Das Istanbuler Rechtsbüro Asrin befürchtet, dass sich das Coronavirus auf der Gefängnisinsel Imrali ausbreiten könnte und hat deshalb das Antifolterkomitees des Europarats (CPT) aufgefordert, unverzüglich zu handeln, um die Gefangenen Abdullah Öcalan, Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş zu schützen. In einem beim CPT eingereichten Bericht zur aktuellen Pandemie-Situation in der Türkei fordert Asrin das Antifolterkomitee eindringlich auf, Initiativen zur Umsetzung der im Zusammenhang mit Covid-19 empfohlenen gesundheitlichen und hygienischen Maßnahmen zu ergreifen, insbesondere vor dem Hintergrund der Vorerkrankungen seiner Mandanten. Alle Imrali-Gefangenen leiden unter chronischen Atemwegserkrankungen, da sich die klimatischen Bedingungen nachteilig auswirken: Im Winter ist es sehr kalt, im Sommer sehr schwül und feucht. Am schlechtesten von allen dürfte es in dieser Hinsicht Abdullah Öcalan ergehen, da er sich bereits seit mehr als 21 Jahren in politischer Geiselhaft auf Imrali befindet. Hinzu kommt sein hohes Alter. Mit 71 Jahren ist der kurdische Vordenker nicht mehr der Jüngste, damit gehört er zur Personengruppe, die nach bisherigen Erkenntnissen ein höheres Risiko für einen schweren oder gar tödlichen Krankheitsverlauf haben.
Das Rechtsbüro Asrin weist in dem Bericht auf eingebrachte Vorschläge hin, damit das Virus nicht auf Imrali gelangt und sich unkontrolliert sowohl im Gefängnis als auch auf der Insel ausbreitet. Einen entsprechenden Antrag für die Umsetzung von Präventionsmaßnahmen und Telefonkontakt mit Öcalan lehnte das Vollzugsgericht wegen Nichtzuständigkeit ab. Asrin hatte die Begründung der Ablehnung als juristisch nicht haltbar bezeichnet, weil es gerade in das Aufgabengebiet der Vollzugsgerichtsbarkeit falle, Beschwerden über mangelnde Fürsorge hinsichtlich der somatischen und psychischen Gesundheit der Gefangenen und über ihre Kontaktmöglichkeiten mit der Außenwelt zu untersuchen und darüber zu entscheiden. Das Rechtsbüro hat aus diesem Grund Rechtsmittel gegen den Ablehnungsbeschluss eingelegt.
Ein weiterer Punkt, der im Bericht von Asrin hervorgehoben wird, sind die vollkommen willkürlich gegen die Imrali-Gefangenen verhängten Disziplinarstrafen. Beschlüsse zur Einschränkung der Kommunikationsmöglichkeiten würden für sechs Monate angeordnet, obwohl die gesetzlich festgelegte Höchstgrenze für Disziplinarstrafen im Vollzug bei drei Monaten liegt. Dies sei ein weiteres Zeichen dafür, dass es sich bei Imrali um einen „rechtsfreien Raum” handelt. Weil die Verhängung der Disziplinarstrafe ungesetzlich ist, Entscheidungen des Verfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschen widerspricht und die Empfehlungen des Antifolterkomitees des Europarats (CPT) nicht umgesetzt werden, haben die Anwälte auch gegen diesen Beschluss Rechtsmittel eingelegt.
Konkret fordert Asrin vom CPT:
-Informationen zur Lage und Verfassung der Imrali-Gefangenen beim Justizministerium, der Generaldirektion für Straf- und Haftanstalten und bei Regierungsvertretern einfordern
-Sicherstellen, dass alle erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus ergriffen werden, um eine Einschleppung in das Inselgefängnis und damit die Infizierung der Gefangenen zu verhindern
-Sicherstellen, dass die von Menschenrechtsorganisationen, Juristenvereinigungen und NGOs wie IHD, TIHV, ÖHD, ÇHD, SES und CISST in einer gemeinsamen Erklärung (30. März) empfohlenen Präventionsmaßnahmen und Verhaltensregeln in den Gefängnissen umgesetzt und eingehalten werden
-Gewährleisten, dass die Disziplinarstrafen gegen die Imrali-Gefangenen aufgehoben oder aufgeschoben werden
-Notwendige Schritte unternehmen um sicherzustellen, dass unter angemessenen Bedingungen Anwalts- und Familienbesuche sowie Telefongespräche mit den Imrali-Gefangenen stattfinden können.