Öcalan-Anwälte: Isolation auf Imrali hat sich institutionalisiert

Das Rechtsbüro Asrin, das Abdullah Öcalan seit seiner völkerrechtswidrigen Verschleppung in die Türkei vor 21 Jahren vertritt, hat einen Bericht über die Menschenrechtsverstöße und verschärfte Isolation auf der Gefängnisinsel Imrali veröffentlicht.

Das Istanbuler Rechtsbüro Asrin, das den PKK-Gründer Abdullah Öcalan seit seiner völkerrechtswidrigen Verschleppung aus Kenia in die Türkei vor 21 Jahren vertritt, hat einen Bericht über die Menschenrechtsverstöße und verschärfte Isolation auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali veröffentlicht. In dem zwölfseitigen Dokument hält der Rechtsbeistand Öcalans fest, dass der Einfluss des Isolationssystems auf dem Inselgefängnis 2019 sowohl auf politischer als auch juristischer Ebene deutlich zu spüren war. Die dort jenseits der Grenzen des geltenden Rechts angewandten ‚Gesetze‘ seien in einen juristischen Rahmen eingebettet worden und hätten als Maßnahmen mit normativem Charakter unmittelbare Auswirkungen auf alle Bereiche des Lebens. Die Schuld an der Verschärfung der Isolation auf Imrali sieht Asrin jedoch nicht allein bei juristischen Institutionen sowie Organisationen innerhalb der Türkei. Das Rechtsbüro prangert an, dass Institutionen wie das CPT (Antifolterkomitee des Europarats)  und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Hinblick auf Imrali ihre Missionen nicht erfüllen und mitverantwortlich für die Situation Öcalans sind. Die Anwält*innen fordern beide Seiten auf, auf Grundlage der universellen Menschenrechte und gemäß der eigenen Verantwortungen aktiv zu werden und zu handeln.

Neben den rechtlichen Dimensionen der Isolation, die Abdullah Öcalan und seinen drei Mitgefangenen auferlegt wird, geht das Rechtsbüro Asrin in seinem Bericht den komplexen Dialektiken des Imrali-Systems nach, die das Handlungsmuster der Politik bestimmen. Im Besonderen hinsichtlich der von Konflikten und Spannungen geladenen Atmosphäre, aber darüber hinaus auch im Rahmen seiner »Haltung auf Imrali«* habe Öcalan bei Besuchen und Konsultationen auf der Insel stets neue Perspektiven entwickelt und Lösungsansätze für bestehende Probleme geschaffen. Die positiven und negativen Reaktionen, die seine Haltung in den unterschiedlichsten Kreisen hervorriefen, demonstrierten deutlich den Zusammenhang der Dialektik und Dynamik zwischen dem System auf Imrali und Krieg-Frieden, Putschmechanismus-Demokratisierung sowie Krise-Lösung. „An diesem Punkt erläuterte Öcalan, dass die ihm allgemein, aber insbesondere seit 2015 auferlegte Isolation mit den heutigen Kriegen im Mittleren Osten zusammenhängt und er sich in dieser Zeitspanne trotz aller Schwierigkeiten für den Frieden auf den Widerstand fokussiert hat“, heißt es weiter.

Mandantenbesuche auf Imrali

Mit einem über Monate andauernden Hungerstreik, den die HDP-Abgeordnete Leyla Güven am 7. November 2018 im Gefängnis von Diyarbakir (kurd. Amed) initiiert hatte und dem sich im Verlauf der Aktion mehrere tausend Aktivisten und Sympathisanten der kurdischen Freiheitsbewegung anschlossen, konnte die Totalisolation Abdullah Öcalans 2019 kurzzeitig durchbrochen werden. Die Generalstaatsanwaltschaft von Bursa hatte nach achtjähriger Verweigerung am 2. und 22. Mai, am 12. und 18. Juni und am 7. August den Besuch der beiden Anwält*innen Rezan Sarıca und Newroz Uysal bei Öcalan gestattet. Zuvor konnte Öcalan zuletzt am 27. Juli 2011 Anwaltsbesuch auf Imrali empfangen.

Bei der letzten Konsultation mit seinem Rechtsbeistand erklärte Öcalan dann einmal mehr seine Bereitschaft, für Gespräche über eine politische Lösung der kurdischen Frage zur Verfügung zu stehen. Zwei Tage später wurden ihm und seinen Mitgefangenen von der Generalstaatsanwaltschaft Bursa ein dreimonatiges Besuchsverbot auferlegt. Dem Verteidigerteam der Imrali-Gefangenen wurde das Widerspruchsrecht zu diesem Beschluss verweigert. Seitdem wurden alle Besuchsanträge ihrer Angehörigen sowie der Öcalan-Anwält*innen entweder abgelehnt oder nicht beantwortet.

EGMR rügte Türkei wegen Isolationshaft

„Allein die Existenz eines Inselgefängnisses, in das Anwälte für einen Zeitraum von acht Jahren keinen Zugang haben, ist ein eklatantes Beispiel dafür, die Abwesenheit juristischer Rechte auf Imrali zu begreifen. Mit dem seit dem 21. Juli 2016 bestehenden Telefon/Briefkontaktverbot für alle vier Gefangenen hat sich die Situation noch einmal verschärft.“ An dieser Stelle verweist der Bericht auf eine Rüge des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Die Straßburger Richter verurteilten die Türkei im Jahr 2014, weil sie Öcalan bis 2009 jahrelang allein auf der Gefängnisinsel festhielt. Der Gerichtshof sieht darin einen Verstoß gegen das „Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung“, das in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschrieben ist.

„Die Gewährleistung des Kontakts zur Außenwelt nach jahrelanger Abschottung hat einmal mehr gezeigt, dass Öcalan eine Schlüsselrolle für die Stabilität und den Frieden in der Türkei spielt und er unverzichtbar für die Lösung der bestehenden Probleme ist, die sich im Spannungsfeld der gesamten Region ergeben. Bei den 2019 geführten Konsultationen zeigte Öcalan entscheidende Perspektiven zur Lösung der kurdischen Frage und erläuterte die Hintergründe. Er machte wichtige Bewertungen zu den Entwicklungen in Nord- und Ostsyrien und den Hungerstreiks, zur kurdischen Identität, Geschichte und Kultur, kommunale Demokratie, demokratische Politik, demokratische Allianzen und demokratische Verhandlungsansätze und Feminizid“, heißt es weiter im Bericht.

Situation der Mitgefangenen Öcalans

Außer Abdullah Öcalan befinden sich mit Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş drei weitere PKK-Gefangene auf der Insel Imrali, die ebenfalls vollständig von der Öffentlichkeit abgeschottet werden. Ömer Hayri Konar und Veysi Aktaş befinden sich seit März 2015 auf Imrali, Hamili Yıldırım wurde rund vier Monate später in das Inselgefängnis verlegt. Nach jahrelanger Kontaktsperre durften die Familien der Imrali-Gefangenen erstmals am 5. Juni 2019 ihre Angehörigen treffen. Seit August gibt es kein Lebenszeichen mehr von ihnen.

Nach Angaben der Anwaltskanzlei Asrin haben die Mitgefangenen Öcalans seit ihrer Überführung nach Imrali kein einziges Anwaltsgespräch führen können. Ein Gerichtsbeschluss zum Kontaktverbot mit den Verteidigern liegt nicht vor. Seit Ende 2018 werden zudem für jeweils drei Monate Disziplinarstrafen verhängt, mit denen der Kontakt zu Angehörigen unterbunden wird. Mitte Januar hat das Rechtsbüro Asrin dagegen Beschwerde beim türkischen Verfassungsgericht eingereicht. In der Beschwerde wird bemängelt, dass das Recht der vier Imrali-Gefangenen auf ein faires juristisches Verfahren verletzt wird. Die Verhängung der dreimonatigen Disziplinarstrafen erfolgt systematisch jeweils kurz vor Ablauf der letzten Sanktion. Dem Verteidigerteam wird die vollständige Akteneinsicht verwehrt. Das Verfassungsgericht soll feststellen, dass die Rechte der Gefangenen verletzt werden.

CPT mitschuldig an Isolation

Das CPT ist die einzige Institution, die alle Haftanstalten in den Mitgliedsländern des Europarats inspizieren kann. Das Komitee ist daher in erster Linie dafür verantwortlich, Probleme wie die Isolationsfolter zu lösen.

Im April 2016 hatte das Antifolterkomitee eine Untersuchung im Inselgefängnis Imrali durchgeführt. Der dazugehörige Bericht wurde allerdings erst knapp zwei Jahre später veröffentlicht. Darin hält das CPT fest, dass Öcalan und seine Mitgefangenen keinen Besuch von ihren Anwälten und Angehörigen empfangen können und fordert die Beendigung dieses Zustands. Nach eindringlichen Hinweisen darauf, dass sich die politische und rechtliche Lage in der Türkei in der Zeitspanne zwischen der Inspektion auf Imrali und der Veröffentlichung des Berichts drastisch verschärft hat, besuchte das CPT im Mai 2019 erneut Imrali. Der Bericht dazu liegt noch immer nicht vor. Im Hinblick darauf, dass Imrali ein rechtsfreier Raum ist, fordert die Anwaltskanzlei Asrin das Antifolterkomitee auf, die Ergebnisse der Inspektion unverzüglich für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Laufende Verfahren

Zu den juristischen Schritten, die das Rechtsbüro gegen die Rechtsverstöße auf Imrali eingeleitet hat, heißt es, dass zwölf Verfahren beim türkischen Verfassungsgerichtshof, jeweils eine Beschwerde bei der Oberstaatsanwaltschaft Bursa und beim Rat der Richter und Staatsanwälte sowie eine weitere Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof anhängig sind.

Imrali: Ein rechtsfreier Raum

Zum Verständnis: Die Insel Imrali ist nicht ausschließlich ein Ort, an dem sich ein Gefängnis befindet. Sie steht für ein System, mit dem ein völlig neues Bestrafungsregime umgesetzt wird. Imrali ist eine Rechtsinstitution, die als Prototyp für die tatsächlichen Macht- und Kontrollmethoden in der Türkei dient. Die durchgängige Existenz Imralis als ein Ausnahmezustandsregime über einen Zeitraum von mittlerweile 21 Jahren hat ermöglicht, dass der Ausnahmezustand bzw. die Ausnahme in ganz andere Bereiche ausgebreitet werden konnte. Imrali stellt den Kern bzw. die Basis dieser Entwicklung dar. Auf der Insel existiert kein Gefängnissystem, das auf rechtlichen Rahmenbedingungen basiert. Das Imrali-System ist von Anfang an etwas, das sich außerhalb des Rechts bzw. im Widerspruch zum bestehenden Recht befindet. Es ist auf technischer, physischer und rechtlicher Ebene weder ein Teil des Gefängnissystems noch vollständig unabhängig davon und war schon immer Ausdruck einer äußerst effektiven, neuen und außergewöhnlichen Machttechnik, die daran krankt, dass sie weder wirklich rechtsstaatlich beschaffen ist noch das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit vollkommen ausschließt.


*Nach Öcalan handelt es sich bei der Imrali-Haltung um ein politisches Subjekt. Der Zustand dieses politischen Subjekts sei grundlegend für die Bemühungen um eine demokratische Lösung und einen würdevollen Frieden. In der Newroz-Deklaration von 2013 geht es ebenfalls um eine politische Lösung und einen würdevollen Frieden.