KCK: Wie der Hungerstreik von 1982 das Unmögliche möglich machte

Heute ist es wichtiger denn je, den Widerstand vom 14. Juli 1982 in Amed zu begreifen. Wichtig ist zu verstehen, welche Persönlichkeit die Hungerstreikenden hatten, was sie dabei empfanden und wie groß ihre Liebe zu den Menschen war.

Die Ko-Vorsitzenden des Exekutivrats der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) haben eine Erklärung zum großen Hungerstreik vom 14. Juli 1982 abgegeben. In der Erklärung wird der Gefallenen des damaligen Gefängniswiderstands gedacht und auf die heutige Bedeutung hingewiesen. Das Todesfasten sei eine Aktion von historischem Ausmaß gegen den Faschismus der Militärjunta gewesen und habe maßgeblich dazu beigetragen, die Hoffnung der Völker auf Freiheit bis zum heutigen Tag zu bewahren. Den Hungerstreikaktivist:innen sei bewusst gewesen, dass sie durch unmenschliche Folter zur Kapitulation gezwungen und damit die Hoffnung des kurdischen Volkes auf Befreiung zunichte gemacht werden sollte, so die KCK:

„Sie haben in diesem Bewusstsein agiert und beschlossen, eine große Aktion zu starten. Zweifellos war diese Entscheidung ein Ausdruck der Verbundenheit mit dem Volk und der eigenen Verantwortung. Ohne dieses Bewusstsein und Verantwortungsgefühl hätten sie diesen Schritt niemals setzen können. Daher hat der Widerstand vom 14. Juli eine große Tragweite und wichtige Entwicklungen eingeleitet. Das bestimmende Merkmal dieses Widerstands war, dass damit der Sieg angestrebt wurde. (…) Er war eine politische Offensive ideologischer Ausprägung, die zu großen Ergebnissen geführt hat.

Heute ist es wichtiger denn je, diesen Widerstand zu begreifen. Wichtig ist zu verstehen, welche Persönlichkeit die Aktivist:innen hatten, was sie dabei empfanden und wie groß ihre Liebe zum Volk war. Selbst als sie diese große Aktion als Notwendigkeit ihrer Verbundenheit mit den Menschen und ihrer historischen Verantwortung durchführten, sagten sie, dass sie dem Volk etwas schuldig sind. Sie haben die Werte erschaffen, über die wir heute verfügen und die das Unmögliche möglich machen. Nicht sie sind etwas schuldig, wir sind es. Sie selbst sind Monumente der Menschlichkeit, die jede Anerkennung verdient haben.“

Die heutige AKP/MHP-Regierung sei die Fortsetzung der damaligen Militärjunta, betonen die KCK-Vorsitzenden. Die tiefe Überzeugung, mit der 1982 das Todesfasten gestartet wurde, offenbare sich heute im Widerstand der Guerilla gegen die türkische Besatzung. Der damalige Widerstand sei der Grundstein für die Entstehung einer Guerillaarmee gewesen und gebe auch heute noch die Linie vor, mit der der türkische Staatsfaschismus zerschlagen werde. „Wenn der Kampf auf der Linie des Widerstands vom 14. Juli verstärkt wird, wird der AKP/MHP-Faschismus zerschlagen, Kurdistan befreit und die Türkei und der Nahe Osten demokratisiert. Auf dieser Grundlage rufen wir alle dazu auf, den Widerstand vom 14. Juli in seiner Tiefe zu begreifen, sich auf die Seite der kämpfenden Guerilla zu stellen und den Kampf auszuweiten. Der Sieg gebührt den Völkern und Frauen, die mit diesem Widerstandsgeist für Freiheit kämpfen“, so der Exekutivrat der KCK.

Hintergrund: Der Gefängniswiderstand in Amed

Nach dem Militärputsch am 12. September 1980 wehte ein Sturm der Unterdrückung und Verfolgung in der Türkei. Tausende kurdische und türkische Revolutionär:innen wurden verhaftet. Unter den Gefangenen waren auch Gründungsmitglieder der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die im Gefängnis von Diyarbakir, der „Hölle von Amed“, inhaftiert waren. Sie wurden Zeug:innen einer Reihe barbarischer und erbarmungsloser Abläufe an Gewalt, Torturen, Misshandlungen und Erniedrigungen: mit sexualisierter Gewalt, Vergewaltigung, Psychoterror, Prügel, Elektroschocks und dem Zwang, Hundeexkremente zu essen, versuchte der Staat systematisch, ihre kurdische Identität und Ideologie zu brechen. Alle Überzeugungen, Ideale, Träume und Utopien der Gefangenen sollten vernichtet werden.

Viele der Gefangenen in Amed gaben auf. Einige widersetzten sich jedoch der Folter und Unterwerfung, einer von ihnen war der PKK-Kader Mazlum Doğan. An Newroz 1982 entzündete er drei Streichhölzer, legte sie auf den Tisch in seiner Zelle und nahm sich das Leben. Er hinterließ die Nachricht „Kapitulation ist Verrat, Widerstand führt zum Sieg”. Vier PKK-Gefangene folgten seiner Aktion: Am 18. Mai 1982 zündeten sich Ferhat Kurtay, Eşref Anyık, Necmi Öner und Mahmut Zengin selbst an.

Keine zwei Monate später, am 14. Juli 1982, wurde unter der Führung der zentralen PKK-Mitglieder Kemal Pir, Mehmet Hayri Durmuş, Akif Yılmaz und Ali Çiçek in der Hölle von Amed der Beginn eines Todesfastens ausgerufen. Sie forderten das „Ende der Folter, der eingeforderten Militärdisziplin und der Einheitskleidung“. Diese Aktion gilt als „erster Funke des Widerstands“ und richtete sich nicht nur gegen die Zustände in den Gefängnissen, sondern war gleichzeitig ein revolutionäres Zeichen an die Menschen außerhalb der Gefängnismauern, in den Dörfern und Städten und an die linken Bewegungen, um die Massen aufs Neue zum Kampf gegen das Unterdrückungsregime der Türkei zu ermutigen. 55 Tage nach Beginn des Todesfastens verlor der PKK-Kader Kemal Pir im Alter von 20 Jahren sein Leben. Bis zum heutigen Tag wird er als Verkörperung des radikalen und internationalistischen Geistes der Bewegung und als Brücke zwischen den Kämpfen türkischer und kurdischer Menschen geehrt. Mehmet Hayri Durmuş, Ali Çiçek und Akif Yılmaz starben ebenfalls im Verlauf der Aktion. Das Todesfasten wird seitdem von der PKK als „großer Widerstand des 14. Juli“ bezeichnet.

Als Ergebnis des Widerstands endete auch die Ära von Esat Oktay Yıldıran, leitender Offizier des Gefängnisses, dessen Name synonym für die Folter stand und dem die unvergessliche Revolutionärin Sakine „Sara“ Cansız unter der sexualisierten Folter ins Gesicht spuckte. Yıldıran wurde 1987 in Istanbul von PKK-Militanten getötet. Bevor der Schütze den tödlichen Schuss abgab, sagte er zu Yıldıran: „Der Lase Kemal (Pir) lässt dich grüßen.“