Am 14. Juli 1982 wurde unter der Führung der PKK-Mitglieder Kemal Pir, Mehmet Hayri Durmuş, Akif Yılmaz und Ali Çiçek im Gefängnis von Amed (tr. Diyarbakir) ein Todesfasten ausgerufen, mit dem das Ende der Folter, der Militärdisziplin und der Einheitskleidung gefordert wurde. Diese Aktion gilt als erster Funke des Widerstands nach dem Militärputsch von 1980, mit dem nicht nur die Zustände in den Gefängnissen angeprangert, sondern auch ein revolutionäres Zeichen für die Menschen außerhalb der Gefängnismauern gesetzt wurde, um die Massen zum Kampf gegen das Unterdrückungsregime der Türkei anzufeuern. 55 Tage nach Beginn des Todesfastens verlor der PKK-Kader Kemal Pir im Alter von 20 Jahren sein Leben. Bis zum heutigen Tag wird er als Verkörperung des radikalen und internationalistischen Geistes der Bewegung und als Brücke zwischen den Kämpfen türkischer und kurdischer Menschen geehrt. Mehmet Hayri Durmuş, Ali Çiçek und Akif Yılmaz starben ebenfalls im Verlauf der Aktion. Als Ergebnis des Widerstands endete auch die Ära von Esat Oktay Yıldıran, dem leitenden Offizier des Gefängnisses, dessen Name synonym für die Folter stand und dem die ermordete Revolutionärin Sakine Cansız ins Gesicht gespuckt hatte. Das Todesfasten wird von der PKK als „großer Widerstand vom 14. Juli“ bezeichnet.
Zu diesem historischen Datum hat Deniz Kaya 39 Jahre später eine Erklärung im Namen der PKK- und PAJK-Gefangenen in der Türkei abgegeben. Er würdigt den Kampf von Kemal Pir, Hayri Durmuş, Akif Yılmaz und Ali Çiçek als erfolgreichen Widerstand gegen die Folter, mit der die Gefangenen zur Kapitulation gezwungen und dem kurdischen Volk die Würde genommen werden sollten. Das sei dem Feind damals nicht gelungen, schreibt Deniz Kaya. Dieselbe faschistische Denkweise herrsche auch heute noch. Besonders betroffen seien die politischen Gefangenen, gemeint sei jedoch das gesamte kurdische Volk:
„Die auf eine Besatzung abzielenden Operationen in Rojava und Südkurdistan verfolgen den Zweck, innerkurdische Konflikte auszulösen und den Kurden keinen Lebensraum zuzugestehen. Was im Irak nach dem IS geschehen ist und die neue Verbindung, die zwischen unserem Volk und der kurdischen Befreiungsbewegung dort entstanden ist, sind ein Anzeichen dafür, dass die alte Ordnung nicht fortgesetzt werden kann. Das können weder die faschistische AKP/MHP-Mentalität noch ihre lokalen Kollaborateure ändern. Sie werden auf der Rechnung sitzenbleiben.“
Mehmet Hayri Durmuş, Akif Yılmaz, Kemal Pir, Ali Çiçek
In der kurdischen Geschichte habe es immer Kollaborateure und Widerstand gegeben. Die PDK setze auf ihre familiären Stammesinteressen und beharre trotz der stattgefundenen Entwicklung auf der Vergangenheit, so die Erklärung im Namen der PKK- und PAJK-Gefangenen. Wenn die südkurdische Regierungspartei ungeachtet aller ethischen Maßstäbe die Beziehungen mit der Kolonialmacht fortsetze, gebe sie sich selbst der Vernichtung preis: „Unser Volk im Süden hat mit Erklärungen, Aktionen und Aktivitäten deutlich gemacht, dass es das nicht mehr hinnimmt. Die PDK muss sich von dieser Denk- und Handlungsweise verabschieden und begreifen, dass eine nationale Einheit unverzichtbar ist.“
„Kein Respekt der menschlichen Würde“
Die aktuelle Situation der Türkei spiegele die Erfolglosigkeit des Ein-Mann-Regimes wider, schreibt Deniz Kaya weiter. Dem Regime nütze es auch nichts mehr, die Pandemie für die Wirtschaftskrise verantwortlich zu machen. An einen zur Mafia verkommenen Staat könne niemand Erwartungen stellen. Bei der von der kurdischen Befreiungsbewegung eingeleiteten Offensive „Schluss mit Isolation, Faschismus und Besatzung, Zeit für Freiheit“ sei vor allem die Kontinuität des Kampfes wichtig:
„Die Politik von vor hundert Jahren hat heute immer noch Gültigkeit. Die Regierungen innerhalb der türkischen Staatstradition mögen sich ändern, die Politik wird unverändert fortgesetzt. Wenn es um die kurdischen Befreiungsbewegung geht, werden Machtkämpfe beiseite gelassen. Vor 39 Jahren wurde von der Junta unter Kenan Evren versucht, die Gefangenen in Amed zur Kapitulation und zum Verrat zu zwingen. Dasselbe tut die AKP/MHP-Regierung heute. Täglich werden neue Vollzugspakete verabschiedet, mit denen den Gefangenen unter dem Begriff ,gute Führung' die Kapitulation aufgedrängt wird. Innerhalb der Gefängnisse wird eine Isolationspolitik umgesetzt. Es gibt keinen Respekt mehr vor der menschlichen Würde. Die Gefangenen werden mit Kameras überwacht, die Telefongespräche mit Angehörigen abgehört. Kranke Gefangene werden dem Tod überlassen. Sie sind mit einer Vorgehensweise konfrontiert, die nicht einmal im Feindstrafrecht vorkommt. Zuletzt ist unser Weggefährte Hüseyin Idiğ im Krankenhaus verstorben, nachdem er 26 Jahre im Gefängnis mit seinen Erkrankungen gerungen hat und im letzten Moment entlassen wurde. Unser Apê Dedo [Mehmet Emin Özkan] ist seit 25 Jahren im Gefängnis und schwer krank. Im Alter von 83 Jahren ist er nicht mehr in der Lage, alleine zu laufen, und wird wegen angeblicher Fluchtgefahr nicht aus der Haft entlassen.“
Die Gefängnisse seien ein Spiegelbild des gesellschaftlichen Zustands, den die AKP/MHP-Regierung herbeigeführt habe, schreibt Deniz Kaya und weist auf die Jahrzehnte des Gefängniswiderstands hin: „Die Überzeugung und die Haltung unserer Partei und unseres Volkes werden die schmutzige Politik des Feindes scheitern lassen.“ Der am 27. November im Fünf-Tage-Turnus begonnene Hungerstreik wird laut Kaya ab heute im 15-tägigen Wechsel durchgeführt werden. „Wir rufen unser gesamtes Volk und alle, die hier leben und sich als Menschen bezeichnen, zur erhöhten Aufmerksamkeit gegen die Unterdrückung und für ein Ende der Isolation auf. Der einzige Weg zum Sieg führt über den Widerstand“, so Deniz Kaya im Namen der PKK- und PAJK-Gefangenen in der Türkei.