Ayata: Der Gefängniswiderstand hat den Willen des Feindes gebrochen

Im zweiten Teil des ANF-Interviews spricht Muzaffer Ayata über die Atmosphäre in den Gefängnissen nach dem „ersten Schuss” der PKK, den Einfluss des 14. August auf die türkische Regierung und den von Vietnam inspirierten revolutionären Volkskrieg.

Welche Diskussionen hat die Nachricht vom 15. August in den Gefängnissen ausgelöst?

Es ging in den Gesprächen um die Frage, was genau passiert ist. Wer hat es gemacht und wie? Wem hätte es überhaupt gelingen können? Die Fernsehsender nannten bei der Berichterstattung schließlich keine Organisationsnamen. Wir aber blieben entspannt, weil wir uns sicher waren, dass es die PKK gewesen ist. Andere wären gar nicht in der Lage gewesen. Wir wussten um die Organisationen. Wir arbeiteten unter den gleichen Bedingungen wie sie und kannten ihre Leute. Wir kannten die Voraussetzungen ihrer Gefangenen und hatten eine Vorstellung über den Handlungsspielraum derjenigen, die außerhalb der Gefängnismauern waren. Es blieb also nur Rêber Apo. Denn der Vorsitzende legte eine außergewöhnliche Willenskraft an den Tag. Vor dem Militärputsch hatte er den Rückzug der Freunde angeordnet und Kemal Pir sowie andere ins Landesinnere geschickt, um die Reorganisierung vorzubereiten. Er hatte erkannt, dass sich das Land auf die Junta zubewegt. Er schaute voraus und ging ins Exil.  

Draußen war man einem großen Risiko ausgesetzt, die Situation war äußerst schwierig – hauptsächlich für die Jugendbewegung. Sie war nicht kampferfahren, im Land herrschte eine absolute Dunkelheit. Diese Finsternis zu durchbrechen, bedeutete den sicheren Tod. Alle gingen nach Europa. Rêber Apo widmete sich derweil ohne Luft zu holen einem erbittlichen Widerstand, bildete die Kader aus, formierte sie und wandte sich der Heimat zu. Das große Todesfasten vom 14. Juli und der Widerstand in den Gefängnissen waren der Ausdruck des Anspruchs und der Überzeugungen, wofür die PKK steht, die Erprobung ihrer Identität. Hayri* sagte immer: ‚Wir müssen uns unbedingt vor Gericht verteidigen. Wir müssen die Revolution Kurdistans, die PKK und unsere Ideologie unter Beweis stellen und sie im Protokoll aufnehmen lassen. Es muss ein historisches Dokument sein.‘  

Erste Guerillagruppen: „Bewaffnete Propagandaeinheiten“

Der 15. August hat im Gefängnis im ersten Moment Aufregung und Konzentration ausgelöst. Mit der Zeit wurde das Bild etwas klarer. Von Seiten des Staates hieß es, es seien eine Handvoll Diebe am Werk, denen gerade mal 72 Stunden Überlebensdauer eingeräumt wurden. Man hatte eben den Mund zu voll genommen. Doch allmählich wurde klar, dass es sich nicht um eine gewöhnliche Rebellion, sondern um einen Guerillakrieg handelte. Wir ahnten, dass es ein revolutionärer Krieg werden würde, ein von Vietnam inspirierter Volkskrieg. Unter diesen Umständen hätte ohnehin nichts anderes eintreten können. Die ersten am Krieg beteiligten Gruppen waren bewaffnete Propagandaeinheiten. Unbewaffnet hätte es gar keine Handlungsspielräume gegeben. Dass diese Gruppen als bewaffnete Propagandaeinheiten bezeichnet wurden, hatte seinen Grund: die Guerillakämpfer, die die Überfälle in Dih (Eruh) und Şemzînan (Şemdinli) durchführten, nannten sich „Bewaffnete Propagandaeinheit 14. Juli“ oder „Bewaffnete Propagandaeinheit 21. März“. Sie waren es, die die Aktionen ausführten.

Nach dem 15. August 1984 wurden neue Todesurteile verhängt.

Der 15. August hatte natürlich erhebliche Folgen für alle Gefangenen und die Gefängnisse. Der Schwerpunkt des Widerstands hatte sich nach draußen verschoben. Die PKK-Verfahren wurden erst nach diesem Datum abgeschlossen. Viele Gefangene haben die Todesstrafe erhalten. Bis zu diesem Zeitpunkt waren 50 Menschen aus der türkischen Linken sowie Strafgefangene hingerichtet worden. Aber die meisten Todesurteile richteten sich gegen die PKK. Dennoch konnten sie niemanden aus der PKK hinrichten. Das war das direkte Ergebnis des 15. August. Der Guerillakrieg in Kurdistan dauerte an, die Guerilla wurde nicht besiegt, nicht liquidiert. Die Türkei konnte es sich nicht leisten, die Gefangenen hinzurichten.

Wenn die Bewegung mit Hinrichtungen wie zur Zeit von Şêx Said zu zerschlagen gewesen wäre, hätte man mit der Umsetzung der Todesurteile nicht gezögert. Da sie aber nicht niedergeschlagen werden konnte, kam man zu der Überzeugung, dass Hinrichtungen eine kontraproduktive Rolle spielen und in der Gesellschaft noch größeren Hass, Wut und Protest auslösen, die Teilnahme an der Guerilla stärken und Vergeltungsmaßnahmen provozieren würden. Und da sich die Guerillabewegung nicht besiegen ließ und der Kampf immer weiter fortgesetzt wurde, ist deutlich geworden, wie fähig die PKK und ihre Führung war. Es wurde verstanden, dass diese Bewegung kein Strohfeuer ist. Es wurde klar, dass es sich um keine Bewegung handelt, die sich durch Drohungen, Großoperationen und Vernichtung einzelner Gruppen zum Rückzug bewegen lässt. Deswegen wurden die Hinrichtungen nicht vollstreckt.

Bis in die 1990er Jahre wurden 60 vom Obersten Gerichtshof bestätigte Urteile dem Parlament vorgelegt. Das Parlament hatte die Aufgabe, diese Urteile zu bestätigen. Die Hinrichtungen wurden nicht durchgeführt, weil das Parlament die politischen Bedingungen nicht für angemessen hielt. Turgut Özal stoppte die Hinrichtungen in einem einmaligen Akt zu Gunsten einer lebenslänglichen Haftstrafe von 40 Jahren. Diejenigen, die bereits zwanzig Jahre abgesessen hatten, wurden entlassen. Somit wurde niemand aus der PKK offiziell hingerichtet. Das war ein sehr wichtiges Ergebnis. Dieser Erfolg gab der großen Masse der Gefangenen, ihren organisierten Familien und auch dem juristischen und legalen Kampf großes Vertrauen und ebnete diesem den Weg. Der Erfolg hat geholfen, Selbstvertrauen zu gewinnen und mit Vertrauen in die Zukunft zu blicken. Es war sichtbar, dass mit dem 15. August eine unbesiegbare revolutionäre Kraft geschaffen worden war. Gerade vor dem Hintergrund der Erfahrung, dass die Lebensdauer aller vorherigen kurdischen Widerstände und Kämpfe nur wenige Monate betragen hatte.

Es gab vorher keinen Kampf mit einer solch langen Kontinuität. Die Guerilla machte keine Pause. Vor der Guerilla hatten die Gefängnisse den absoluten Stillstand verhindert. Der Widerstand wurde zu einem Dauerzustand. Die Bewegung machte sich den Widerstand zu eigen und stellte mit der opferbereiten militanten Haltung von Menschen wie Kemal Pir und Mazlum Doğan einen Maßstab für die Identität in der PKK auf. Die größten menschlichen Emotionen, die Opfer und das bedingungslose Eintreten für den Kampf haben tatsächlich das Niveau des Widerstands der PKK bestimmt. Eine geringere Repräsentanz ist bei der Bewegung ausgeschlossen. Es waren die intensivsten aller menschlichen Gefühle, Opfer und Hingaben, die das Widerstandsniveau in der PKK bestimmten.

Auf diese Weise entwickelte sich eine patriotische Haltung in der Bevölkerung. Tausende Dörfer wurden niedergebrannt, trotzdem wurde nicht jeder Dorfschützer und beging Verrat. Ein Teil der Bevölkerung ging ins europäische Exil, wiederum andere lebten unter großen Schwierigkeiten in den Metropolen, aber sie traten weiter für den Kampf und den Widerstand ein. Der Widerstand in allen vier Teilen Kurdistans gibt dem Volk Hoffnung.

„Gefängniswiderstand hat den Willen des Feindes gebrochen“

Die Aktion vom 15. August kam direkt nach dem großen Gefängniswiderstand am 14. Juli. Welche Verbindung besteht zwischen dem „ersten Schuss“ und dem Gefängniswiderstand?

Mit dem Gefängniswiderstand wurde der Wille des Feindes gebrochen. In Kurdistan wurde das Schweigen gestoppt. Der Gefängniswiderstand übernahm das Widerstandsfest (Newroz). Es wurde verhindert, dass die Stille hundertprozentig ist. Mit dem 15. August wurde dieser Widerstand eigentlich nach draußen, in die Berge getragen. Die Widerstandsstellung wurde gewechselt und nach draußen übergeben. Diese Aufgabe hat die Guerilla übernommen. Geist, Kraft, Organisation wurde aus dem Führungsstil Rêber Apos, seinen Gedanken, seiner Lebensform und seinen freundschaftlichen Beziehungen gezogen. Der 15. August öffnete eine neue Tür in ganz Kurdistan. Er öffnete einen neuen Weg und brachte einen historischen Neuanfang. So traf die erste von der Guerilla abgefeuerte Kugel die Furcht des kurdischen Volkes und durchbrach die Stille, das Schweigen und erleuchtete die Dunkelheit. Die Angst wurde besiegt und es entstand ein neuer Aufbruch.

Pausenlos wurden alle Schwierigkeiten, Hindernisse, Komplotte, der Verrat und Hürden von innen wie auch von außen überwunden. Das heuttige Niveau wurde durch die Bemühungen von Millionen von Menschen erreicht. Tausenden kostete dieser Weg das Leben. Wenn es heute einen großen Guerillakrieg gibt, wenn es ein Volk gibt, das Widerstand leistet, wenn das kurdische Volk bedeutende Gewinne erzielt hat, dann ist dies gelungen, weil dieser Weg gegangen wurde. Eine Situation wie jetzt gab es vorher nicht und sie wurde auch von niemand anders für uns bereitet. Wir haben von niemanden Almosen erhalten. Durch Opfer, durch Tod, durch das Erleiden von Folter haben wir den Schleier der Dunkelheit zerrissen und sind so in der Gegenwart angekommen.

„Den 15. August verstetigen“

Die türkische Regierung, die der Guerilla nur 24 Stunden Lebenserwartung zubilligte, behauptet gleichzeitig, sie habe in den vergangenen 40 Jahren großen Schaden erlitten. Welcher Weg sollte für die Türkei und Kurdistan eingeschlagen werden?

Die Türkei spricht mittlerweile selbst vom 15. August oder dem Guerillakrieg. Hulusi Akar [türkischer Verteidigungsminister] sagt: „Sie schaden uns seit 40 Jahren, wir haben viel Blut gelassen.“ Wenn er doch weiß, dass Billionen von Dollar weg sind, die Bevölkerung und die Wirtschaft am Boden liegt, Zehntausende von Menschen gestorben sind, es große Verluste gibt; warum hält man beharrlich an der Leugnung und Vernichtung fest? Es sollten Bemühungen um Verhandlungen geben, die Wege zur Verständigung sind klar. Die PKK und Rêber Apo haben dutzende Male Waffenstillstände erklärt und eine Roadmap vorgestellt. Es wurden immer wieder Schritte zu einer Lösung genannt. Es wurde ein Gesetz für demokratische Autonomie innerhalb der Grenzen der Türkei vorgestellt. Der Weg zur Demokratie wurde weit geöffnet.

Aber sie [der Staat] sind nicht bereit, die Kurden anzuerkennen, sie sind nicht bereit, mit den Kurden zu leben. Die PKK hat eine Vielzahl an Lösungsprojekten vorgestellt und Stellungnahmen abgegeben. Angeblich leitete Erdoğan diese Treffen, aber ein einziges Projekt zur Lösung brachte er nicht vor. Er hat den Kurden nicht einmal das Recht auf Bildung in Muttersprache zugebilligt. Wenn es so läuft, kann es keine Lösung geben. Jetzt wollen sie die Lösung ohnehin zerstören. Dies zeigt die historische Bedeutung des 15. August. Er bleibt nicht auf ein bestimmtes Datum beschränkt. Wenn in einer Phase die Politik in einer Sackgasse gerät, ist solch ein Aufbruch nötig. Er ebnet den Weg. Die Phase wird dann abgeschlossen und an anderer Stelle entwickelt sich eine Lösung und die Politik. Jetzt, da die Türkei auf keine Weise aus der Sackgasse der Verleugnung herauskommen kann, ist eine Verstetigung des 15. August notwendig, um Verrat, Angst, Unterdrückung, Schweigen und Vernichtung zu überwinden.

Denn wie gesagt, der 15. August stellte eine Offensive und einen historischen Aufbruch gegen Angst, Schweigen, Verleugnung und Vernichtung dar. Es ist absolut notwendig, dass die Kurden diesen Aufbruch fortsetzen. Denn das, was für sie bestimmt ist, sind Vernichtung, Tod und Finsternis. Wenn wir nicht in Dunkelheit begraben werden wollen, müssen wir den Widerstand und Kampf im Geiste des 14. Juli und des 15. August fortsetzen. Natürlich ist die Aufgabe der Unabhängigkeit und Demokratisierung Kurdistans keine Aufgabe, die der Guerilla allein zufällt. Die Guerilla ist eine Avantgarde und eine Kraft, die den Weg bereitet. Wenn sich die Politik in einer Sackgasse befindet und das Volk unterdrückt wird, wird die Guerilla die Angriffe des Feinds zurückschlagen.

Heute agieren alle in einem Bündnis gegen die Kurden. Vom IS zur PDK, von Bagdad bis zum Assad-Regime sind alle gegen die Kurden verbündet. Das Baath-Regime und die Türkei sind sich in Bezug auf die Kurden in Syrien zu hundert Prozent einig. Das Baath-Regime sagt: „Die Kurden sind Verräter, sie haben hier keine Rechte“, der türkische Staat sagt: „Die Kurden sind Separatisten, sie dürfen nicht innerhalb unserer Grenzen existieren, sie dürfen nirgends einen Status erhalten, wir werden sie vernichten“. Beide Staaten sind sich in der Vernichtung einig. Je besser wir in diesem Sinne heute den Geist des 15. August repräsentieren und die historische Bedeutung und seine zwingende Notwendigkeit ins Bewusstsein rufen, desto mehr kurdische Jugendliche und kurdische Frauen werden zu neuen Egîds, Kemals, Mazlums und Hayris werden. Sie haben unter den schwersten Bedingungen ihre unabdingbaren Aufgaben erfüllt. Es gab keinen anderen Weg, sie konnten nicht aufgeben. Entweder akzeptiert man es, vernichtet zu werden, oder man bringt die notwendigen Opfer und stellt sich dem Feind in den Weg.

Kader, die für das Volk arbeiteten und Gedanken entwickelten

Die Vernichtungsmaschinerie des Feindes funktioniert großartig. Wir müssen einen Keil in ihre Zahnräder werfen und sie stoppen. Wie kann das geschehen? Hayris letzte Worte im Todesfasten waren: „Wer in Kurdistan gegen den Kolonialismus kämpfen will, muss einen bewaffneten Kampf führen“. Die Partei hatte dazu bereits zuvor den Termin festgelegt und entsprechende Analysen entwickelt. Aber Hayri drückte es auf der Grundlage seiner eigenen Erfahrung aus. Er stellte fest, dass es nicht ausreicht, sein Leben für das kurdische Volk zu opfern, um den Feind zu stoppen, also musste mehr getan werden. Da die Kurden ein verstreutes, unorganisiertes und unter den Feinden aufgeteiltes Volk waren, gab es den Bedarf an großen Persönlichkeiten, Kader, die für das Volk arbeiteten und Gedanken entwickelten. Hayri hatte keine andere Wahl, als ins Todesfasten zu gehen. Deshalb sagte er: „Wenn ich sterbe, dann schreibt auf meinen Grabstein, dass ich meinem Volk etwas schuldig blieb.“ Er war überzeugt davon, dass es notwendig war, mehr für das Volk zu tun. Er konnte es nicht, weil für ihn der Weg am Ende war, so opferte er sein Leben. Hierin liegen ein tiefes Verständnis und Verantwortungsgefühl.  Jetzt ist es an der Zeit, diesen Geist aufzugreifen.

Wie bleibt der 15. August auch heute aktuell?

Der 15. August bewahrt seine historische Bedeutung, seine Aktualität und seine Lebendigkeit. Eigentlich ist für uns nichts Geschichte geworden, weder der 14. Juli noch der 15. August. Es ist also nicht so, dass man an diese Tage nach dem Motto herangehen kann: „Lernen wir aus unserer Geschichte, kennen wir sie und gehen wir weiter“. Der türkische Staat lässt es nicht zu, dass es Geschichte wird. Er fügt Schmerz auf Schmerz zu, Verleugnung auf Verleugnung und Feindseligkeit auf Feindseligkeit. Das ist jeden Tag so. In diesem Sinne lässt der 15. August uns heute weiter existieren.

Wie an diesem Tag damals die Dunkelheit erleuchtet, die Furcht der Kurden durchbrochen und die Aggression des Feindes gestoppt werden sollte, ist es jetzt notwendig, die Verleugnung, Vernichtung und Genozid zu stoppen. Die Türkei verfolgt gegenüber dem kurdischen Volk ein Genozidprojekt. Es gibt keine andere Erklärung dafür. Die Sprache, die Kultur und die Existenz ist verboten. Das ist nicht weniger als Vernichtung, die Auslöschung aus der Geschichte. Wir müssen also den Genozid stoppen. Alle, die für das kurdische Volk kämpfen, seine Avantgarde die Guerilla, alle an Kurdistan orientierten Parteien in den Teilen Kurdistans, die Völker der Welt, die demokratischen und antifaschistischen Kräfte müssen diesen Aufschrei der Kurden und ihren Widerstand wahrnehmen.

Das, was dem jüdischen und dem armenischen Volk geschehen ist, soll heute nicht dem kurdischen Volk geschehen. Das kurdische Volk hat die potenzielle Kraft, dem Treiben Einhalt zu gebieten. Die Welt ist nicht wie früher, es gibt gewisse Erfahrungen und Möglichkeiten der schnellen Kommunikation. So erhob sich für Kobanê eine mächtige Stimme auf der ganzen Welt. Aber in Serêkaniyê herrscht heute die gleiche Situation. Heute könnte mehr passieren. Dieses Schweigen muss überwunden werden. Um dem 15. August eine Stimme und Bedeutung zu verleihen, müssen sich die kurdische Jugend, die Frauen, die Freiheitssuchenden, die wahren Patrioten, die Menschen aller Weltanschauungen, von Muslimen über Aleviten bis hin zu den Eziden gegen die Unterdrückung und das Unrecht stellen und den Widerstandsgeist vom 15. August für sich in Anspruch nehmen. Andernfalls kann die Völkermordkatastrophe in Kurdistan nicht gestoppt werden.

Der türkische Staat greift das kurdische Volk auf heftigste Weise an. Die F-16-Bomber kreisen über den Menschen, aber die Welt schweigt, ja, weiß nicht einmal Bescheid. Kein Staat im Mittleren Osten kann so (wie die Guerilla) gegen die Türkei kämpfen. Der Iran kann nicht kämpfen, der Irak sowieso nicht, Syrien ist bereits unter türkischer Besatzung, Griechenlands Situation ist klar, wenn man sieht, dass das Land Nordzypern seit über 40 Jahren nicht aus den Händen der Türkei befreien kann. Die Türkei ist losmarschiert und hat zuletzt Armenien angegriffen. Russland riskiert keinen Krieg, weil die Türkei NATO-Mitglied ist. Die Kurden sind die einzigen, die einen Krieg ins Auge fassen und den Mittleren Osten verteidigen. Und die ganze türkische Armee bombardiert ungebremst und ohne jegliche Regeln die kurdische Bevölkerung. Die Kurden haben keine Waffen, um sich davor zu schützen. Sie haben keine Luftabwehr. Sie begegnen diesem Krieg mit einfacher Technik, aber mit großem Willen, der Kraft, die aus dem Herzen kommt und einem Geist der Opferbereitschaft. Wenn die Türkei auf diese Weise angriffe, wäre sie in zwei Tagen in Damaskus. Wenn wir uns die PDK anschauen, kann diese nicht einmal 24 Stunden kämpfen, es ist einfach nicht möglich. Aus diesem Grund sollte jeder den Geist des 15. August und des 14. Juli, die Entstehung der Guerilla aus der PKK und den kämpferischen Esprit richtig verstehen und ihn respektieren. Dieser Kampf erfordert eine hohe Wertschätzung.

„Wenn sich das kurdische Volk einig ist, werden sich die Balancen verändern“

Obwohl die Türkei immer wieder behauptet, die Freiheitsbewegung auszulöschen und den Kurden Schaden zufügt, kann sie keine Ergebnisse erzielen. Die türkische Regierung ist beunruhigt. Auf der einen Seite erklärt sie: „Wir jagen den Terror, wir lassen die Terroristen nicht atmen“. Auf der anderen Seite heißt es: „Das Überleben der Türkei steht auf dem Spiel.“ Die türkische Regierung versucht die gesamte Opposition zu übernehmen und fordert die „Einheit gegen den Terror“. Sie appelliert an die USA und die NATO und sagt: „Ein Krieg gegen den Terror geht nicht allein“. Das türkische Regime benötigt weiter internationale Unterstützung. Trotz aller Unterstützung, die es erhalten hat, bekommt es alle Flugzeuge und die Technik von dort. Hätten die USA und Europa die PKK nicht zur Terrororganisation erklärt, wäre die Türkei nicht in der Lage gewesen, diesen Krieg zu führen. Sie nutzt diesen Luxus. Aber trotzdem sind ihre Widersprüche immer noch tiefgreifend. Es reicht der türkischen Regierung nicht, sie verlangt noch mehr Unterstützung. Auf der einen Seite benutzt der türkische Staat eine Rhetorik vom „Zerquetschen“ und „Verjagen“, auf der anderen Seite wurde der Staat nach Innen und Außen ausverkauft. Die türkische Regierung ist bereit, jedes Zugeständnis zu machen. Wenn sich die kurdischen Kräfte vereinen, können sie diese Machtbalancen ändern.

*Mehmet Hayri Durmuş; PKK-Kader, starb im Verlauf des Todesfastens 1982 im Gefängnis von Diyarbakır

Muzaffer Ayata hat den Beginn des bewaffneten Kampfes der PKK am 15. August 1984 im Gefängnis miterlebt. Der PKK-Mitbegründer wurde 1980 wenige Monate vor dem Militärputsch verhaftet und im Militärgefängnis von Amed (tr. Diyarbakir) schwer gefoltert. Wegen „Separatismus“ wurde er zum Tod verurteilt, die Todesstrafe wurde 1991 in eine vierzigjährige Freiheitsstrafe umgewandelt. 2000 wurde er mit einem lebenslangen politischen Betätigungsverbot aus der Haft entlassen. 2002 kam er nach Deutschland, um hier die Europavertretung der HADEP/DEHAP zu leiten. Im August 2006 wurde verhaftet und wegen PKK-Mitgliedschaft zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt. Auch in Deutschland wurde ihm die politische Betätigung verboten, ihm wurde auferlegt, sich täglich bei der Polizei zu melden. Heute ist Ayata als Mitglied des Zentralkomitees der PKK in den Bergen Kurdistans.