„Für unseren Mandanten Öcalan besteht ein hohes Risiko“

Die Isolation Abdullah Öcalans und seiner drei Mitgefangenen auf Imrali lässt sich nicht mit dem häuslichen Rückzug während der Corona-Pandemie vergleichen. Rechtsanwalt Ibrahim Bilmez hofft auf Empathie.

Das in Istanbul ansässige Rechtsbüro Asrin hat das Antifolterkomitee des Europarats (CPT) in einem Bericht vom 16. April über die rechtswidrigen Zustände auf der Gefängnisinsel Imrali während der Corona-Pandemie zum Handeln aufgefordert. Rechtsanwalt Ibrahim Bilmez vom Verteidigerteam Abdullah Öcalans sagt, dass die seit 21 andauernde Isolation nicht der Gesundheit dient, sondern aus politischen Gründen als Maßnahme der Rache und Bestrafung angewendet wird. Für seinen Mandanten besteht aufgrund seines Alters und einer chronischen Atemwegserkrankung ein hohes Risiko, erläutert Ibrahim Bilmez Im ANF-Interview.

Die ohnehin schlechten Zustände in den Gefängnissen der Türkei sind durch die Corona-Pandemie noch kritischer geworden. Sie haben sich für Ihre Mandanten Abdullah Öcalan, Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş an das CPT gewandt. Warum halten Sie das für notwendig?

Das Isolationssystem auf Imrali stellt einen Zustand der Rechtlosigkeit dar, in dem es keinen Informationsfluss gibt. Es handelt sich nicht um die Art der Isolation, die in der Corona-Pandemie als Präventionsmaßnahme empfohlen wird. Die seit 21 Jahren andauernde Isolation wird als Mittel der Bestrafung und Rache angewendet. Auf Imrali sind Hunderte zivile und militärische Personen beschäftigt, die in regelmäßigen Abständen ausgetauscht werden und in Schichten arbeiten. Sie kommen also von außerhalb und es lässt sich nicht kontrollieren, ob sie das Virus mit auf die Insel bringen. Unsere Anträge auf Präventionsmaßnahmen sind abgelehnt worden, ebenso unsere Forderung, dass wir über die getroffenen Maßnahmen informiert werden. Diese juristischen Vorgänge, unsere Sorge und unsere Forderungen haben wir in einem Bericht zusammengefasst und an das CPT weitergeleitet.

In Ihrem Bericht steht auch, dass Ihre Mandanten wegen einer verhängten Disziplinarstrafe nicht telefonieren dürfen. Wie passt dieses Verbot in der Zeit der Pandemie zu den Menschenrechten?

Herr Öcalan konnte sein Recht auf telefonische Kommunikation noch kein einziges Mal nutzen, seit er auf Imrali ist. Auch unsere anderen drei Mandanten, die später nach Imrali gekommen sind, durften von dort aus noch nie telefonieren, obwohl sich an ihrem Status nichts geändert hat und sie in den vorherigen Haftanstalten mit ihren Angehörigen telefoniert haben. Es gibt auch weitere Mandanten, die eine Zeitlang auf Imrali waren und jetzt in anderen Gefängnissen sind, wo sie mit Familienangehörigen telefonisch sprechen können. Wegen der Pandemie ist die Gesprächsdauer bei Telefonaten generell verlängert worden, auch dieses Recht können sie wahrnehmen. Das alles zeigt, dass man nicht von einem Rechtssystem auf Imrali sprechen kann. Auf der Insel ist ein gesondertes Isolationssystem installiert worden, in dem das Recht nicht zählt und absolute Willkür herrscht.

Dafür gibt es so viele Beispiele, dass sie gar nicht alle aufgezählt werden können. Ich will nur ein Beispiel nennen: Ohne unser Wissen bekommen unsere Mandanten Disziplinarstrafen. Diese haben den Zweck, sie als Begründung für die Ablehnung von Familienbesuchen heranzuziehen. Seit Jahren werden jede Woche die Besuchsanträge der Angehörigen mit dieser Begründung abgelehnt. Warum und aus welchem Grund diese Disziplinarstrafen verhängt werden, wissen wir nicht, aber wir sind sicher, dass sie willkürlich erfolgen. Noch schlimmer ist eigentlich, dass wir von dem gesamten Vorgang nicht in Kenntnis gesetzt werden. Und wenn wir auf irgendeine Weise davon erfahren, werden uns die Ermittlungsakten vorenthalten. Ist die Widerspruchsfrist noch nicht abgelaufen, versuchen wir ohne Akteneinsicht dagegen vorzugehen, ohne den Grund für die Disziplinarstrafe zu kennen. In der gesamten Türkei können Anwälte, wenn sie ein Mandat haben, über das UYAP-System Akteneinsicht bekommen und auf dem gleichen Weg Anträge einreichen. Aber wir bekommen auch auf diesem Weg keine Akteneinsicht. Die Begründung ist immer dieselbe: Sicherheit!

Ihr Mandant Abdullah Öcalan ist 71 Jahre alt und befindet sich somit in der Risikogruppe der Pandemie. Er wird seit 21 Jahren unter schweren Isolationsbedingungen festgehalten und hat darüber hinaus Atemwegsbeschwerden. Bedeutet die Fortsetzung der Haftbedingungen nicht ein Gesundheitsrisiko?

Natürlich stellt die Pandemie eine große Gefahr für die Gesundheit und das Leben unseres Mandanten dar. Wie Sie gesagt haben, besteht aufgrund seines Alters und insbesondere wegen einer chronischen Atemwegserkrankung ein hohes Risiko, zumal er seit 21 Jahren unter erschwerten Isolationsbedingungen leben muss. In den genannten Anträgen haben wir darauf hingewiesen und die notwendigen Maßnahmen gefordert, aber wie gesagt, sie wurden auf willkürliche Weise abgelehnt. Und wir wissen im Moment einfach nicht, wie es Herrn Öcalan und unseren anderen Mandanten gesundheitlich geht.

Hinsichtlich der Haftanstalt Imrali gibt es noch einen weiteren negativen Aspekt: Sollten unsere Mandanten sich mit dem Virus infizieren, gibt es auf der Insel keine Behandlungsmöglichkeiten, es gibt zum Beispiel keine Krankenstation mit einem Beatmungsgerät. Und wir wissen, dass bei dieser Krankheit eine rechtzeitige und schnelle Intervention wichtig ist. Eine Verlegung von Imrali in ein Krankenhaus auf dem Festland würde Stunden dauern. Auch das bereitet uns Sorgen.

Sie haben etliche Male eine Gesprächsmöglichkeit gefordert. Momentan wird jedoch generell von persönlichen Kontakten abgeraten. Wie könnte Ihrer Meinung nach ein Gespräch ohne Gesundheitsgefährdung ablaufen?

Natürlich sind uns die zu beachtenden Regeln bei der Pandemie bekannt und das teilen wir auch in unseren Besuchsanträgen mit. Wir sagen, dass wir unter angemessenen Bedingungen sprechen wollen. Für den Kontakt zwischen Anwälten und Mandanten ist das persönliche Gespräch von Angesicht zu Angesicht grundlegend, aber von diesem Recht können aus gesundheitlichen Gründen ausnahmsweise Abstriche gemacht werden. Anstelle von direktem Kontakt kann mit Telefonhörern durch eine Trennwand ein Gespräch geführt werden. In einigen Haftanstalten finden solche Mandantengespräche statt.

Durch die Corona-Pandemie bekommen die Menschen eine Ahnung, was Isolation bedeutet. Ihr Mandant Abdullah Öcalan befindet sich seit Jahren unter schweren Isolationsbedingungen. Was können Sie dazu sagen?

Wie ich zu Beginn gesagt habe, lässt sich die Isolation auf Imrali, die aus Rache praktiziert wird und außer einer Bestrafung politische Absichten verfolgt, nicht mit der von uns größtenteils freiwillig und vorübergehend für unsere Gesundheit eingehaltenen Isolation vergleichen. Wir können bequem zu Hause sitzen, haben Zugang zu allen möglichen Kommunikationsmitteln und Medien und können mit unseren Liebsten, wenn wir sie vermissen, Videogespräche über den Computer und das Telefon führen, und selbst darüber beschweren wir uns manchmal. Herr Öcalan und die anderen drei Menschen, die auf Imrali isoliert werden, können seit Jahren nur in sehr begrenzten Ausnahmefällen mit ihren Anwälten oder Angehörigen sprechen. Sie können sich weder telefonisch noch schriftlich austauschen, nicht nach dem Befinden ihrer Liebsten fragen und nichts von ihrer eigenen Lage erzählen. Vielleicht entsteht ja durch den häuslichen Rückzug während der Pandemie ein wenig Empathie bei den Menschen.

Sie haben sich als letzten Ausweg an das CPT gewandt, kann das Komitee in diesem Zustand der Rechtlosigkeit eine Lösung erwirken? Welche Schritte erwarten Sie? Und können Sie einschätzen, wann Ihr Antrag beantwortet wird?

Das CPT ist eine der wenigen offiziellen internationalen Einrichtungen, die in der Lage ist, die Isolation und die Rechtswidrigkeiten auf Imrali feststellen und ihre Aufhebung zu fordern. Es beobachtet den Vorgang auf Imrali seit Februar 1999 und hat die Insel mehrfach besucht. Nach den Besuchen sind Berichte über die festgestellten Rechtswidrigkeiten erstellt worden, die auch Ratschläge für die Verbesserung der Situation beinhalten. Diese Berichte sind zuerst der Türkei vorgelegt und später veröffentlicht worden. Das Problem ist jedoch, dass alle unsere Beschwerden über Rechtswidrigkeiten und die Isolationsmaßnahmen, also die gesamte Willkür, bereits in allen vom CPT veröffentlichten Berichten aufgeführt sind. Was das CPT also tun muss, ist die sofortige Kontaktaufnahme zu den zuständigen Behörden in der Türkei. Es muss dafür sorgen, dass unsere dringenden Forderungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie erfüllt werden, und es muss die Entwicklungen weiter verfolgen. Andernfalls bedeutet es eine schweigende Zustimmung zu dem Vorgehen auf Imrali.

In unserem letzten Bericht an das CPT haben wir zusammengefasst folgende Forderungen aufgestellt: Um ein Übergreifen des Virus auf die Haftanstalt Imrali zu verhindern, müssen dringend die notwendigen gesundheitlichen und hygienischen Maßnahmen getroffen werden; wir wollen umfänglich über den Gesundheitszustand unserer Mandanten aufgeklärt werden; es müssen Angehörigen- und Anwaltsgespräche unter passenden Bedingungen mit unseren Mandanten stattfinden; das Recht auf telefonischen Kontakt muss sofort Anwendung finden, die systematische Verhängung von willkürlichen Disziplinarstrafen muss beendet und die bereits angeordneten Sanktionen müssen aufgehoben werden.