Öcalan: Kurdische Einheit dringend notwendig

In einem Telefongespräch mit seinem Bruder Mehmet Öcalan gab Abdullah Öcalan eine Bewertung der aktuellen Lage im Mittleren Osten und der Krise in Südkurdistan ab. Er betonte die Notwendigkeit der kurdischen Einheit.

Nach 21 Jahren konnte der kurdische Repräsentant Abdullah Öcalan zum ersten Mal mit einem Angehörigen telefonieren. Auch seine ebenfalls auf Imrali isolierten Mitgefangenen Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş konnten telefonisch mit Familienangehörigen sprechen. Abdullah Öcalans Gespräch mit seinem Bruder dauerte etwa 25 Minuten.

Mehmet Öcalan berichtete gegenüber der Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) über das Gespräch mit dem PKK-Vorsitzenden: „Wir wurden zur Generalstaatsanwaltschaft von Urfa [kurdisch Riha] geschickt, um das Telefongespräch zu führen. Nur ich allein wurde in den Raum gelassen, in dem das Telefongespräch stattfinden sollte. Wir hatten gegen 13 Uhr etwa 20 bis 25 Minuten Zeit, über das Festnetz der Staatsanwaltschaft zu sprechen. Ich war glücklich, als ich die Stimme des Vorsitzenden am Telefon hörte."

Öcalans Bruder wies darauf hin, dass es ein Grundrecht sei, mit Gefangenen zu telefonieren und sie zu besuchen, er jedoch unzählige Male abgewiesen wurde und die Fähre auf dem Weg nach Imrali wiederholt auf halber Strecke zurückgefahren sei. „Unser verfassungsmäßiges und demokratisches Recht wird uns seit 21 Jahren verweigert. Die Ohren und Augen des kurdischen Volkes sind auf Imrali gerichtet“, betonte er.

Im Moment geht es mir gut, aber ich weiß nicht, ob es so weitergeht“

Abdullah Öcalan erklärte gegenüber seinem Bruder, dass die Zeit zu kurz sei, um das aktuelle Geschehen zu bewerten, er werde sich daher auf die notwendigsten Punkte beschränken. Mehmet Öcalan fasst zusammen: „Ich habe ihm gesagt, dass die Bevölkerung aufgrund der Pandemie beunruhigt sei und sich über die Lage auf Imrali Sorgen mache. Der Vorsitzende sagte, dass es ihm im Moment gesundheitlich gut gehe, er jedoch nicht wisse, ob es so weitergehe.“ Öcalan habe nicht weiter über die Pandemie gesprochen, sondern vielmehr über die Entwicklungen in Kurdistan.

Kurden werden gegen Kurden ausgespielt“

Mehmet Öcalan berichtete weiter: „Er sagte zu den Entwicklungen im Süden [Südkurdistan], dass hier Kurden gegen Kurden ausgespielt werden und dass aus einem solchen Konflikt nichts für die Kurden zu gewinnen sei. Diese Politik werde aber auch der Türkei nicht zum Vorteil gereichen. Weder die PDK noch die YNK oder irgendeine andere kurdische Bewegung solle dem Trugschluss aufsitzen, dass ihnen für ihre Unterstützung das Recht auf einen eigenen Staat gewährt werde. Das sei weder akzeptabel noch realistisch. Er forderte, auf der Grundlage kurdischer Einheit zu agieren.“

Die Kurden brauchen keinen Krieg, sondern Einheit“

Abdullah Öcalan habe darauf hingewiesen, dass die Kurden seit 40 Jahren Einheit brauchen, erklärte Mehmet Öcalan und fuhr fort: „Er sagte, die Menschen, die dort leben, sind Kurden und bei einem Blutvergießen werden alle eine Niederlage erleiden. Dies gelte sowohl für Qendîl als auch für die Regionalregierung. Er betonte, seine Nachricht richte sich an die Familie Barzani, die Familie Talabani und die Menschen in Südkurdistan. Die Kurden bräuchten keinen Krieg und kein Blutvergießen, sondern Frieden. Das sei die wichtigste Botschaft.

Das Protokoll von 1982 könnte aktualisiert werden

1982 war ein Zehn-Punkte-Abkommen mit Idris Barzani, dem Vater von Neçirvan Barzani, geschlossen worden. Auch die YNK wusste davon. Dieses Abkommen könnte heute erneuert werden. Er richtete an Neçirvan Barzani, Mesrur Barzani sowie an die Kinder Celal Talabanis Grüße aus und sagte: ‚Sie müssen wissen, wenn sich die Kurden nicht einig sind, dann wird niemand etwas für sie tun, sie sollen niemandem trauen. Ein Blutvergießen unter Kurden sei inakzeptabel, weder das Volk noch wir akzeptieren es. Wenn es ein Problem gibt, dann muss dies im Dialog gelöst werden und der Frieden garantiert bleiben.‘ Er betonte, dass alle die dringende Notwendigkeit der kurdischen Einheit wahrnehmen müssen. Der Weg zur Einheit laufe über alle vier Teile Kurdistans. Der Vorsitzende fuhr fort: ‚Die Kurden müssen an einem bestimmten Punkt zu einer Verständigung kommen und wenn es ein Problem gibt, dann muss es im Dialog gelöst werden. Das liegt an den Familien Barzani und Talabani, wie auch bei den Freunden in Qendîl. Sowohl das kurdische Volk als auch wir erwarten, dass kein Blut unter Kurden vergossen wird.“

Organisierung in allen vier Teilen muss ausgebaut werden“

Abdullah Öcalan äußerte sich im Gespräch mit seinem Bruder auch über die Lage in Rojava: „Er sagte: ‚Soweit ich es gehört habe, ist die Situation in Rojava weder gut noch schlecht.‘ Der Vorsitzende erklärte, dass die demokratischen Institutionen und Parteien in Rojava ihre demokratische Struktur nicht haben ausweiten können und immer noch sehr beschränkt seien. Er wies darauf hin, dass auf diese Weise keine Lösung geschaffen werden könne. Wenn man keine Kraft darstelle, könne sich keine Lösung entwickeln. Der Vorsitzende fuhr mit den Worten fort: ‚Eine Haltung, nach dem Motto Klein aber Mein ist inakzeptabel. Alle müssten sich selbst vertreten. Unsere Partei wird das nie akzeptieren, es darf keine Organisierung entlang von Ethnien oder Konfessionen geben. Es wäre gut, wenn ihr eine demokratische Einheit über die Partei garantiert und stärkt.

Niemand soll mich für seine Interessen benutzen“

Es gibt manch falsche Bewertung über mich. Ich weiß, was ich hier für einen Kampf führe. Wenn es in nächster Zeit die Möglichkeit geben sollte, werde ich die notwendige Antwort geben. Niemand soll mich für seine Interessen benutzen. Die ganze Welt weiß, was ich seit 50 Jahren mache. Die Freunde bei mir und ich machen alle guten Dinge, die uns aus unseren Zellen heraus für unsere Genoss*innen möglich sind. Es ist nicht akzeptabel, wenn damit nicht richtig umgegangen wird. Alles liegt ganz offen. Es gibt nichts zu verstecken. Es gibt ein großes Problem und alle müssen auf die richtige Weise arbeiten. Es fließt Blut, wenn ihr stark seid, dann könnt ihr es stoppen. Dafür müssen alle kämpfen, das muss der Schwerpunkt sein.

HDP muss Organisierung ausbauen“

Die HDP muss sich stärken. Sie muss wichtige Arbeiten ausführen und sich entlang einer breiten Perspektive bewegen. Sie muss ihre Organisierung ausweiten und zu einer Kraft werden. Wenn sie das nicht tut, wird sie von der Gegenseite vernichtet werden.‘”

Grüße an die Gefangenen“

Mehmet Öcalan schloss seinen Bericht: „Der Vorsitzende wiederholte seine Botschaft, die er uns bei unserem letzten Besuch am 3. März auf Imrali mitgegeben hat. Er erklärte, der Inhalt der Botschaft solle umgesetzt werden. Der Vorsitzende grüßte zuletzt die Freundinnen und Freunde in den Gefängnissen, die Familien der Gefallenen und die Bevölkerung. Er schloss mit den Worten: Ich grüße alle, die nach mir fragen und mir zuhören.“