Ein Interview mit der indischen Forscherin Anuradha Jangra
An der Kurdistan-Universität in Hewlêr (Erbil) hat im April die 4. Konferenz für Kurdische Studien stattgefunden. Die indische Forscherin Anuradha Jangra, Doktorandin im Centre for West Asian Studies an der Jawaharlal Nehru University (JNU) in New Delhi, sprach dabei über die grenzüberschreitende Wasserpolitik im Nahen Osten. Im Interview mit ANF erläutert die Wissenschaftlerin die rechtlichen, politischen und ökologischen Dynamiken zwischen der Türkei, dem Irak und Iran – und was diese für die Bevölkerung in der Kurdistan-Region des Irak (KRI) bedeuten.
Frau Jangra, Sie haben in Ihrem Vortrag bei der Konferenz für kurdische Studien die Wasserpolitik der Türkei und Irans thematisiert. Wie ist diese Politik ausgestaltet und auf welcher Grundlage funktioniert sie?
Ich beschäftige mich mit der Wasserpolitik des Irak als einer föderalen Fragestellung, mit besonderem Fokus auf die Autonome Kurdistan-Region. Geografisch betrachtet liegt diese Region flussaufwärts gegenüber Bagdad, aber flussabwärts gegenüber der Türkei und Iran. Im Mittelpunkt meiner Forschung stehen die Wasserläufe des Tigris und seiner Zuflüsse, die größtenteils in der Türkei und in Iran entspringen, durch die Region Kurdistan fließen und anschließend den Rest des Irak versorgen. Während Erdöl zwischen Hewlêr und Bagdad weiterhin Gegenstand von Kontroversen ist, untersuche ich, ob Wasser eine potenzielle Kooperationsressource zwischen beiden Ebenen darstellen kann.
Gemäß der irakischen Verfassung ist die Zentralregierung in Bagdad für die Verhandlungen über grenzüberschreitende Wasserläufe zuständig. Meine Forschung analysiert, wie sowohl Hewlêr als auch Bagdad auf die zunehmenden Wasserkrisen reagieren und in welchem Maße ihre Beziehungen zu den Anrainerstaaten diese Bewältigungsstrategien beeinflussen. Ich befinde mich derzeit in der zweiten Phase meiner Dissertation, die sich auf technische Aspekte und hydrologische Daten konzentriert. Eine der größten Herausforderungen ist der Mangel an verlässlichen Daten. Auch wenn grenzüberschreitende Wasserpolitik nicht das primäre Thema meiner Arbeit ist, bleibt sie angesichts der Einflüsse aus der Türkei und dem Iran von zentraler Bedeutung.
Welche Unterschiede haben Sie in der Wasserpolitik der Türkei und Irans festgestellt?
Die Türkei beruft sich auf das Prinzip der absoluten staatlichen Souveränität über ihre Wasserressourcen. Sie betrachtet die in ihrem Staatsgebiet entspringenden Flüsse als nationale Gewässer und beansprucht das alleinige Verfügungsrecht. Zwar erkennt die Türkei das Prinzip des „gerechten und angemessenen Gebrauchs“ an, stellt jedoch stets nationale Interessen in den Vordergrund. Multilaterale Verhandlungsrahmen werden gemieden, bilaterale Formate bevorzugt. So verhandelt Ankara separat mit Syrien und dem Irak. Obwohl 1946 ein bilaterales Abkommen mit dem Irak geschlossen wurde, trat es nie in Kraft. Seitdem hat das ambitionierte Südostanatolien-Staudammprojekt (GAP) die Spannungen weiter verschärft. Die Türkei klassifiziert die betroffenen Flüsse als „grenzüberschreitend“, nicht als „international“, und lehnt eine gemeinsame Verwaltung ab.
Dennoch hat sich die Türkei in den Jahren 2009, 2014, 2020 und zuletzt 2024 über sogenannte Memoranden grundsätzlich offen für Gespräche zur Wasserverteilung gezeigt. Die Autonome Region Kurdistan war an diesen Prozessen häufig beteiligt.
Im Gegensatz dazu zeigt sich Iran deutlich weniger offen für Verhandlungen. Der Bau von Tunneln und Staudämmen zur Umleitung von Flüssen in zentraliranische Regionen setzt sich fort. Diese Maßnahmen haben erhebliche Auswirkungen auf die unterhalb gelegenen Regionen. Der iranische Ansatz ist unilateral ausgerichtet, es gibt kaum Hinweise auf formelle bilaterale Verhandlungen mit dem Irak.
Welche Auswirkungen haben diese Politiken auf die Bevölkerung der Autonomen Region Kurdistan?
Im Fall der Türkei ist es schwierig, belastbare Daten über die Auswirkungen neuer Staudämme auf den Tigris zu erhalten, da viele Studien eher prospektiv als empirisch sind. Für den Iran hingegen liegen deutlich mehr dokumentierte Hinweise vor.
So zeigen etwa die beiden aus Iran kommenden Flüsse Şirvan und der Kleine Zab seit 2017 in den Sommermonaten ein deutlich reduziertes Abflussverhalten. Insbesondere für die Region Silêmanî konnte ich Daten zusammentragen, die eine kontinuierliche Abnahme der Durchflussmenge zwischen Juni und August dokumentieren. Eine Studie aus dem Jahr 2017 nennt einen Rückgang auf unter 50 Kubikmeter pro Sekunde, vergleichbare Entwicklungen traten in den Jahren 2018, 2020, 2021 und 2022 auf.
Diese Wasserknappheit beeinträchtigt unter anderem die Fischerei, eine wichtige lokale Einkommensquelle. Berichte weisen auf großflächiges Fischsterben aufgrund niedriger Wasserstände hin. Die Hauptstadt Hewlêr ist in erheblichem Maße auf den Großen Zab angewiesen, der bislang nicht aufgestaut wurde – doch existieren Planungen in diese Richtung, was künftig zu einer erheblichen Bedrohung der regionalen Wassersicherheit führen könnte.
Zwischen der Türkei und Syrien existiert ein Abkommen aus dem Jahr 1987, das die Freigabe von 500 m³/s Wasser vorsieht. Gibt es ein vergleichbares Abkommen zwischen der Türkei und dem Irak in Bezug auf den Tigris?
Dieser Aspekt ist Gegenstand des aktuellen Kapitels meiner Dissertation. Es existieren Berichte, wonach die Türkei dem Irak bestimmte Wassermengen zusichert, jedoch lassen sich kaum konsistente Angaben zu konkreten Volumina finden. Ich bin weiterhin dabei, verschiedene Quellen zu prüfen, da viele keine exakten Zahlen nennen.
Wie sollte Wasser aus völkerrechtlicher Sicht gerecht verteilt werden?
Dies ist eine der komplexesten Fragen der internationalen Wasserpolitik. Viel hängt von der juristischen Klassifikation der betroffenen Wasserläufe ab. Die UN-Konvention über die nicht-schifffahrtsmäßige Nutzung internationaler Wasserläufe von 1997 versucht, Standards für eine faire Nutzung zu definieren. Die Türkei stimmte gegen die Konvention; der Irak hat sie zwar prinzipiell akzeptiert, jedoch nicht unterzeichnet – was mich zu der Frage führt, wie „Anerkennung“ völkerrechtlich überhaupt zu verstehen ist.
Erst kürzlich trat der Irak einer weiteren internationalen Übereinkunft bei; die Türkei ist jedoch auch dort kein Vertragsstaat. Ankara hält weiterhin an der Position fest, dass es sich bei Euphrat und Tigris nicht um „internationale“, sondern lediglich um „grenzüberschreitende“ Flüsse handle, was die Anwendbarkeit internationaler Mechanismen beschränke. Daraus folgt auch die türkische Präferenz für bilaterale gegenüber multilateralen Steuerungsmodellen.