Erfüllungshilfe für das Erdoğan-Regime
Das Oberlandesgericht Celle hat den kurdischen Aktivisten Mehmet Çakas am heutigen Mittwoch wegen Mitgliedschaft in der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Wie der Rechtshilfefonds AZADÎ e.V. mitteilt, sah es der 4. Strafsenat als erwiesen an, dass der heute 44-Jährige von 2019 bis Mitte 2021 als „hauptamtlicher Kader das PKK-Gebiet Bremen“ geleitet habe. Er habe Versammlungen und Veranstaltungen organisiert und für sie geworben, Menschen zusammen gebracht und angewiesen, Spenden gesammelt sowie eine Rede auf einer Trauerfeier gehalten – eine individuelle Straftat wurde ihm allerdings nicht vorgeworfen. Weil er jedoch nach Auffassung des Gerichts als Mitglied der PKK gehandelt habe, verurteilte es ihn wegen „mitgliedschaftlicher Betätigung in einer terroristischen Vereinigung im Ausland“ nach §§ 129a, 129b Strafgesetzbuch.
Solidarität mit Mehmet Çakas vor dem OLG Celle
Mehmet Çakas war im Dezember 2022 auf Betreiben deutscher Behörden in Mailand in Auslieferungshaft genommen worden. Anfang März 2023 wurde er nach Deutschland überstellt und zunächst in die JVA Bremen verbracht. Nach Eröffnung des Haftbefehls wurde er in Celle und später in der JVA Hannover in Untersuchungshaft genommen. Die Hauptverhandlung begann Anfang September letzten Jahres.
Ursprünglich umfasste die Anklage neben einer vermeintlichen Gebietsleitertätigkeit in Bremen auch die Leitung des Gebiets „Hannover“ von 2018 bis 2019. Von der Verfolgung dieses Vorwurfs wurde im Laufe des Verfahrens abgesehen. Trotzdem forderte die Generalstaatsanwaltschaft als Anklagevertretung in ihrem Plädoyer vor zwei Wochen eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten.
Die Verteidiger des Angeklagten, Dr. Björn Elberling und Ulrich von Klinggräff, plädierten letzte Woche auf Freispruch und begründeten dies ausführlich als einzig vertretbare Entscheidung. Mehmet Çakas selbst hatte in seinem letzten Wort vor Gericht deutlich gemacht, dass nicht er es sei, der vor Gericht stehe, sondern die kurdische Bewegung. In dem Zeitraum, der ihm zur Last gelegt werde, habe er keine Straftaten begangen, doch angeklagt werde er als Terrorist. Diese Parallele zur Verfolgung von Kurd:innen in der Türkei sollte nachdenklich stimmen.
„Das Gericht blieb mit einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten deutlich unter dem von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafmaß, ließ aber keinen Zweifel an seinem Verurteilungswillen und der herrschenden Kriminalisierung der kurdischen Bewegung aufkommen“, so AZADÎ e.V.:
„Nach Ansicht des Verteidigers Dr. Björn Elberling war das Vorgehen des Gerichts bei der Erbringung des Nachweises der Stellung als Gebietsverantwortlicher besonders problematisch. Um etwa das Sammeln von Spenden zu belegen, wurden bloß zwei Textnachrichten in diese Richtung ausgelegt, obwohl andere Interpretationen möglich gewesen wären. Eine Rede bei einem Begräbnis eines Mitglieds der syrisch-kurdischen PYD sei genauso ein Beleg für eine Betätigung für die PKK wie eine anerkennende Äußerung zu Abdullah Öcalan. Folgerichtig kündigte die Verteidigung an, Revision gegen das Urteil einzulegen.“
Vier Kurden innerhalb eines Monats verurteilt
Weiter teilt AZADÎ mit: „Mehmet Çakas ist der vierte Kurde, der innerhalb eines Monats von einem deutschen Gericht wegen Mitgliedschaft in der PKK zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Voraussetzung für diese Strafverfolgung ist eine 2011 vom Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz erteilte Ermächtigung, durch die sich die Bundesregierung zur Erfüllungsgehilfin des Erdoğan-Regimes macht und dazu beiträgt, eine Lösung der sog. kurdischen Frage zu behindern.
Die Ergebnisse der Kommunalwahlen in der Türkei und Nordkurdistan vor anderthalb Wochen zeigen erneut, dass die Bevölkerung der Türkei einen Politikwandel herbeisehnt und die Zeit des AKP-Regimes trotz Wahlmanipulation und Gewalt abläuft. Die Bundesregierung muss sich die Frage stellen, wie lange sie an ihrer längst überkommenen Kurdistan-Politik und der von Anfang an zum Scheitern verurteilten Kriminalisierung der kurdischen Bewegung festhalten will. Als Rechtshilfefonds AZADÎ fordern wir ein weiteres Mal die Rücknahme der Verfolgungsermächtigung nach § 129b StGB gegen die PKK sowie die sofortige Aufhebung des PKK-Verbots, um einen gerechten Frieden in Kurdistan und eine Demokratisierung der Türkei möglich zu machen.“