Fuat Kav: Der Hungerstreik von 1982 war ein Wendepunkt

Fuat Kav ist einer der Überlebenden des großen Hungerstreiks im Gefängnis von Amed im Jahr 1982. Gegenüber ANF berichtet er, wie die damalige Lage in den Kerkern der türkischen Militärjunta war und wie er diese Zeit erlebt hat.

Einer der wichtigsten Punkte der nach dem Militärputsch vom 12. September 1980 in den Gefängnissen begonnenen Widerstandsserie gegen das faschistische Regime war der große Hungerstreik vom 14. Juli 1982. An der Spitze des 65-tägigen Todesfastens kamen Mehmet Hayri Durmuş, Kemal Pir, Akif Yılmaz und Ali Çiçek ums Leben. Fuat Kav, der an der Widerstandsgruppe beteiligt war und heute im Exil in Europa lebt, hat sich gegenüber ANF zu der damaligen Zeit geäußert.

Mit dem Militärputsch sollte der revolutionäre Kampf erstickt werden

Fuat Kav erinnert daran, dass das Ziel des Militärputsches darin bestand, den sich entwickelnden sozialistischen und kurdischen nationalen Befreiungskampf zu ersticken: „Mit dem Militärputsch begann eine dunkle Zeit in Kurdistan. Alle Vereine und Parteien wurden aufgelöst, Städte und Dörfer überfallen, Menschen auf den Straßen massakriert und Frauen, Männer und Kinder auf Dorfplätzen gefoltert. Dies war eine systematische Praxis. Um den sich entwickelnden Freiheitskampf zu ersticken, wurde den Menschen eine von brutaler Grausamkeit geprägte Zeit auferlegt."

Folter und psychologische Kriegsführung

Das Geschehen in den Gefängnissen sei um ein Vielfaches brutaler gewesen als „draußen“, erläutert Fuat Kav: „Das Konzept und das Ziel des türkischen Staates in Diyarbakır [ku. Amed] war es, die PKK zur Kapitulation zu zwingen. Die PKK-Gefangenen hatten dazu ein Gegenkonzept: ,Wir werden uns nicht ergeben, wir werden nicht verraten und wir werden Widerstand leisten.' So begannen Hungerstreiks und Todesfasten. Da die Ziele klar waren, blieben die Verhandlungen ergebnislos. Das Ziel von Staat und Armee war es, die PKK im Gefängnis zu beenden. Zu diesem Zweck griffen sie zu allen möglichen Lügen, Täuschungen und Tricks: Eine Vereinbarung treffen, sie aber nicht umsetzen, einen Dialog beginnen, ihn dann aber abbrechen. Dabei handelte es sich um eine weitere Form der Folter und der psychologischen Kriegsführung.

Türkisches Spezialteam in Amed

Das in Diyarbakır gebildete Team war ein Spezialteam der türkischen Armee. Kemal Yamak war der Kommandeur des 7. Korps. Mit dem Kommandeur des 7. Korps war der Verantwortliche für die Sonderkriegsführung in Kurdistan gemeint, der gegen die Kurden kämpfte. Bei diesem Mann handelte es sich um einen Kommandeur einer Spezialeinheit, der in den USA ausgebildet worden war. Esat Oktay hingegen hatte in Zypern gegen das griechische Volk gekämpft, in Gefangenenlagern gearbeitet und war eine ausgewählte Person. Die Staatsanwälte und Richter waren ebenfalls Militärs und speziell ausgesuchte Personen. All dies wurde im Rahmen des Konzepts zur Zerschlagung der PKK vorbereitet. Entsprechend speziell waren auch die Folter und die Maßnahmen im Gefängnis. Die Gefangenen protestierten lange Zeit, konnten aber keine Ergebnisse erzielen.“

Die Aktionen von Mazlum Doğan und der „Vierergruppe“

Fuat Kav berichtet weiter, wie Mazlum Doğan an Newroz 1982 drei Streichhölzer in seiner Zelle im Gefängnis von Amed anzündete und sich das Leben nahm. Er hinterließ die Nachricht „Aufgeben ist Verrat, der Widerstand bringt den Sieg”. „Mazlum Doğan war das Vernichtungskonzept bewusst und er opferte sich, um es zu verhindern. Unmittelbar danach wurde die Aktion der Vier bekannt. Ferhat Kurtay, Eşref Anyık, Mahmut Zengin und Necmi Öner opferten sich am 18. Mai 1982. Als dies nicht ausreichte, um die harten, faschistischen und blutigen Bedingungen zu ändern, war eine weitere Reihe von Maßnahmen erforderlich. Das war das Todesfasten", so Kav.

Am 14. Juli begann das große Todesfasten

Zu den Vorbereitungen für das am 14. Juli gestartete Todesfasten äußert sich Kav wie folgt: „In dieser Zeit der Brutalität gab es keine Bedingungen, um eine solche Entscheidung mit allen zu besprechen. Selbst bei denen in der 35. Gemeinschaftszelle gab es keine Möglichkeit. Nur Hayri Durmuş, Kemal Pir, Mustafa Karasu, Muzaffer Ayata und ein oder zwei andere Freunde wussten davon. Es gab nur unter den Freunden im 4. Stock eine Diskussion darüber, dass ein Todesfasten gegen diese Folterungen gestartet werden sollte. Die Entscheidung wurde im Flüsterton auf dem Weg zum und vom Gericht getroffen, oder es wurde heimlich darüber gesprochen, wenn die Wachen nachts nicht da waren. Nachdem dieser Beschluss gefasst war, wurde er so weit wie möglich an andere Freunde weitergegeben. Da war zum Beispiel Akif Yılmaz in der Zelle, in der ich untergebracht war. Er war auf dem Weg zum Gericht, und man sagte ihm: ,Wir werden in Kürze ein Todesfasten beginnen, Freunde, die daran teilnehmen wollen, können sich anschließen.' Als Akif kam und es uns mitteilte, trafen wir unsere Vorbereitungen entsprechend. Es war eine Entscheidung, die nicht jeden erreichte, sie war eng gefasst, denn wenn jeder davon gewusst hätte, wäre sie wahrscheinlich zu früh aufgeflogen. Esat Oktay hätte es durch die Verlegung der Gefangenen verhindern können.“

„Wir werden die PKK in den Gerichtssälen verteidigen“

Öffentlich bekannt geworden sei der Hungerstreik durch eine Erklärung, die Mehmet Hayri Durmuş am 14. Juli 1982 bei einer Gerichtsverhandlung abgab, erzählt Fuat Kav: „Seine Rede vor dem Gericht war sehr klar und deutlich.“ So habe Durmuş die Möglichkeit einer politischen Verteidigung vor Gericht gefordert: „Wir werden die PKK in den Gerichtssälen verteidigen, wir werden die Situation der Menschen in Kurdistan erklären. Wir werden die Geschichte Kurdistans erzählen. Wir werden die Kolonisierung erklären. Diejenigen, die in diesen Gerichten verurteilt werden sollten, sind nicht wir, sondern der Kolonialismus und der türkische Staat.“

Eine weitere Forderung war die Beendigung der Folter und Misshandlung in den Gefängnissen. „Nach Hayri Durmuş erklärten Kemal Pir, Ali Çiçek und eine Gruppe von Freunden im Gerichtssaal, dass sie sich der Aktion angeschlossen hätten. So begann am 14. Juli das große Todesfasten. Als diese Freunde ins Gefängnis zurückkamen, hörten auch wir von der Entscheidung. Akif Yılmaz war in der Zelle, in der ich untergebracht war. Zwei Tage später schlossen wir uns dem Todesfasten an.“

In die Geschichte Kurdistans eingegangen

Kav sagt, dass eine Gruppe von Menschen, die das Konzept der Folter, der Verfolgung, der Zerstörung und der Entpersönlichung in einer finsteren Zeit verhindern wollte, ihre eigenen Körper als Waffe einsetzten: „Sie zeigten einen großen Willen, als sie stundenlang, tagelang, Stück für Stück dahinschmolzen. In einem solchen Umfeld sind Folter, Hunger und Grausamkeit extrem, es gibt unbeschreibliche Praktiken. Einige kapitulierten und übten Verrat. In dieser Situation stellte sich eine Handvoll Menschen hin und sagte: ,Wir werden nicht kapitulieren, wir werden nicht verraten.' Das zeugte von einem einen großen Willen. Damals konnte niemand diese Worte sagen. Nur Hayri Durmuş und Kemal Pir und eine Handvoll Menschen, die sich um sie herum versammelt hatten, waren dazu in der Lage. Dafür sind sie in die Geschichte eingegangen. Es bedarf auch eines besonderen Willens, um eine solche Aktion zum Abschluss zu bringen. Während des Todesfastens wurden alle Arten von Folterungen fortgesetzt. Sie sollten zur Kapitulation gezwungen werden und leisteten großen Widerstand. So verhinderten sie weitere Folter im Gefängnis von Diyarbakır und brachten das Konzept der Vernichtung zu Fall. Sie haben ihre Namen in goldenen Lettern in die Geschichte Kurdistans geschrieben."


Fuat Kav ist politischer Aktivist, Journalist und Autor. Er wurde 1959 in Riha (tr. Urfa) geboren und engagierte sich ab 1976 für die Rechte der Kurdinnen und Kurden in der Türkei. Nach dem Militärputsch 1980 verbrachte er 20 Jahre in türkischen Gefängnissen, davon acht Jahre im berüchtigten Gefängnis von Diyarbakır, der „Hölle von Amed“. Er beteiligte sich am Widerstand und erfuhr dort unfassbare Formen der Grausamkeit. Sein lebendiges Gedächtnis ist eine der wenigen Quellen der verschwiegenen Geschichten, die sich hinter den Mauern türkischer Gefängnisse abspielten. Seine Memoiren erschienen 2011 in der Novelle „Mavi Ring“. Das Buch ist seit dem Verbot des Neusser Mezopotamien-Verlags durch das Bundesinnenministerium nicht mehr erhältlich. Fuat Kav lebt heute im Exil in Europa.

An dem Hungerstreik in Amed nahmen auch die weiblichen Gefangenen um die PKK-Mitbegründerin Sakine Cansız teil. Wie Fuat Kav ausführt, waren die Kommunikationsmöglichkeiten innerhalb des Gefängnisses beschränkt. Der Kontakt zwischen den Zellen und den Trakten für Frauen und Männer wurde durch Hungerstreiks erkämpft. Über den Gefängniswiderstand aus Frauenperspektive berichtet Sakine Cansız im zweiten Band ihrer dreiteiligen Biographie „Mein ganzes Leben war eine Kampf“. Sakine Cansız ist 2013 vom türkischen Geheimdienst in Paris ermordet worden.