PKK: Dem Kampf der Gefallenen gerecht werden

Haki Karer ist eine zentrale Identifikationsfigur der kurdischen Befreiungsbewegung. Am 18. Mai 1977 wurde er durch ein Komplott ermordet. Öcalan kam danach zu der Überzeugung, dass nur die Gründung einer Partei seinem Andenken gerecht werden könnte.

Haki Karer ist eine zentrale Identifikationsfigur der kurdischen Befreiungsbewegung. Er war ein internationalistischer Mitstreiter Abdullah Öcalans aus Ordu in der Türkei und der erste gefallene Kader der „Apoisten” – der PKK-Gründungsgruppe von Studierenden um den kurdischen Vordenker. Karer und Öcalan lernten sich im Jahr 1972 kennen und ihre Wege trennten sich von da an nicht mehr. Der zentrale Grund, der diese beiden Revolutionäre zusammenbrachte, war die ideologische Linie, die die Befreiung der kurdischen und türkischen Gesellschaft als Einheit betrachtete. Am 18. Mai 1977 wurde Haki Karer in Dîlok (türk. Antep), einer der Städte in Nordkurdistan, in denen sich der kurdische Befreiungskampf innerhalb der Arbeiter- und Studierendenbewegung als erstes organisierte, infolge eines Komplotts der konkurrierenden Gruppe „Stêrka Sor” (Roter Stern) ermordet. Sein Tod sollte seine Freunde tief treffen. Abdullah Öcalan kam schließlich zu der Überzeugung, dass nur die Gründung einer Partei dem Andenken von Haki Karer gerecht werden könnte, und verfasste daraufhin den Programmentwurf der Arbeiterpartei Kurdistans. Beim Gründungsparteitag am 27. November 1978 in Fîs bei Licê in Amed (Diyarbakir) rief die PKK den Mai zum „Gefallenenmonat” und den 18. Mai zum „Tag der Gefallenen“ aus, da viele Kader der ersten Stunde sowie führende Revolutionäre der linken Bewegungen in der Türkei in einem Mai ihr Leben verloren.

Haki Karer (vorne rechts) als Student an der Universität Ankara

Anlässlich des 43. Todestags von Haki Karer hat das Zentralkomitee der PKK eine Erklärung abgegeben. Darin heißt es: „Wie Kemal Pir wird auch Haki Karer von Abdullah Öcalan als seine ‚geheime Seele‘ bezeichnet. Mit Liebe, Respekt und Dankbarkeit gedenken wir an diesem 18. Mai den Gefallenen Haki Karer und Halil Çavgun (wurde am 19. Mai 1978 in Riha von Angehörigen des Süleyman-Stammes ermordet, Anm. d. Red.), Ferhat Kurtay und seinen Freunden, den Toten vom blutigen 1. Mai 1977, Mehmet Karasungur und Ibrahim Bilgin, den Genossen Azad und Çekdar, Shirin Alamhouli und ihren Freunden, Hozan Mizgîn, Helin, Salih, Ozan und allen Gefallenen des Massakers von Hewlêr, Sabri, Cimşit, Andok und Eriş. Wir erinnern uns an die führenden Persönlichkeiten der revolutionären Bewegung in der Türkei; an Deniz Gezmiş, Yusuf Aslan und Hüseyin Inan, an Ibrahim Kaypakkaya, Sinan Cemgil und Ulaş Bayraktaroğlu und an die vielen anderen, die stets Quelle unserer Kraft waren und es immer sein werden. Wir begrüßen den Widerstand für die Freiheit, den wir seit mehr als vier Jahrzehnten führen, und bekräftigen unsere Entschlossenheit, die Ideale von Rêber Apo und den Gefallenen zu erreichen.

Unsere Gefallenen sind unsere Vergangenheit, unsere Gegenwart und unsere Zukunft. Dieses Bewusstsein ist die treibende Kraft, uns stets mit Kritik und Selbstkritik einem Erneuerungsprozess zu unterziehen und auf der Linie unseres Vordenkers und der Gefallenen unsere revolutionäre und patriotische Persönlichkeit zu stärken. Auf dieser Linie haben wir bisher Widerstand geleistet und gewonnen, und werden dies auch weiterhin tun, um noch größere Siege und Errungenschaften zu erzielen.

Während nun 43 Jahre seit dem ersten Tag der Gefallenen vergangen sind, müssen wir als Bewegung und als Volk beobachten, dass der kolonialistische und genozidale AKP/MHP-Faschismus die Ruhestätten der Gefallenen niederträchtig und brutal angreift und zerstört. Wenn schon ein Krieg gegen unsere Toten geführt wird, muss die Angst beim Feind tief sitzen. Die Gefallenen repräsentieren die Existenz und Freiheit Kurdistans und stehen für die Einheit und den Heldenmut des kurdischen Volkes. Aus diesen Angriffen lässt sich die Lehre ziehen, uns noch intensiver mit der Realität der Gefallenen auseinandersetzen und kämpferisch für ihre Ideale einzutreten. Sie sollten uns dazu verleiten, unseren Widerstand für Freiheit und Demokratie noch entschlossener zu führen.

18. Mai 1982 - Die Nacht der Vier: Im Zuge des Militärputsches 1980 in der Türkei wurden tausende kurdische und türkische Revolutionär*innen inhaftiert, weshalb viele der existierenden Gruppen ihre Strukturen verloren. Unter den Gefangenen waren auch Gründungsmitglieder der PKK. Einer von ihnen war Mazlum Doğan, der mit einer Aktion den Widerstand in den Gefängnissen eröffnete. An Newroz 1982 entzündete er drei Streichhölzer, legte sie auf den Tisch in seiner Zelle und nahm sich das Leben. Er hinterließ die Nachricht „Aufgeben ist Verrat, der Widerstand bringt den Sieg”. Mit den inhumanen Verhältnissen des Foltersystems im Gefängnis von Amed (Diyarbakır), wo die Insass*innen entsetzlichen Misshandlungen wie sexualisierter Gewalt, Vergewaltigung, Psychoterror, Prügel, Elektroschocks und dem Zwang ausgesetzt waren, Hundeexkremente zu essen, versuchte der Staat alle Überzeugungen von den Idealen, Träumen und Utopien der Gefangenen zu brechen. Doch der Widerstand im Gefängnis von Amed zog große Unterstützung nach sich und löste die endgültige Entscheidung der PKK aus, am 15. August 1984 den bewaffneten Kampf gegen den Staat aufzunehmen. Vier Gefangene folgten Mazlum Doğans Aktion: Ferhat Kurtay, Eşref Anyık, Necmi Öner und Mahmut Zengin zündeten sich aus Protest selbst an.


Den diesjährigen Tag der Gefallenen begehen wir im Schatten von Corona. Alle kapitalistischen Kräfte, Staaten und Herrschenden nutzen unter dem Deckmantel des vermeintlichen Kampfes gegen das Virus die gegenwärtige Situation aus, den Druck auf die Bevölkerung zu erhöhen und insbesondere Frauen und die Arbeiterklasse auszubeuten. Der AKP/MHP-Faschismus, der am Rande seines eigenen Abgrunds steht, nutzt die Pandemie geschickt für seinen Machterhalt. Die Ausbeutung der Arbeitenden wird ausgeweitet, die gähnende Leere in den Staatskassen mit Spendenkampagnen gefüllt, Frauen und junge Menschen werden in die häusliche Isolation gedrängt, um dem antifaschistischen Kampf der Massen Ketten anzulegen. Mordende und vergewaltigende Anhänger der Regierung, die unter normalen Umständen die Gefängnisse nicht verlassen können, werden kurzerhand durch neue Vollzugsgesetze in die Freiheit entlassen, während in Kurdistan der Raub demokratisch gewählter Kommunalverwaltungen, Repression und Tod nach wie vor zur Tagesordnung gehören und militärische Angriffe in Idlib, Rojava, Südkurdistan und Libyen ausgeweitet werden. Das Agieren dieser Regierung zeugt im Grunde von der bereits eingesetzten Fäulnis und dem nahenden Abgesang.

Wir zweifeln nicht daran, dass die Menschheit, aber in erster Linie unser patriotisches Volk, das unterdrückerische und ausbeuterische Treiben des AKP/MHP-Faschismus klar und deutlich erkennen. Gerade aus diesem Grund wenden sich Menschen rund um den Globus und in allen Bereichen des Lebens dem antikapitalistischen und antifaschistischen Kampf zu, um diesem psychologischen Krieg, der im Windschatten der Pandemie geführt wird, ins Jenseits zu befördern und die Unterdrückung und Ausbeutung zu beenden. Als PKK begrüßen wir all diese Kämpfe und gelangen zu der Überzeugung, dass sich Freiheits- und Demokratiekämpfe in Zeiten von Corona mit neuen Methoden entwickeln lassen und erfolgreicher werden. In diesem Sinne rufen wir unser patriotisches Volk und insbesondere die Frauen und die Jugend dazu auf, unseren Kampf für Freiheit und Demokratie zu verstärken, um die Isolation auf Imrali zu durchbrechen und den AKP/MHP-Faschismus zu zerschlagen.

Die Guerilla zeigt ebenfalls die richtige Haltung. Sie orientiert sich an der Widerstandslinie und ergreift Tag für Tag Maßnahmen, die den Feind überwältigen. Wir grüßen alle Kräfte unserer Guerilla, feiern dankbar ihre Erfolge und wünschen ihnen weiterhin gutes Gelingen. Dem intensivierten psychologischen Krieg und ausgeweiteten militärischen Angriffen des AKP/MHP-Faschismus im Zuge der Pandemie zum Trotz macht sie mit spektakulären Widerstandsaktionen von sich reden. Wir sind davon überzeugt, dass unsere Kämpferinnen und Kämpfer den Guerillakrieg mit kreativen Methoden zum Sieg führen werden. Wir grüßen auch den antifaschistischen Kampf, den wir gemeinsam unter dem Dach der Vereinigten Revolutionsbewegung der Völker (HBDH) führen.

Gedenktafel für die Revolutionäre, die in der „Hölle von Diyarbakir” ums Leben kamen

Ein weiteres elementares politisches Ereignis dieser Tage ist die Bemühung um eine innerkurdische Einheit. Dieses Phänomen beruht auf dem Geist des Bewusstseins für eine demokratische Nation, die Stationierung von Peschmerga-Einheiten der PDK in Zînê Wertê, die für die PKK einer Kriegserklärung gleichkommt, ist gleichermaßen treibende Kraft hinter diesen Bemühungen. Daher begrüßen wir unser Volk in allen Teilen Kurdistans und im Ausland, Intellektuelle und Kunstschaffende, die einen echten Willen zeigen, zu einer Einheit zu gelangen, und möchten an dieser Stelle zum Ausdruck bringen, dass wir ihre Bemühungen bewundernswert finden. Zweifellos sollte die kurdische Politik diese Tatsache erkennen und die Basis ihres Handelns mit diesem gesellschaftlichen Geist füllen. Als PKK-Bewegung bekunden wir ein weiteres Mal unsere Verbundenheit zu dem Bewusstsein für eine innerkurdische Einheit und sind stets bereit, die von uns geforderten Aufgaben zu erfüllen. Unsere selbstlosen Gefallenen haben die nationale Einheit bereits auf ein fortschrittliches hohes Niveau gebracht, und auch Rêber Apo betonte zuletzt erneut die Notwendigkeit, eine Einheit zu bilden. Dies ist der Kurs, den wir entschlossen verfolgen und uns dabei nicht behindern lassen. Insbesondere der AKP-Administration, aber auch regionalen und globalen Akteuren ist eine kurdische Einheit ein Dorn im Auge. In diesem Sinne sind alle kurdischen Parteien und Organisationen besonders gefordert, in diesem historischen Prozess achtsam und verantwortungsbewusst zu handeln und sich den Interessen anderer nicht zu beugen.”