Lange Haftstrafen für Kampf um Recht auf Trauer

Für jeweils sieben Jahre sollen nach dem Willen der türkischen Justiz 22 Kurd:innen aus Mûş ins Gefängnis. Ihr Vergehen: Protest gegen ihre polizeilich verhinderte Teilnahme an der Beerdigung des 2022 beim Anschlag von Paris getöteten Musikers Mîr Perwer.

Teilnahme an Beerdigung von Mîr Perwer

Zwei Jahre und drei Monate Haft wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz, weitere zweieinhalb Jahre für angebliche Sachbeschädigung und 25 Monate aufgrund Widerstands gegen die Staatsgewalt – diese Strafen verhängte ein türkisches Gericht in der kurdischen Provinz Mûş am Donnerstag gegen insgesamt 22 Personen. Die Anschuldigungen stehen im Zusammenhang mit der Beerdigung eines Kurden, der in Frankreich getötet worden war.

Der Musiker Mîr Perwer, der bürgerlich Mehmet Şirin Aydın hieß und aus Mûş stammte, war eines von drei Opfern bei dem Anschlag auf das Ahmet-Kaya-Kulturzentrum im Dezember 2022 in Paris. Bei dem Attentat auf die vom Demokratischen Kurdischen Rat in Frankreich (CDK-F) betriebene Einrichtung und angrenzende Läden kurdischer Geschäftsleute waren von dem Killer William Mallet auch der langjährige Aktivist Abdurrahman Kızıl sowie Evîn Goyî (Emine Kara) getötet worden. Letztere war Vertreterin der kurdischen Frauenbewegung und kämpfte als YPJ-Kommandantin in Nordsyrien gegen den die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS). Drei weitere Menschen wurden bei dem Anschlag verletzt.

Mîr Perwer, Evîn Goyî und Abdurrahman Kızıl (v.l.n.r.) 

Am 5. Januar 2023 wurde Mîr Perwer an seinem Geburtsort in der Gemeinde Ewran (tr. Yeşilova) beigesetzt, allerdings unter einer Polizeiblockade. Der Sarg hatte begleitet von einem Konvoi zum Friedhof überführt werden sollen, war jedoch von der türkischen Militärpolizei am Flughafen verschleppt und auf einer anderen Route in das Dorf gebracht worden. Die Menschenmenge, die an der Beerdigung teilnehmen wollte, war von Militärs aufgehalten und mit Tränengas, Plastikgeschossen und Wasserwerfern angegriffen worden. Mehrere Personen waren verletzt worden, auch weil ihnen Tränengas gezielt ins Gesicht gesprüht worden war.

Nach der Beerdigung hatten noch in der Nacht martialische Razzien in Mûş stattgefunden, 31 Menschen wurden damals festgenommen. Gegen 22 von ihnen erhob die Staatsanwaltschaft in der Folge Anklage wegen diverser Vergehen, darunter zunächst auch „Propaganda für eine terroristische Organisation“. Zwölf der betroffenen Personen befanden sich rund ein halbes Jahr in Untersuchungshaft, erst beim Prozessauftakt im Juli 2023 hob das zuständige Gericht die Haftbefehle wieder auf. Ein damals gegen alle Angeklagten verfügtes Ausreiseverbot bleibt aber weiter in Kraft, wie die Kammer heute verfügte.

Gegen einen der Verurteilten verhängte das Gericht in Mûş auch eine zusätzliche Freiheitsstrafe in Höhe von drei Jahren und acht Monaten. Der junge Mann hätte gegen das Vermummungsverbot verstoßen, hieß es zur Begründung. Dieser gab an, sein Gesicht lediglich verdeckt zu haben, um sich von dem Tränengasbeschuss zu schützen. Darauf ging das Gericht jedoch in keiner Weise ein und betonte, dass alle verhängten Strafen dem Antrag der Staatsanwaltschaft entsprachen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.