Sêrt: Guerillakämpfer anonym begraben

Der gefallene Guerillakämpfer Ali Koçak wurde trotz positivem DNA-Test seiner Angehörigen im anonymen Bereich des Zevye-Friedhofs in Sêrt heimlich vergraben.

Die Leichen gefallener Guerillakämpfer*innen stellen für die Türkei ein Schlachtfeld der psychologischen Kriegsführung dar. Mal werden sie verstümmelt, mal in demütigenden Posen im Internet präsentiert, mal unter Wegen verscharrt oder in anonyme Gräber geworfen. Dies alles dient dazu, die Familienangehörigen und damit die Bevölkerung zu brechen und das Andenken an die Toten zu beschmutzen. Ein neues Beispiel dieses Vorgehens spielt sich nun in der nordkurdischen Provinz Sêrt (türk. Siirt) ab.

Mehmet Ali Koçak wurde am 29. September darüber informiert, dass sein Sohn Abdullah Koçak bei einem Gefecht mit dem türkischen Militär gemeinsam mit vier weiteren Guerillakämpfern in der Region Herekol in Sêrt gefallen sei. Daraufhin fuhr der Vater direkt zum Krankenhaus, um eine Blutprobe für einen DNA-Test abzugeben. Ohne auf das Ergebnis zu warten, wurde Koçaks Leichnam am 2. Oktober im anonymen Bereich des Zevye-Friedhofs in Sêrt heimlich vergraben. Die Familie erhielt das Ergebnis des zu 97,9 Prozent positiven DNA-Tests 40 Tage später und wandte sich an die Staatsanwaltschaft, um den Leichnam ihres Sohnes ausgehändigt zu bekommen.

Bereits 15 Tage nach dem Test hatte sich Mehmet Ali Koçak an das Krankenhaus gewandt. Zu diesem Zeitpunkt wurde fälschlich behauptet, die Leiche befinde sich noch in der Leichenhalle des Krankenhauses. Die Aushändigung des Leichnams wurde verweigert. Daraufhin war Koçak zur Staatsanwaltschaft gegangen und stellte einen Antrag. Der Vater des Gefallenen berichtet: „Die Staatsanwaltschaft beantwortete meinen Antrag nicht. Nach 40 Tagen kam dann das Ergebnis meines DNA-Tests. Ich wollte, dass mein Sohn nach religiösem Ritus bestattet wird, aber das haben sie mir verweigert. Sie haben die Leiche nicht herausgegeben. Sie haben meinen Sohn nicht einmal zwei Tage nach meinem Test auf dem anonymen Friedhof vergraben.“

Kann man so etwas einem Toten antun?“

Koçak fährt fort: „Sie haben uns nicht erlaubt, unseren Sohn selbst zu bestatten. Warum machen sie so etwas? Mein Sohn ist doch schon einmal gestorben. Macht es denn nach dem Tod einen Unterschied, um wen es sich handelt? Kann man so etwas einem Toten antun?“ Koçak kritisiert, der Umgang mit den Toten verstoße gegen die Menschenwürde. Er fordert, dass etwas gegen diese Angriffe unternommen werde.

Über 60 Familien allein in Sêrt in ähnlicher Lage

Dieses Vorgehen ist systematisch. Hilfsorganisationen für die Angehörigen Gefallener berichten, dass häufig gar keine DNA-Tests gemacht und die Leichen nach drei Tagen auf anonymen Friedhöfen verscharrt werden. Es liegen Berichte vor, dass Leichenteile von Guerillakämpfern zusammen in Säcke geworfen und vergraben wurden. Wenn die Familien dann durchsetzen können, das die Verstorbenen zu ihnen gehören, müssen diese exhumiert werden - ein neuer traumatisierender Prozess für die Hinterbliebenen. Oft werden den Angehörigen auch zerfetzte oder zerstückelte Leichen vorgelegt und es wird ihnen mitgeteilt, es seien ihre Angehörigen. Trotz Identifizierung werden die Leichen nicht ausgehändigt. Hilfsorganisationen zählen allein in Sêrt über sechzig solcher Fälle.

14 anonyme Guerillagräber auf dem Zevye-Friedhof

Auf dem im Zentrum der nordkurdischen Stadt Sêrt gelegenen Zevye-Friedhof befinden sich 14 Gräber im Bereich für „Personen ohne Angehörige“. Nach den der Nachrichtenagentur MA vorliegenden Daten gehören die Gräber bei Gefechten in den vergangenen Monaten gefallenen Guerillakämpfer*innen. Auf den Grabsteinen steht nur eine Nummer und das Todesdatum. Auch wenn die Behörden immer wieder die Angehörigen anrufen und sie auffordern, die Leichen abzuholen, wurden diese in keinem Fall letztendlich übergeben.