CDK-F: Antikurdischer Terror wird verharmlost und entpolitisiert

Die französische Anti-Terror-Staatsanwaltschaft muss die Ermittlungen um den Anschlag von Paris an sich ziehen, fordert der kurdische Dachverband CDK-F. Nur eine rassistische Motivlage als Hypothese anzunehmen, sei vorschnell, sagen auch Anwälte.

Die Anwälte des Demokratischen Kurdischen Rats in Frankreich (CDK-F) haben die Pariser Anti-Terror-Staatsanwaltschaft aufgefordert, das Ermittlungsverfahren um den Anschlag vom 23. Dezember 2022 aufgrund einer möglichen politischen Tragweite an sich zu ziehen. „Trotz einer angenommenen rassistischen Tatmotivation nicht auch eine terroristische Motivlage als Ermittlungshypothese anzunehmen, findet das Verteidigungsteam des CDK-F zu vorschnell“, sagte Rechtsanwalt Christian Charrière-Bournazel am Donnerstag auf einer Pressekonferenz im Kulturzentrum Ahmet Kaya. Der Jurist fordert, dass Terrorismus als dringender Tatverdacht unbedingt einbezogen werden müsste und die Ermittlungsbehörden der Frage nach möglichen Verbindungen des Täters zu Kreisen innerhalb des türkischen Staatsapparats nachgehen. „Es gibt viel zu viele Ungereimtheiten und offene Baustellen, die uns in diesem Zusammenhang begegnet sind. Diese lassen sich nicht nur mit rassistischem Gedankengut erklären“, so Charrière-Bournazel.

Wegen „Mord aus rassistischen Motiven“ verhaftet

Einen Tag vor Heiligabend war es südlich des Gare du Nord in der Rue d'Enghien zu Schüssen gekommen. Der 69-jährige Franzose William M. zielte zunächst auf das Kurdische Kulturzentrum Ahmet Kaya. Danach schoss er auf ein kurdisches Restaurant auf der anderen Straßenseite und anschließend auf den Friseursalon eines kurdischen Inhabers. Bei dem Angriff wurden drei Menschen schwer verletzt und die Vertreterin der kurdischen Frauenbewegung in Frankreich, Evîn Goyî (Emine Kara), der Musiker Mîr Perwer (Mehmet Şirin Aydın) und der langjährige Aktivist Abdurrahman Kızıl getötet. Der Schütze wurde anschließend unter dem Vorwurf des „Mordes aus rassistischen Motiven“ verhaftet. Der CDK-F und die kurdische Frauenbewegung forderten von Anfang an, dass der Angriff als terroristischer Anschlag eingestuft wird.


Forderung an Staatsanwaltschaft ergibt sich aus Erfahrungen vom 9. Januar 2013

„Für die kurdische Community und auch uns als Anwälte ergibt sich die Forderung, dass die Anti-Terror-Staatsanwaltschaft die Ermittlungen übernimmt, nicht nur aufgrund der Tatsache, dass die Türkei den Kurden gegenüber feindselig ist, sondern auch aus den Erfahrungen mit dem Mord an drei kurdischen Frauen vor zehn Jahren, der – ebenfalls mitten in Paris – im Auftrag eben dieses türkischen Staates verübt wurde. Schon deshalb ist uns unerklärlich, warum die Behörden bei einer so offensichtlichen und naheliegenden Gefahrenlage antikurdischen Terrors diese Motivation nicht erkennen wollen“, sagte Rechtsanwalt Jean-Louis Malterre, der gleichermaßen Teil des Verteidigungsteams des CDK-F ist. Die Täterschaft des türkischen Geheimdienstes MIT an der Ermordung von Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez am 9. Januar 2013 gilt als unbestritten und wurde auch durch Beweise bestätigt. Doch ein Staatsgeheimnis blockiert bis heute eine Aufklärung.

„Langsamkeit“ bei den Ermittlungen

Malterre kritisiert: „Die Behandlung als Verschlusssache in diesem Fall wirkt sich unweigerlich auf das laufende Verfahren um die Morde im Dezember aus, und zwar negativ.“ Der Jurist äußerte zudem den Verdacht, dass einige der in die Ermittlungen gegen William M. involvierten Polizisten Verbindungen zur Regierung in Ankara haben könnten. Es gebe Anhaltspunkte, die darauf hindeuteten, sagte Malterre, ohne näher darauf einzugehen. Den französischen Behörden warf er „Langsamkeit“ bei den Ermittlungen vor. Sie würden nur äußerst schleppend in Gang kommen, bemängelte auch Rechtsanwalt David Andic.

Schütze spricht von „Intoleranz“ gegenüber Kurden und der PKK

Agit Polat, Ko-Sprecher des CDF-K, sagte, der „politische und terroristische Charakter“ des Anschlags in der Rue d'Enghien sei selbst mit geschlossenen Augen zu erkennen. Er beanstandete eine „störrisch anmutende Beharrlichkeit“ bei den Behörden hinsichtlich der Weigerung, ein terroristisches Motiv in den Vordergrund ihrer Ermittlungen zu stellen. Polat verwies auch auf ein neues psychiatrisches Gutachten, wonach der Schütze William M. den Anschlag während der Untersuchung „mit seiner Intoleranz gegenüber den ‚Kurden‘ und der ‚PKK‘“ gerechtfertigt habe. Dabei sei er gar nicht zu Kurden befragt worden, betonte Polat.

„Voreingenommenheit gegenüber Kurden ist identisch mit der des Erdogan-Regimes“

„Offenbar aus einem Bedürfnis heraus gab er ungefragt an, die Kurden und die PKK nicht zu mögen, weil sie Anschläge in der Türkei verüben würden. Wie lässt sich hier ein politischer Bezug des Täters zur Türkei noch verleugnen? Er spricht ja nicht von Frankreich, sondern explizit von der Türkei. Seine Voreingenommenheit gegenüber den Kurden ist identisch mit der des Erdogan-Regimes. Uns scheint, als würde antikurdischer Terror verharmlost und entpolitisiert werden.“ Polat wies auf frühere Aussagen des Schützen William T. hin, wonach dieser das kurdische Kulturzentrum gezielt für ein Attentat ausgewählt habe. Zur Begründung soll er im Polizeiverhör angegeben haben: „Ich wollte dort einen Anschlag verüben, weil die Kurden IS-Mitglieder gefangen genommen haben, anstatt sie im Kampf zu töten. Heute schicken sie sie Stück für Stück in unser Land zurück.“ Polat will wissen: „Wer hat den Attentäter William M. angeheuert? Wir fordern Antworten auf unsere Fragen. Frankreichs Justiz muss diese Tat schnell und restlos aufklären, um Licht ins Dunkel zu bringen.“