Nach dem Militärputsch am 12. September 1980 wehte ein Sturm der Unterdrückung und Verfolgung in der Türkei. Tausende kurdische und türkische Revolutionär*innen und Arbeiter*innen wurden unter dem Vorwand, „das Wohl und die Unteilbarkeit des Landes wiederherzustellen“ verhaftet. Unter den Gefangenen waren auch Gründungsmitglieder der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die im Gefängnis von Diyarbakir, der „Hölle von Amed“, inhaftiert waren. Sie wurden Zeugen einer Reihe barbarischer und erbarmungsloser Abläufe an Gewalt, Torturen, Misshandlungen und Erniedrigungen: mit sexualisierter Gewalt, Vergewaltigung, Psychoterror, Prügel, Elektroschocks und dem Zwang, Hundeexkremente zu essen, versuchte der Staat sie systematisch ihrer kurdischen Ideologie und Gesinnung zu entwurzeln, ihren unermesslichen Kampf um die Bewahrung ihrer ethnischen Identität zu zerschlagen und sie mit zwangsassimilierenden Maßnahmen wie dem Verbot ihrer Sprache nach türkischem Nationalbild zu formen. Alle Überzeugungen von den Idealen, Träumen und Utopien der Gefangenen sollten gebrochen werden.
Viele der Gefangenen in Amed gaben auf. Einige widersetzten sich jedoch der Folter und Unterwerfung, einer von ihnen war der PKK-Kader Mazlum Doğan. An Newroz 1982 entzündete er drei Streichhölzer, legte sie auf den Tisch in seiner Zelle und nahm sich das Leben. Er hinterließ die Nachricht „Aufgeben ist Verrat, der Widerstand bringt den Sieg”. Vier PKK-Gefangene folgten seiner Aktion: Am 18. Mai 1982 zündeten sich Ferhat Kurtay, Eşref Anyık, Necmi Öner und Mahmut Zengin selbst an.
In türkischen Gefängnissen wurde sexuelle Gewalt vor allem in den 1980er Jahren gegen Frauen aus revolutionären Gruppen eingesetzt. Sakine „Sara“ Cansız, Mitbegründerin der PKK, die nach dem Putsch zwölf Jahre in Haft verbrachte, beschreibt in ihren Memoiren sexuelle Gewalt als übliche Folterpraxis. Im Gefängnis von Amed galt sie sowohl für ihre weiblichen als auch männlichen Mitgefangenen als ein Widerstandssymbol. Sie entgegnete dem bekannten Folterer im Gefängnis, Esat Oktay Yıldıran: „Wer bist du, dass ich dir gegenüber strammstehen soll! ... Ich beuge mich den Henkern nicht!“ und spuckte ihm ins Gesicht. Im Januar 2013 wurde sie mit zwei ihrer Weggefährtinnen mitten in Paris von einem Attentäter des türkischen Geheimdienstes MIT erschossen. Yıldıran, der bereits 1974 bei der Invasion Zyperns durch seine Greueltaten aufgefallen war, wurde 1987 in Istanbul von PKK-Militanten getötet. Bevor der Schütze den tödlichen Schuss abgab, sagte er zu Yıldıran: „Der Lase Kemal (Pir) lässt dich grüßen.“
Keine zwei Monate später, am 14. Juli 1982, wurde unter der Führung der zentralen PKK-Mitglieder Kemal Pir, Mehmet Hayri Durmuş, Akif Yılmaz und Ali Çiçek in der Hölle von Amed der Beginn eines Todesfastens ausgerufen. Sie forderten das „Ende der Folter, der eingeforderten Militärdisziplin und der Einheitskleidung“. Diese Aktion gilt als „erster Funke des Widerstands“, wurde aber nicht nur begonnen, um die Zustände in den Gefängnissen anzuprangern, sondern auch, um ein revolutionäres Zeichen zu setzen an die Menschen außerhalb der Gefängnismauern, in den Dörfern und Städten und an die linken Bewegungen, um die Massen aufs Neue zum Kampf gegen das Unterdrückungsregime der Türkei anzufeuern. 55 Tage nach Beginn des Todesfastens verlor der PKK-Kader Kemal Pir im Alter von 20 Jahren sein Leben. Bis zum heutigen Tag wird er als Verkörperung des radikalen und internationalistischen Geistes der Bewegung und als Brücke zwischen den Kämpfen türkischer und kurdischer Menschen geehrt. Mehmet Hayri Durmuş, Ali Çiçek und Akif Yılmaz starben ebenfalls im Verlauf der Aktion. Als Ergebnis des Widerstands endete auch die Ära von Esat Oktay Yıldıran, leitender Offizier des Gefängnisses, dessen Name synonym für die Folter stand. Das Todesfasten wird seitdem von der PKK als „großer Widerstand des 14. Juli“ bezeichnet.
Die seit Ende 2016 wieder inhaftierte frühere Oberbürgermeisterin von Amed, Gültan Kışanak, leistete zur selben Zeit wie Sakine Cansız im Gefängnis von Amed Widerstand gegen die Folter. Im Februar 2019 sagte sie bei einer Gerichtsverhandlung: „Ich bin mit 19 Jahren ins Gefängnis gekommen und habe mich nicht der Grausamkeit Esat Oktays gebeugt. Weil ich für ihn nicht aufgestanden bin, wurde ich zwei Monate lang in einem zwei Quadratmeter großen Hundezwinger festgehalten. Ich habe die Militärmärsche, zu denen ich gezwungen werden sollte, nicht vorgetragen und ich habe mir keinen militärischen Haarschnitt verpassen lassen, deshalb bin ich gefoltert worden.“
Taktischer Rückzug der PKK aus der Türkei
Als zu Beginn der Militärdiktatur andere kurdische Organisationen und die türkische Linke ihre Strukturen verloren und ihre Führer ohne politische Perspektive nach Europa flohen, hatte der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan bereits den taktischen Rückzug innerhalb des Mittleren Ostens angeordnet. Öcalan war ab Juli 1979 im Gebiet Syrien/Libanon und hatte mit Organisationen, die mit der palästinensischen PLO verbunden waren, Beziehungen geknüpft. Um die Möglichkeiten der militärischen Ausbildung zu bewerten, kam im September 1979 die erste PKK-Gruppe in den Libanon. Im Winter 1980/1981 trafen dann rund 300 weitere PKK-Kader und Sympathisanten in dem Camp in der Bekaa-Ebene ein. Als der israelische Staat am 2. Juni 1982 den Libanon besetzte, hielten sich die PKK-Kader bereits seit drei Jahren dort auf und kämpften auf der Seite der Palästinenser. Insgesamt elf von ihnen fielen innerhalb des palästinensischen Widerstands.
Öcalan und die PKK gingen davon aus, dass sich die türkische Militärjunta trotz der Einsetzung einer bürgerlichen Marionettenregierung langfristig an der Macht halten werde und eine Demokratisierung der Türkei ohne Lösung der kurdischen Frage nicht möglich sei. Ab Sommer 1982 kehrten Guerillakämpfer, die im Libanon vorbereitet wurden, aus der Bekaa-Ebene nach Kurdistan zurück, um eine bewaffnete Bewegung aufzubauen. Bis „der erste Schuss“ der PKK fiel, dauerte es dann nicht mehr lange. Eine 36 Personen starke Guerillaeinheit, angeführt von dem legendären Kommandanten Mahsum Korkmaz – auch bekannt unter seinem Nom de Guerre Egîd („der Mutige“) – führte am 15. August 1984 im nordkurdischen Dih (Eruh) den ersten Angriff gegen die türkische Besatzungsmacht durch. Für den Beginn des bewaffneten Befreiungskampfes war eine Kaserne der Militärpolizei ausgewählt worden. Ein Wachsoldat und ein Offizier kamen ums Leben, Verluste der Guerilla gab es nicht.
Über den Lautsprecher einer Moschee wurde anschließend die Gründungserklärung der HRK (Hêzên Rizgarîya Kurdistan) verlesen. In dem Flugblatt der „Befreiungseinheiten Kurdistans”, wie sich die Guerilla in den ersten Jahren des bewaffneten Kampfes in Anlehnung an die zu Beginn des vietnamesischen Freiheitskampfes gebildete „Einheit zur Befreiung Vietnams“ nannte, hieß es: „Die HRK verfolgt das Ziel, den Kampf unseres Volkes um nationale Unabhängigkeit, eine demokratische Gesellschaft, Freiheit und Einheit unter Führung der PKK gegen den Imperialismus, den türkischen Kolonialfaschismus und ihre einheimischen Lakaien bewaffnet zu führen.” Gleichzeitig appellierte die Guerilla an „alle Revolutionäre und Demokraten aus der Türkei, das werktätige türkische Volk”, sich mit dem kurdischen Befreiungskampf zu vereinen, denn „jeder Schlag, den die HRK dem Kolonialfaschismus versetzt, ist gleichzeitig ein Schlag gegen den Faschismus in der Türkei.” Nach der Verlesung des Flugblattes ertönte das Widerstandslied „Xortê Kurda” (Junger Kurde).
Die ewige Mär von der „Vernichtung der PKK noch diesen Frühling“
„Aus der Sicht der Kurden ist es eine Art Neugeburt, eine Zeit der Auferstehung”, bewertete Duran Kalkan, eine der Schlüsselfiguren der PKK, im Rückblick diesen ersten kurdischen Aufstand in der Türkei nach der Niederschlagung des Dersim-Aufstands von 1938. Ankündigungen der Militärjunta unter General Kenan Evren, die „Banditen” innerhalb von 72 Stunden zu zerschlagen, erfüllten sich nicht. Und auch die ewige Mär von der „Vernichtung der PKK noch in diesem Frühling“ klingt seit über vier Jahrzehnten in der Türkei wie eine Platte mit Sprung. Das kurdische Volk ist durch den Widerstand vom 14. Juli aus seinem Todesschlaf erwacht, hat sein eigenes Schicksal in die Hand genommen und für seine Existenz gekämpft. Dieser Wille zum Widerstand ist auch heute ungebrochen.