Hozan Mizgîn ist eine zentrale Identifikationsfigur der kurdischen Freiheits- und Frauenbewegung. Auch fast drei Jahrzehnte nach ihrem Tod inspiriert das Leben der Künstlerin und Guerillakommandantin das Leben ihrer Mitstreiter*innen der jüngeren Generation. Zu ihrem 28. Todestag erinnert die Kulturbewegung der Frauen aus Nord- und Ostsyrien Kevana Zêrîn an das Leben einer Frau, die als wichtigste Vorreiterin der revolutionären Kunst und Widerstandskultur der PKK gilt.
Hozan Mizgîn wurde 1962 als Gurbet Aydın in einem Dorf bei Êlih (Batman) geboren. Als junges Mädchen begegnete sie Mitte der 70er Jahre zunächst Haki Karer*, später auch Mazlum Doğan**. Beide gehörten zur PKK-Gründungsgruppe von Studierenden um Abdullah Öcalan – die „Apoisten“ – die sich nach ersten ideologischen und politischen Aktivitäten in Ankara in ganz Kurdistan ausbreiteten, um ihre Ideen vorzustellen und sich in die Gesellschaft einzubringen.
Êlih war damals von zentraler Bedeutung für die Apoisten. Die Stadt war bis in die 1950er ein kleines Dorf, und erst durch die Ansiedlung von Betrieben der Ölindustrie stieg die Einwohnerzahl. Durch den Bevölkerungszuwachs aus anderen kurdischen Provinzen wurde die Grundlage für eine Arbeiterbewegung im vernachlässigten „Südosten“ geschaffen – und eine Basis, die sozialistische Revolution zu erproben.
Unmittelbar vor dem Militärputsch am 12. September 1980 schloss sich Hozan Mizgîn der 1978 gegründeten Arbeiterpartei Kurdistans, der PKK an. Nach der Machtübernahme des türkischen Militärs kam es landesweit zu rund 650.000 Festnahmen; 200.000 Menschen wurden verhaftet, von denen Ende 1983 etwa 40.000 noch immer in Haft waren. Unter ihnen befanden sich auch um die sechzig Kader und Tausende Anhänger der PKK – Hozan Mizgîn war nicht dabei. Die Gründe für den Putsch waren unter anderem die noch immer starke linke Bewegung in der Westtürkei und ihre gewalttätigen Auseinandersetzungen mit türkischen Rechten der Grauen Wölfe sowie die dadurch hervorgerufene instabile politische Lage. Schließlich war der Putsch auch gegen die Gefahr eines nationalen Erwachens der Kurden im Osten des Landes durch die Erstarkung und Verbreitung der PKK. Während Öcalan und andere Kader der ersten Generation sich bereits 1979 über Syrien in den Libanon begaben, um Kontakte für eine Niederlassung in Syrien und im Libanon zu knüpfen, verlagerte sich die Widerstandsfront in die Gefängnisse, wo tausende der PKK-Aktivisten sich zunehmend auch dort organisierten.
Gurbet Aydın
Im Libanon siedelte sich die PKK in der Bekaa-Ebene an. Direkt an der Grenze zu Syrien gegenüber dem drusischen Dorf Helve wurde das zentrale Camp der PKK aufgebaut, das später nach dem Guerillakommandanten Mahsum Korkmaz benannt wurde. Auch Hozan Mizgîn ging in die libanesische Hochebene. Es war 1982, die beiden Jahre zuvor hatte sie im Untergrund die Organisierung der kurdischen Frauen vorangetrieben. Besonders die Frauen in ihrer Heimat Êlih lagen ihr am Herzen. In jedem Haus, das sie besuchte, nahm sie eine Kassette mit ihren Liedern auf.
Ein gutes Jahr später verließ Mizgîn den Libanon und reiste nach Europa. Hier initiierte sie die Gründung des „Verbands der patriotischen Künstler aus Kurdistan“ (Hunerkom), die erste Organisation mit ausschließlich kurdisch-künstlerischer Zielsetzung. Hunerkom unterstützte Folklore- und Musikgruppen, gab Alben heraus und veranstaltete alljährlich im Frühsommer ein kurdisches Folklore- und Musikfestival. Verbunden mit dem Verband war vor allem die Musikgruppe Koma Berxwedan („Gruppe des Widerstands“). Die Band etablierte sich sehr schnell als Hauptinstrument zur Vermittlung der Widerstandsmusik der PKK und wurde zu einem festen Bestandteil der kurdischen Befreiungsbewegung. Am Beispiel von Koma Berxwedan wurde deutlich, dass Musik für den Widerstand eine signifikante Rolle spielt. Seit jeher ist Musik ein starkes soziales und politisches Ausdrucksmittel und gleichzeitig eine Möglichkeit, Kultur und Geschichte einer Gesellschaft an die neue Generation zu vermitteln. Mit diesem Bewusstsein hatte Hozan Mizgîn die Basis für die Gründung von Koma Berxwedan gelegt. In ihrer Rolle als Pionierin gepaart mit ihrer revolutionär-militanten Persönlichkeit und Identität als Künstlerin prägte sie die kurdische Widerstandsmusik.
Die PKK sieht seit ihrer Gründung den Frauenbefreiungskampf als unabdingbar an. Die Überzeugung, dass die Freiheit der Frau das wichtigste Kriterium für die kollektive Freiheit ist, ist zentral für die Konzepte und Strukturen der kurdischen Freiheitsbewegung. Auf ihrem dritten Kongress unternahm die PKK die ersten Schritte für eine autonome Organisierung der Frauen. Die Veränderung des Freiheitskampfes wurde 1987 praktisch mit der Gründung der Union Patriotischer Frauen Kurdistans (Yekitiya Jinên Welatparezên Kurdistan, YJWK) umgesetzt. Diese Organisation untersuchte die Konstruktion der Frau und der Familie in ihrem geschichtlichen Kontext und stieß erste Diskussionen über die Probleme von Frauenorganisierung an. Sie stellte die Perspektive der Befreiung der Frau neben die Befreiung der Nation und der Klasse in den Vordergrund. Hozan Mizgîn, die mittlerweile nach Kurdistan zurückgekehrt war, gehörte zu den Gründungsmitgliedern der YJWK.
Doch auch am militärischen Kampf um das Selbstbestimmungsrecht der Kurdinnen und Kurden war Hozan Mizgîn beteiligt. Sie war die erste Guerillakommandantin auf Provinzebene der PKK, zwischenzeitlich führte sie bis zu 700 Kämpferinnen und Kämpfer an. Als Delegierte wurde sie 1991 aus Mêrdîn (Mardin) zum vierten Parteikongress entsendet. Dort wies man sie als Kommandantin der Region Garzan zu. Am 11. Mai 1992, sie hielt sich zu dem Zeitpunkt in einem Dorf nahe ihrer Geburtsstadt Tetwan auf, verriet ein Denunziant den Standort ihrer Gruppe. Daraufhin rückten hunderte Soldaten der türkischen Armee an und belagerten das Dorf. Es folgten schwere Auseinandersetzungen, die sich bis in die Abendstunden hinzogen. Hozan Mizgîn kam den Aufforderungen, sich zu ergeben, nicht nach. Sie kämpfte bis zur letzten Kugel und fiel im Widerstand. Das Lied Mizgîna leheng, geschrieben von Hozan Serhat, einem anderen Pionier der kurdischen Widerstandskultur, ist eine Hommage an Hozan Mizgîn.
*Haki Karer war ein internationalistischer Mitstreiter Abdullah Öcalans aus der Türkei und der erste gefallene Kader der „Apoisten”. An einem Maitag 1977 wurde er durch ein Komplott ermordet. Abdullah Öcalan kam nach seinem Tod zu der Überzeugung, dass nur die Gründung einer Partei dem Andenken Haki Karers gerecht werden könne und verfasste daraufhin den Programmentwurf der PKK. Wie Kemal Pir wird auch er von Öcalan als seine „geheime Seele“ bezeichnet.
**Der PKK-Kader Mazlum Doğan erhängte sich am 21. März 1982 im Gefängnis von Diyarbakir aus Protest gegen Folter und Kapitulationsforderungen und gab dadurch das Signal zum Widerstand. Nach seinem Tod und dem Todesfasten in dem Gefängnis, bei dem Kemal Pir, Hayri Durmuş und andere verstarben, brachen Unruhen aus, die dann zum internationalen Bekanntwerden des Gefängniswiderstandes führten. Vor seinem Selbstmord steckte Mazlum Doğan seine Zelle in Brand, um symbolisch auf das kurdische Neujahrsfest Newroz und den daran gekoppelten Mythos vom Schmied Kawa hinzuweisen.