Muzaffer Ayata hat den Beginn des bewaffneten Kampfes der PKK am 15. August 1984 im Gefängnis miterlebt. Der PKK-Mitbegründer wurde 1980 wenige Monate vor dem Militärputsch verhaftet und im Militärgefängnis von Amed (tr. Diyarbakir) schwer gefoltert. Wegen „Separatismus“ wurde er zum Tod verurteilt, die Todesstrafe wurde 1991 in eine vierzigjährige Freiheitsstrafe umgewandelt. 2000 wurde er mit einem lebenslangen politischen Betätigungsverbot aus der Haft entlassen. 2002 kam er nach Deutschland, um hier die Europavertretung der HADEP/DEHAP zu leiten. Im August 2006 wurde verhaftet und wegen PKK-Mitgliedschaft zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt. Auch in Deutschland wurde ihm die politische Betätigung verboten, ihm wurde auferlegt, sich täglich bei der Polizei zu melden.
Heute ist Ayata als Mitglied des Zentralkomitees der PKK in den Bergen Kurdistans. Im ANF-Interview schildert er, wie er den 15. August 1984 erlebt hat und welche Auswirkungen der Beginn des bewaffneten Kampfes im Gefängnis hatte.
Sie waren während der Aktion am 15. August im Gefängnis. Wie haben Sie von der Aktion gehört und was haben Sie dabei empfunden?
Ich war damals im Gefängnis von Amed in der 35. Sammelzelle. Die Freunde im Todesfasten hörten während ihrer Behandlung im Krankenhaus über Angehörige davon. Es kamen auch Neuzugänge, die davon wussten. Offizielle Informationen hatten wir nicht, aber wir waren uns sicher, dass Abdullah Öcalan lebt und die Arbeit anführt. Dass er kämpft, die Partei organisiert und alles tut, was für die Revolution erforderlich ist. Auf diese Überzeugung haben wir uns auch in den schwierigsten Momenten verlassen. Wer Rêber Apo kannte, hat daran nicht gezweifelt.
Wir hörten im Fernsehen von dem Vorfall. Radios und ähnliches waren verboten, aber mit dem Widerstand konnte durchgesetzt werden, dass ein Fernseher in die Zelle kommt. Wir sahen die Nachrichten und es hieß, dass eine Gruppe Terroristen oder Separatisten in Eruh und Şemdinli eine Aktion durchgeführt hat. Ich glaube, das war zwei oder drei Tage später. Am Anfang wurde nicht darüber berichtet. Wir versuchten zu begreifen, was vorgefallen war. Die Meldung weckte im kurdischen Volk verschiedene Assoziationen: Das Zerreißen der Stille, ein Licht in der Finsternis, eine Herausforderung der faschistischen Herrschaft, ein Aufstand, eine Suche. Manche gingen wohl auch davon aus, dass es sich um einen einzelnen Vorfall handelt.
Es war jedoch klar, dass in der Bevölkerung Freude aufkommen wird. Durch das extrem erniedrigende Vorgehen des Staates wurde das ganze Land terrorisiert. Alle waren zum Schweigen verurteilt, der Staat nahm Menschen beliebig fest und folterte sie, solange er wollte. Im Land herrschten Angst und Finsternis, die Menschen wurden eingeschüchtert und mürbe gemacht. Am extremsten war es in den Gefängnissen. Wir befanden uns eingesperrt zwischen vier Wänden in der Hand des Staates. Das Gefängnis von Amed war ein spezielles Pilotprojekt. In der gesamten Türkei gab es Unterdrückung, aber hier herrschte ungezügelter Rassismus. Die PKK, die Kurden und Kurdistan sollten endgültig einbetoniert und nie wieder lebendig werden. Die Militärjunta hatte die Herrschaft in Kurdistan übernommen und institutionalisierte die Assimilation. Das Land hüllte sich in Schweigen.
Das Aufwachen der Kurden mit der PKK und den sozialistischen Bewegungen war ein Phänomen, mit dem niemand gerechnet hatte. Für den Staat war das wie ein unvorhergesehener Unfall. Aus diesem Grund wurde der Putsch beschleunigt. Alle linken Organisationen in der Türkei wurden weitgehend zerschlagen. Wer kämpfte, kam ins Gefängnis. Es gab keine Widerstandskraft mehr. Rêber Apo hatte das vorausgesehen und war ins Ausland gegangen. Das war eine strategische Entscheidung. Gemäß dieser Rückzugtaktik wurde versucht, alle Freundinnen und Freunde, die noch nicht gefasst worden waren, ins Ausland zu bringen. Viele Kader waren jedoch bereits vor dem Putsch verhaftet worden.
Es wurden rassistische Faschisten nach Amed gebracht und damit begann ein systematischer Folterangriff. Keine unserer Widerstandsformen führte zu Ergebnissen und niemand konnte die Faschisten zügeln. Draußen war die Gesellschaft in der Finsternis begraben. Parteien, das Parlament, Gewerkschaften, alles war verboten. Niemand konnte gegen die Junta Widerstand leisten. Sie wurde von der NATO und den USA unterstützt. Die linken sozialistischen Bewegungen und insbesondere die Kurden sollten politisch ausgeschaltet werden. Sie sollten von der Agenda verschwinden und letztendlich ihre Identität verleugnen, Reue zeigen und sich dem Staat ergeben.
Der große Widerstand in den Gefängnissen führte dazu, dass alle Gefangenen Luft holen konnten. Trotzdem herrschte immer noch ein Klima stiller Angst. In dieser Situation hörten wir von der Aktion am 15. August. Für die Menschen und Organisationen, die die politischen Entwicklungen verfolgten, die Träume, Hoffnung und einen politischen Anspruch hatten, war diese Nachricht von außergewöhnlicher Bedeutung. Ich erinnere mich an die tiefe Freude, die wir empfanden. Das erste, was ich sagte, war: Dass wir das noch erleben durften! Auch wenn wir jetzt sterben, war nichts umsonst.
Im Faschismus gibt es keine Grenzen, es gibt keine Rechte, keine Logik und keine Gerechtigkeit. Uns wurde ständig gesagt, dass wir bereuen werden, geboren zu sein. Das fand nicht ein Mal statt, wir erlebten es jeden Tag. Deshalb hat diese Meldung ein unbeschreibliches Gefühl der Freude bei uns ausgelöst. Es war nicht wie ein Feiertag und auch nicht in der Form, dass man schreit und tanzt. Es ging viel tiefer und war ein historischer Moment. Ein Moment der Abrechnung mit dem Faschismus, eine tief empfundene Erleichterung. Du sagst dir die ganze Zeit, dass die Faschisten einen Faustschlag gegen das Kinn abkriegen müssen, und endlich passiert es. Wir hatten auf diesen Tag gewartet, denn das war die Sprache, die sie verstanden. Es musste eine solche Antwort gegeben werden. Anders konnten sie nicht daran erinnert werden, dass es um Menschen ging. Je mehr Macht sie bekamen, desto mehr verloren sie sich selbst und begangen immer größere Verbrechen.
Fortsetzung folgt