mit Mikrofon) verkündet am Abend in Mexmûr den Ausgang der bisherigen Gespräche mit der irakischen Armee
Die Menschen im Lager wehren sich gegen den Versuch, ihren Lebensraum in ein Gefängnis zu verwandeln. Seit Beginn der Belagerung finden unentwegt Proteste und nächtliche Mahnwachen statt, irakische Sicherheitskräfte reagierten teils mit Gewalt. Am Wochenende waren zwei Bewohner verletzt worden, einer davon durch einen Schusswaffeneinsatz. Am Montag wurden schwere Baumaschinen nach Camp Mexmûr geschickt, um Löcher für Zaunpfosten auszuheben.
Eigenkraft des Volkes drängt Staat ins Verhandlungsfeld
„Seit drei Tagen kämpfen wir gemeinsam für den Erhalt unseres kollektiven Zuhauses. Es steht außer Frage, dass es die Eigenkraft unseres Volkes ist, die den Staat ins Verhandlungsfeld gedrängt hat“, erklärte Budak. Niemand solle dem Irrsinn verfallen, dass die Macht von Regierungen und Staaten größer ist als die Macht des Volkes, äußerte die Volksratsvorsitzende selbstsicher. „Das Volk mag keine Panzer und Kanonen haben, aber es hat den Willen und die Organisationsstärke, sie zu stoppen.“
Begonnene Einzäunung soll abgebrochen werden
Bereits unmittelbar nach Beginn der Belagerung in Mexmûr lehnte der Irak Gesprächsangebote des Volksrats kategorisch ab. „Dabei sind Dialog und Verhandlungen der einzige Weg, Konflikte zu beenden“, mahnte Budak. Bei dem Gespräch mit der irakischen Armee konnte laut Budak erwirkt werden, dass die begonnene Einzäunung des Lagers bis auf Weiteres abgebrochen wird. „Alle weiteren Forderungen könnten nur über die Zentralregierung in Bagdad befriedigt werden. Wir streben weiterhin eine vollständige Aufgabe des Vorhabens an, Mexmûr zu militarisieren. Nach Übermittlung unserer Wünsche wird es vermutlich am Dienstag ein weiteres Gespräch mit Regierungsbeamten geben. Bis dahin werden wir unsere Wache fortsetzen“, so Budak.
Größte kurdische Flüchtlingsgemeinschaft weltweit
In Mexmûr, das sich südwestlich von Hewlêr (Erbil) in einem zwischen der südkurdischen Regionalregierung und der irakischen Führung in Bagdad umstrittenen Gebiet befindet, leben etwa zwölftausend Menschen. Ein Großteil der Bevölkerung wurde in den 1990er Jahren im Zuge der antikurdischen „Aufstandsbekämpfung“ und der sogenannten Politik der verbrannten Erde – unter dem Vorwand, die PKK zu bekämpfen, wurden damals etwa 3.000 Dörfer entvölkert oder niedergebrannt – vom türkischen Staat vertrieben. Nach einer mehrjährigen Odyssee und Aufenthalten in verschiedenen Camps haben die Menschen 1998 am Rand der Wüste das Lager Mexmûr gegründet. Die Campbevölkerung bildet damit die größte kurdische Flüchtlingsgemeinschaft weltweit, ist jedoch bis heute mit Schwierigkeiten konfrontiert.
Offiziell unter UN-Schutz
Offiziell steht Mexmûr unter dem Schutz und der Kontrolle des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR), praktisch ist die Organisation allerdings nur noch nominell präsent. Sie verließ das Lager bei den Angriffen der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) im Jahr 2014 und kehrte danach nicht mehr zurück. Seit 2019 ist das Lager einem Embargo der von der Barzanî-Partei PDK dominierten Regionalregierung ausgesetzt, zusätzlich zu existenzbedrohenden Angriffen der Türkei und des IS. Ankara kriminalisiert das Lager als „Brutstätte“ der kurdischen Arbeiterpartei PKK und droht immer wieder damit, es zu „säubern“. In der Vergangenheit kam es wiederholt zu türkischen Luftangriffen auf Mexmûr, zuletzt im vergangenen August. Dabei wurde ein sechsfacher Familienvater von einer Drohne getötet.