Murat Karayilan hat sich als Mitglied des Exekutivrats der PKK im ANF-Interview zum Krieg in Kurdistan geäußert. Der Guerillakommandant erklärt in dem Beitrag, dass sich die Gefechte mit der türkischen Armee in den Medya-Verteidigungsgebieten in Südkurdistan zu einer Schlacht entwickelt haben, die weitaus heftiger ist, als es in den Medien dargestellt wird, und bei der viele Opfer zu beklagen sind. Wir veröffentlichen einen Teil der Antworten des auf Kurdisch geführten Interviews in deutscher Übersetzung:
Der türkische Staat will seit vier Jahren Südkurdistan im Rahmen seines neuen Konzepts besetzen. Er hat zuerst Xakurke angegriffen, dann Heftanîn und Gare, und bekanntlich findet seit letztem Jahr eine umfangreiche Operation in Metîna, Zap und Avaşîn statt. In diesem Jahr kommen seit dem 14. April in noch intensiverer Form technische Methoden zum Einsatz. Zu Beginn wurde der Angriff ausführlich in den türkischen Medien behandelt. Als nach wenigen Tagen klar wurde, dass die Rechnung nicht aufgeht und die Armee hohe Verluste hat, ist die Invasion langsam von der Agenda verschwunden. Momentan gibt es nur kurze Erklärungen dazu, die aus wenigen Sätzen bestehen. Es ist also dazu übergegangen worden, die tatsächlichen Geschehnisse zu verheimlichen. Dazu muss gesagt werden, dass es auch uns nicht gelingt, das Kriegsgeschehen in den Regionen Metîna, Zap und Avaşîn gänzlich öffentlich zu machen. Vielleicht sind es sogar nur zwanzig Prozent dessen, was wirklich stattfindet. Viele Dinge bleiben geheim und können nicht dargestellt werden. Bei diesem Thema kommt es auch bei uns zu Unzulänglichkeiten.
Da draußen tobt ein Krieg in vollem Umfang. Ein Krieg in einem 60 Kilometer breiten Kampfgebiet zwischen Avasin und Metina. Unsere Kämpferinnen und Kämpfer stehen an mindestens 50 Stellen in ständigem Kontakt mit den feindlichen Truppen, der Abstand beträgt nicht mehr als 100 Meter. Es ist ein sehr intensiver Kampf. Wir verfolgen dort momentan eine neue Taktik, wir ziehen uns nicht zurück. Unsere Einheiten sind auch hinter den feindlichen Stellungen. Beispielsweise gehen die Kämpfe am Kurojahro weiter, aber es gibt auch Gefechte am nahe gelegenen Nêrwe-Pass. Auch in Werxelê und Şûkê Bûrê wird gekämpft. Sie sind alle miteinander verflochten. Es kommt ständig zu Zusammenstößen in einem 15 bis 20 Kilometer breiten Gebiet. Ich muss hinzufügen, dass all dies von einem ständigen, schweren Bombardement begleitet wird.
Es sieht so aus, als ob der Feind Vorbereitungen getroffen und die Absicht hat, dieses Mal einen eindeutigen Sieg zu erringen. Er hat politische, diplomatische und militärische Vorbereitungen getroffen, um die Parteien in Südkurdistan zum Schweigen zu bringen und sich sogar deren Zusammenarbeit zu sichern, um den Irak ruhigzustellen und die Zustimmung ausländische Mächte zu erhalten.
Laut Plan wollte der türkische Staat in kurzer Zeit Ergebnisse erzielen. Bahçeli hatte bereits in einer seiner Reden gesagt: „Wir werden die PKK zwischen zwei Feiertagen eliminieren." Mit anderen Worten: Nach ihren Berechnungen wollten sie in sehr kurzer Zeit Ergebnisse erzielen. Sie meinen dies im Allgemeinen, nicht nur in Zap, Metîna und Avaşîn. Doch der Widerstand unserer Freundinnen und Freunde dagegen ist wirklich historisch. In den drei Monaten, die bisher vergangen sind, konnte die Türkei trotz aller Mittel des Staates und der Unterstützung von außen, trotz der Tatsache, dass sie diesen Angriff mit einer sehr großen Truppe, der fortschrittlichsten Technologie und vor allem mit verbotenen Waffen durchführt, bisher keine Ergebnisse erzielen.
Offensichtlich hat der Feind einen Teil seiner Kräfte für den Einsatz in Rojava oder ähnlichen Orten reserviert, aber in diesem Krieg in Zap, Avaşîn und Metîna musste er alle seine Reservekräfte einsetzen. So haben sie seit Anfang Juli ihre angeblich elitärsten, dem Generalstab angegliederten Spezialeinheiten in den Einsatz geschickt. Die Truppen, die derzeit in Çemço und am Girê Amêdî kämpfen, sind die jüngsten Spezialeinheiten, die sie eingesetzt haben. Der Feind hat in diesem Krieg alle ihm zur Verfügung stehenden Waffen eingesetzt. Er setzt viele Arten von chemischen Waffen ein, worüber wir immer wieder sprechen. Aber in jüngster Zeit hat er offenbar auch taktische Atomwaffen eingesetzt, das haben bereits andere Freunde gesagt. Tatsächlich haben wir elf Monate lang zu diesem Thema recherchiert. Mit anderen Worten: Wir versuchen zu verstehen, welche Waffen er benutzt hat. Es handelt sich nicht um einen normalen Sprengstoff. Als HPG sind unsere Nachforschungen noch nicht abgeschlossen.
Im Moment sehen wir, dass sie zwei verschiedene Arten von Bomben verwenden: Erstens verwenden sie taktische Atombomben, d. h. sie mischen verschiedene Sprengstoffe mit nuklearem Material, um einen sehr starken Sprengstoff und Gift herzustellen. Sie setzen auch thermobarische Bomben ein. Es werden beide Arten verwendet. Kurz gesagt, das faschistische Regime setzt alle verbotenen Waffen gegen uns ein. Die F-16 sind bereits im Dauereinsatz; in diesen drei Monaten wurden rund 2.500 Luftangriffe durchgeführt. Sie führen derzeit einen solchen Krieg. Ein solcher Krieg kann nur zwischen zwei großen Staaten geführt werden.
Nach drei Monaten kann man folgendes feststellen: Der türkische Staat hat keine Ergebnisse erzielt und ist im Grunde genommen besiegt. Um diese Niederlage zu vertuschen, hat er seine letzten Kräfte in Bewegung gesetzt, aber auch diese Kräfte haben einen schweren Schlag erlitten. Sie wurden überall getroffen, wo sie hinkamen, und konnten daher keine Ergebnisse erzielen. Der Krieg dauert nun schon seit drei Monaten an. Das AKP/MHP-Regime hat trotz all seiner Mittel keine Ergebnisse erzielt, aber es gibt dies nicht zu. Denn wenn Tayyip Erdoğan und Hulusi Akar diese Situation zulassen, wird das Regime, das sich bereits im Niedergang befindet, zerstört werden. Um nicht zu kollabieren, üben sie jetzt eine große Zensur über den Krieg aus. Niemand kann Informationen zu diesem Thema weitergeben. Alle Informationen werden ausschließlich von Hulusi Akar zur Verfügung gestellt. Niemand sonst kann sich dazu äußern.
Sie geben ihre Toten nicht preis; sie verbergen alles. In Wirklichkeit begehen sie damit eine große Schande. Sie verstoßen nicht nur gegen das internationale Kriegsrecht, sondern treten auch moralische Normen mit Füßen. Ein Soldat stirbt; sie können ihn nicht von dort wegbringen, also zerstören sie die Leiche, indem sie sie mit Flugzeugen beschießen, um sie zu vernichten. Sie bombardieren den Ort, an dem sich die Leichen befinden. Dies geschah zum Beispiel in Şikefta Brîndara, östlich vom Zap, und am Girê Cudî, westlich von Zap. Unsere Freundinnen und Freunde in diesen Gebieten geben an, dass sie sich wegen des Geruchs der Leichen nicht bewegen können. Denn das Land ist voller Leichenteile und sie haben sie alle zerbombt. Man fragt sich, was sie ihren Familien sagen werden.
Natürlich haben sie im Vorfeld Vorkehrungen getroffen. Wenn diese Soldaten in die Armee eintreten, lassen sie ihre Familien ein Dokument unterschreiben, das besagt, dass sie, wenn die Interessen des Staates es erfordern, ihren Tod geheim halten müssen, dass es nicht bekannt gegeben darf und dass sie bei Zuwiderhandlung eine Entschädigung zahlen müssen. Denn wer im Krieg stirbt, dessen Familie erhält ein hohes Gehalt. Und weil die Gefahr besteht, dass dieses Gehalt gekürzt wird, spricht niemand darüber. Auch die Familien der Soldaten reden nicht, nur wenige von ihnen tun es. Einige Leichen sind in den Händen unserer Kräfte, ihre Namen werden bekannt gegeben, aber ihre Angehörigen sprechen nicht darüber. Von einem Soldaten, der im Beisein unserer Kräfte starb, hieß es, er sei ins Krankenhaus gebracht worden und dort verstorben. Seine Leiche befindet sich jedoch in den Bergen. Mit anderen Worten: Alles basiert auf Lügen. Aufgrund des Scheitern der türkischen Armee werden zivile Gebiete in Südkurdistan wie Mexmûr und Şengal sowie Rojava angegriffen, die Bevölkerung und die demokratischen politischen Kräfte in Nordkurdistan werden ebenfalls massiv angegriffen. Es ist ein wirklich sehr unverhältnismäßiges Vorgehen.
Unser Kampf kann natürlich nur mit hoher Opferbereitschaft geführt werden. Zweifellos haben unsere Kräfte ein Niveau erreicht, das auf den Ideen und Gedanken von Rêber Apo [Abdullah Öcalan] und dem Geist des 14. Juli beruht. Sie haben Vertrauen und sind bereit, sich zu opfern. Es gibt diesen Aspekt, aber das ist nicht der einzige. Gleichzeitig gibt es auch eine taktische Methode. Es wurde ein gewisses Maß an taktischer Tiefe erreicht, und es wird eine Leistung erbracht. Wenn die Kräfte nicht spezialisiert sind und die Methoden der Kriegsführung nicht kennen, können sie auch nicht auf solche umfassenden Angriffe reagieren. Mit anderen Worten, sie sind vorbereitet; als professionelle Kämpferinnen und Kämpfer verfügen sie als zahlenmäßig kleine Kraft über die taktische Tiefe und das Niveau der Kriegsführung, um den Feind ins Leere laufen zu lassen. Auf diese Weise können sie dieses Ergebnis erzielen.
Jetzt führen wir eine neue taktische Methode durch. Wir wollen den Feind mit der Strategie des revolutionären Volkskriegs besiegen. Das Ziel unserer neuen taktischen Methode ist es, die Waffen zu neutralisieren, die den Feind stärken. Das heißt, das Ziel der Nutzung des über- und unterirdischen Geländes in der Tiefe und in der Breite ist es, die gegnerische Luftwaffe bedeutungslos zu machen, die Aufklärungsflugzeuge unwirksam zu machen und auf diese Weise dem Feind gegenüberzutreten. Das war das Ziel, und das wurde auch weitgehend erreicht. Vielleicht gibt es an einigen Stellen Fehler und Unzulänglichkeiten, das ist wahr, aber das meiste ist verwirklicht, und deshalb ist der Feind blockiert.
Sie sagten: „Wir werden mit der Luftwaffe Ergebnisse erzielen." Das ist nicht geschehen, sie konnten es nicht tun; jetzt sagen sie: „Wir werden mit verbotenen Waffen Ergebnisse erzielen." Unsere Freundinnen und Freunde treffen Vorkehrungen dagegen und vereiteln die Angriffe. Hätten wir nicht die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen gegen diese chemischen Waffen getroffen, hätten sie uns natürlich großen Schaden zugefügt. Wenn es uns nicht viel schadet, dann deshalb, weil wir Vorsichtsmaßnahmen treffen. Wir können sie mit technischen Maßnahmen und Methoden aushebeln, die unsere Freundinnen und Freunde in der Praxis kennen.
Mit anderen Worten: Der Feind konnte keine Ergebnisse erzielen, aber er bleibt hartnäckig und kann seine Niederlage nicht zugeben. Deshalb wird der Krieg verlängert, danach sieht es aus. Dieser Krieg ist natürlich auch für uns wichtig. Wir wollen die feindliche Besatzung und den Faschismus blockieren und den Feind zur Niederlage bringen. Momentan geht der Krieg in diesem Rahmen weiter.
Die Verluste des türkischen Staates in diesem Krieg sind sehr hoch. Das ist auch in der vierteljährlichen Bilanz enthalten. Die Verluste belaufen sich auf über 1.500, aber der Staat hat bisher 30 bis 40 Personen bekannt gegeben. Wie ich bereits sagte, wird viel zensiert; die Fakten werden vor der türkischen Gesellschaft verborgen. Tayyip Erdoğan und Hulusi Akar sind für dieses Ergebnis verantwortlich. Ich meine, sie schicken Soldaten, aber sie denken nicht daran, ob diese Person sterben wird oder nicht. Sie sagen: „Geht und holt sie.“ Und der Soldat kommt und tappt entweder in eine Falle oder wird auf irgendeine Weise getötet. Sie sind also dafür verantwortlich. Sie sind Mörder. Sie wollen auf diese Weise ihre Macht erhalten. Sie führen diesen Krieg für ihre eigenen Interessen und um den Zusammenbruch ihres Regimes zu verhindern; sie sind kurdenfeindlich. Was macht ein türkischer Soldat in Amêdî, warum kommt er? Sie sagen den Menschen in der Türkei, dass ihr Überleben davon abhängt. Mit anderen Worten, sie stellen das kurdische Volk und seine Errungenschaften als eine Gefahr für die Türkei dar; auf diese Weise wollen sie chauvinistische Gefühle in der türkischen Bevölkerung wiederbeleben. Sie wollen die Menschen aufhetzen und sie dazu bringen, ihre Aufmerksamkeit auf Kurdistan zu richten. Was machen sie in Südkurdistan?
Hulusi Akar rühmt sich, dass in den letzten sieben Jahren mehr als 27.000 Kurden getötet worden sind. Natürlich lügt er; er manipuliert die Zahlen. Wir haben nicht so viele Gefallene, aber natürlich haben wir in diesen sieben Jahren Tausende von Gefallenen gegeben. Erdogan und Akar haben das Blut kurdischer und türkischer Jugendlicher an ihren Händen. Sie lassen türkische und kurdische Jugendliche töten und wollen so ihre Macht erhalten. Auf dieser Grundlage schicken sie ihre Soldaten ohne Berechnung überall hin und erhöhen auf diese Weise die Zahl ihrer eigenen Toten. Vielleicht ist momentan die Zeit, in der der türkische Staat bisher die meisten Verluste erleidet. Es haben bereits früher große Operationen in Südkurdistan stattgefunden, vor allem in den 1990er Jahren, aber bei keinem Angriff hatte die Armee so hohe Verluste wie jetzt. Zugleich dauerte keiner der Angriffe so lange wie jetzt. Die früheren Operationen dauerten höchstens einen Monat, aber jetzt, in diesem vierjährigen Krieg gegen den Süden, gab es immer wieder Angriffe, in den letzten drei Monaten sogar ununterbrochen Tag und Nacht.
Die Verluste des türkischen Staats in diesem Krieg sind also sehr hoch, aber wir wollen die Toten nicht zählen. Wir wollen vielmehr folgendes sagen: Mit Töten kann man keine Ergebnisse erzielen! Mit Töten kann man die PKK nicht liquidieren, die Kurden nicht vernichten und die Freiheitsbewegung in Kurdistan nicht aufhalten. Dieses Volk ist eine Realität; diese Partei ist eine Realität; die Guerilla Kurdistans ist eine Realität! Das wollen wir dieser chauvinistischen Mentalität zeigen. Die Freiheitsguerilla Kurdistans ist unbesiegbar. Das wollen wir beweisen. Andernfalls haben wir nicht die Absicht, noch mehr Menschen zu töten. Nein! Wir wollen das Sterben stoppen und noch mehr Tote verhindern. Aber natürlich führen wir einen ehrenvollen revolutionären Verteidigungskrieg. Wir verteidigen die Ehre und die Errungenschaften unseres Volkes. Wir verteidigen die Zukunft unseres Volkes und aller demokratischen Kräfte. Dafür führen wir diesen Krieg. Wir kämpfen heute aufopferungsvoll für die Demokratie des kurdischen Volkes und der Völker der Region und gehen dabei jedes Risiko ein. Wir wissen, dass das der Weg zu einem freien Leben ist. Hier wird für eine schöne Zukunft, Freiheit, Demokratie und Gleichheit gekämpft, für die Freiheit der Frauen, der Gesellschaft, der Völker. Wir nehmen dafür alle Risiken auf uns, und natürlich werden wir bis zum Ende weitermachen und gewinnen.