KCK ruft Bagdad zum Dialog mit Camp Mexmûr auf

Im Konflikt zwischen der irakischen Regierung und dem kurdischen Flüchtlingslager Mexmûr müsse gesunder Menschenverstand eingesetzt werden statt Militärgewalt, fordert die KCK. Nur im Dialog ließen sich Probleme friedlich lösen.

Die Belagerung des Flüchtlingslagers Mexmûr im südlichen Kurdistan durch die irakische Polizei und das Militär dauert an. Die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) zeigt sich besorgt angesichts der Spannungen und fordert die Regierung in Bagdad auf, die Blockade zu beenden. Statt auf Militärgewalt und Zwangsmaßnahmen, müsse der Irak auf Dialog setzen, um etwaige Probleme zu lösen. „Die Bevölkerung von Mexmûr sucht nicht den Konflikt mit dem irakischen Staat. Umgekehrt sehen wir keine Problematik, die in Bagdad eine andere Art der Intervention mit einer Flüchtlingsgemeinschaft als das Gespräch erfordern würde“, heißt es in einer Stellungnahme des Ko-Vorsitzes der KCK.

Die irakische Armee will Camp Mexmûr einzäunen und dauerhaft belagern. Seit Samstagfrüh ist das Lager von Polizei- und Militärkräften faktisch besetzt, es finden Proteste gegen die geplante Militarisierung statt. Die Bevölkerung in dem selbstverwalteten Geflüchtetenlager leistet Widerstand, ein junger Bewohner wurde sogar angeschossen. Zu den Hintergründen der unvermittelten Aggression geht man in Mexmûr davon aus, dass Erpressungsversuche des türkischen Staates hinter der Maßnahme stehen. Es wird vermutet, dass die Türkei erneut Wasser als Druckmittel einsetzt. Der Irak leidet seit Jahren unter einer verheerenden Dürre und die Bewohner:innen nehmen an, dass Ankara die Zerschlagung von Camp Mexmûr zur Voraussetzung für die Aufhebung der Wasserblockade der Flüsse Euphrat und Tigris macht.

Türkei kriminalisiert kurdische Geflüchtete

Seit 1998 steht das Camp Mexmûr offiziell unter dem Schutz und der Kontrolle des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR), die Menschen dort haben die Flüchtlingseigenschaft inne. Die türkische Führung bezeichnet das Lager jedoch als „Brutstätte“ der kurdischen Arbeiterpartei PKK und droht immer wieder damit, es zu „säubern“. In der Vergangenheit kam es wiederholt zu türkischen Luftangriffen auf Mexmûr, zuletzt im vergangenen August. Dabei wurde ein sechsfacher Familienvater von einer Drohne getötet. | Foto: Irakische Armeeangehörige am ersten Tag der Belagerung, 20. Mai 2023 | ANF


Vorwurf: Bagdad und UN sprechen sich von Verantwortung frei

„Entgegen den Behauptungen des türkischen Staates handelt es sich bei Camp Mexmûr um ein ziviles Lager, die dortigen Flüchtlinge genießen den spezifischen Schutz der UN-Flüchtlingskonvention“, betont die KCK. Insofern trage auch der irakische Staat als Mitglied der Vereinten Nationen eine Verantwortung gegenüber dem Lager. Er habe die Sicherheit von Leben und Eigentum der Flüchtlinge zu gewährleisten und sie bei grundlegenden humanitären Fragen zu unterstützen. Die KCK erkennt zwar an, dass Bagdad seinen Pflichten gegenüber Camp Mexmûr bisher fast immer nachgekommen sei – „wenn auch nur auf einem minimalen Niveau“ –, moniert allerdings, dass sich sowohl der Irak als auch die UN in den vergangenen Jahren aufgrund zunehmenden Drucks aus Ankara immer häufiger von ihrer Verantwortung freisprechen würden.

Nicht dem Druck aus der Türkei nachgeben

Weiter erklärt die KCK: „Obwohl das Flüchtlingslager Mexmûr unter UNHCR-Schutz steht, erkennt die UN-Vertretung im Irak ihre Verantwortung nicht an und bezieht keinerlei Stellung gegen Angriffe der Türkei. Durch diese Angriffe sind bisher Dutzende von Menschen aus dem Lager getötet und verletzt worden. Indem die UN-Vertretung im Irak nicht dagegen vorgeht, vernachlässigt sie nicht nur ihre Pflicht, sondern legitimiert die Angriffe des türkischen Staates. Andererseits unterstützt der Irak mit seiner jüngsten Haltung geradezu den Plan des türkischen Staates, das Flüchtlingslager Mexmûr zu beseitigen. Dabei sollte der Irak sein Verhalten überdenken und Pflichten entsprechend seiner Verantwortung als Staat erfüllen, statt dem Druck aus der Türkei nachzugeben. Die haltlose Behauptung, Camp Mexmûr sei ein Militärlager, in dem militärische Aktivitäten durchgeführt würden, ist eine Charakterisierung des türkischen Staates und entspricht nicht der Realität. Mit solchen unwahren Verlautbarungen verfolgt Ankara die Strategie, Angriffe auf Mexmûr zu rechtfertigen und zu legitimieren.“

Irakische Polizisten blockieren am vergangenen Samstag die Hauptstraße in Mexmûr | ANF

Organisationen sollen auf UN einwirken

Die KCK besteht auf die Aufnahme eines Dialogs. Die Regierung in Bagdad müsse Gespräche mit der Lagergemeinschaft Mexmûrs in Betracht ziehen, um mögliche Probleme aus dem Weg zu räumen und Spannungen abzubauen. An internationale Organisationen appelliert der kurdische Dachverband, auf die UN einzuwirken, ihre Verantwortlichkeit wahrzunehmen, und den irakischen Staat aufzufordern, anzuerkennen, dass die Konflikte von Ankara geschürt würden und die Bereitschaft zu zeigen, in einen Dialog mit Mexmûr zu treten. Von der Gesellschaft und den demokratischen Kräften Kurdistans fordert die KCK, „den rechtmäßigen Widerstand des patriotischen Volkes von Mexmûr ohne jegliche Provokation zu unterstützen“. Solidarität mit dem Lager sei in Zeiten von Drohungen und Gewalt von essentieller Wichtigkeit.

Größte kurdische Flüchtlingsgemeinschaft weltweit

In Mexmûr, das sich südwestlich von Hewlêr (Erbil) befindet, leben etwa zwölftausend Menschen. Ein Großteil der Bevölkerung wurde in den 1990er Jahren im Zuge der antikurdischen „Aufstandsbekämpfung“ und der sogenannten Politik der verbrannten Erde – unter dem Vorwand, die PKK zu bekämpfen, wurden damals etwa 3.000 Dörfer entvölkert oder niedergebrannt – vom türkischen Staat vertrieben. Nach einer mehrjährigen Odyssee und Aufenthalten in verschiedenen Camps haben die Menschen 1998 am Rand der Wüste das Lager Mexmûr gegründet. Die Campbevölkerung bildet damit die größte kurdische Flüchtlingsgemeinschaft weltweit, ist jedoch bis heute mit Schwierigkeiten konfrontiert. Seit 2019 ist das Lager einem Embargo der kurdischen Regionalregierung ausgesetzt und zudem existenziell durch Angriffe der Türkei sowie des IS bedroht.