Kommentar: Die PDK ist ein trojanisches Pferd

„Die Staaten, die Kurdistan besetzt halten, wollen die Aufstände, zu deren Niederschlagung sie aus eigener Kraft nicht fähig sind, durch Verrat zu Fall zu bringen.“ Ein Kommentar von Fuat Kav.

Es ist möglich, die Invasion des türkischen Staates in der Zap-Region als seine letzte zu bezeichnen. Der Umfang, die Intensität, die Vorbereitung und die militärische und politische Argumentation, auf der dieser Feldzug gründet, deuten darauf hin. Es geht hier nicht darum, einzumarschieren und sich wieder zurückzuziehen, sondern darum, zu vernichten und Tatsachen zu schaffen.

Das Ziel dieser „letzten“ Invasion ist es, einen Schlusspunkt zu setzen. Dieser Schlusspunkt soll mit dem Sieg über die Guerilla das Ende des seit 50 Jahren andauernden Kampfes sein. Erdoğan hat erklärt: „Wir werden von Zap bis Gare marschieren und von dort aus Kandil erreichen. Dann wird alles enden“; sein Verteidigungsminister sagte: „Es gibt keine Umkehr, diesmal zielen wir darauf ab, den Terror ein für alle Mal zu beenden.“ Diese Zitate belegen die Absicht hinter der Invasion.

Warum aber wird sich in Bezug auf diesen Plan und dieses Konzept so präzise und klar ausgedrückt? Warum drückt die türkische Regierung eine solche Sicherheit aus? Ihre Vertreter hatten schon früher ähnliche Erklärungen abgegeben, Pläne gemacht und einige Schritte unternommen, aber es war nicht von der „größten und umfassendsten Operation der türkischen Republik“ die Rede. Warum dieses Mal? Geht es dabei ausschließlich um Propaganda und psychologische Kriegsführung?

Aufstände wurden mit Hilfe von Verrat niedergeschlagen

Natürlich nicht. Ich bin der Auffassung, dass dieses absolute Vernichtungskonzept vor allem auf Verrat beruht. Es stützt sich nicht nur auf die türkische Armee und aus der ganzen Welt zusammengezogene Söldnerbanden und IS-Dschihadisten. Diese Kräfte wurden bei vielen früheren Invasionsversuchen eingesetzt, aber sie waren nicht erfolgreich. Wir wissen, dass der letzte Trumpf in der Hand der Besatzerstaaten Kurdistans immer der Verrat war. Dieser wurde immer dann eingesetzt, um den Widerstand abschließend zu vernichten. In Kurdistan gab es im Laufe der Geschichte zahlreiche Aufstände, denn das kurdische Volk hat stets Widerstand gegen die Unterdrückung geleistet und rebelliert. Diese Rebellionen und Kämpfe wurden jedes Mal mit Hilfe von Verrat unterdrückt. Die Staaten, die Kurdistan ausbeuteten und besetzten, schafften es, die Aufstände, die sie selbst nicht niederschlagen konnten, mit Hilfe von Verrat zu zerschlagen. Das Osmanische Reich, die Sassaniden und die Safawiden und auch die auf sie folgenden Staaten Türkei, Irak, Iran und das syrische Regime haben diesen Weg benutzt, um die Aufstände niederzuschlagen. Auf ihre Niederschlagung folgten große Massaker.

Fuat Kav, hier 2017 in Hamburg bei der Konferenz »Die kapitalistische Moderne herausfordern III: Demokratische Moderne entfalten – Widerstand, Rebellion, Aufbau des Neuen«, organisiert vom »Network for an Alternative Quest«


Verräter im engsten Umfeld der Aufstandsführung

In fast allen Aufständen wurde der Verrat wie ein trojanisches Pferd eingesetzt. Dabei wurde insbesondere der Verrat von Innen als letztes Mittel der Besatzer eingesetzt. Elemente, die der Führung der Aufstände am nächsten standen, wurden als scharfes Schwert gegen den Widerstand eingesetzt.

Es war Rayber, der Neffe von Seyîd Riza, der das Paar Alişêr und Zarife, das den bewaffneten Widerstand in Qoçgirî und Dersim anführte, ermordete. Şahin Ağa, einer der Anführer des Dersim-Widerstands, wurde von seinem Bruder Xido Pirço enthauptet und den Völkermördern übergeben. Alişan Ağa, ebenfalls einer der Anführer bei der Verteidigung von Dersim, wurde auf gleiche Weise ermordet. Sein Kopf wurde jenen Truppen übergeben, welche gegen Dersim zogen.

Einer der größten kurdischen Aufstände war der Bedirxan-Aufstand gegen die Osmanen. Er wurde durch den Verrat von Yezdanşer, dem Neffen von Bedirxan Beg, einem kurdischer Fürst der Dynastie von Botan im heutigen Şirnex, niedergeschlagen. Ohne Yezdanşers Verrat wäre der Aufstand wahrscheinlich erfolgreich gewesen. Die Kollaboration von Yezdanşer mit dem Feind garantierte jedoch den Erfolg der Osmanen. Ebenso war es innerer Verrat, der eine entscheidende Rolle bei der Niederschlagung des Şêx-Saîd-Aufstandes spielte.

Im Widerstand von Agirî wurde Verrat auch auf unterschiedliche Weise eingesetzt. Einige Stämme wurden gegen die Rebellion unter Ihsan Nuri Pascha eingesetzt. Sie wurde so niedergeschlagen, bevor sie ihr Ziel erreichen konnte.

Wie ich versucht habe, hier darzustellen, war die Realität des Verrats von Innen der entscheidende Faktor bei der Niederschlagung der kurdischen Aufstände. Der Grund, warum die Kurd:innen sich seit mehr als 2000 Jahren nicht befreien konnten, ist, dass Verrat zu einer Lebensform in Kurdistan geworden ist.

Die Wahrheit über die PDK begreifen

Ohne diese Realität zu kennen, ohne sie richtig zu analysieren, ist es nicht möglich die Realität der Demokratischen Partei Kurdistans (PDK) und ihr Agieren in der Zap-Region richtig zu verstehen. Der türkische Staat hat drei Jahrzehnte lang gegen die Kurd:innen gekämpft und alles, was nötig war, getan. Er hat dabei strategische Unterstützung der internationalen Mächte erhalten, aber dennoch keine Ergebnisse erzielt. Wie in früheren Zeiten versucht der türkische Staat auch diesmal, den Verrat einzusetzen, um doch noch in der Lage zu sein, einen Erfolg zu erringen.

Die letzte Invasion, der letzte Angriff wird mit Verrat verübt. Der Einsatz der PDK deutet genau darauf hin. Erdoğan hatte erklärt: „Nun sind wir am Ende angekommen. Dieses Jahr wird das Jahr sein, in dem wir den Terror beenden. Dafür setzen wir unsere ganze Kraft und alle unsere Kräfte ein. Wenn uns unsere Freunde, die lokalen Kräfte und die NATO, deren Mitglied wir sind, helfen, dann ist jetzt der Zeitpunkt gekommen. Denn wir befinden uns im totalen Angriff.“

Wenn Erdoğan von „lokalen Kräften“ spricht, dann meint er ohne jeden Zweifel die PDK. Er hatte gesagt: „Unsere Freundschaft mit Neçirvan Barzani ist für uns sehr bedeutend und die Gespräche zwischen uns sind sehr fortgeschritten. Wir sind in jedem Punkt einer Meinung. Es gibt keine Meinungsverschiedenheiten. Er hat auch gesagt, dass er in dieser Hinsicht [Zerschlagung der kurdischen Bewegung, ANF], alles tun werde, was er könne.“

Das ist keine Diplomatie, das ist überhaupt keine normale Beziehung. Diese Erklärung spiegelt die Art und Weise, wie die Mission der Liquidierung der Freiheitsbewegung, die von Erdoğan an die PDK übertragen wurde, in den Worten des türkischen Regimechefs dargestellt wird.  Niemand sollte sich hinstellen und das als eine normale diplomatische Beziehung verkaufen. Der türkische Staat und die internationalen Mächte, die sich in ihren Interessen von der Ideologie der PKK gestört fühlen, haben dem Barzanî-Clan die Mission übertragen, gegen die Freiheitsbewegung Krieg zu führen. Niemand soll es leugnen und die Wahrheit verdrehen. Auf diese Weise wollen sie erneut das Mittel des Verrats einsetzen. Die Familie Barzanî soll als trojanisches Pferd dienen, mit dessen Hilfe die Linie der Freiheitsbewegung und ihrer Führung ausgeschaltet werden sollen. Jeder sollte die aktuelle Phase so sehen und verstehen. Niemand darf sagen: ‚Die PDK ist eine kurdische Kraft mit einer Peschmerga-Armee, sie hat für die Kurden gekämpft und wird deshalb keinen Verrat begehen.‘ Rayber, Kasım und Yezdanşer waren auch Kurden.

Bleibt noch übrig zu sagen, dass die Familie Barzanî nicht nur die Freiheitsbewegung angegriffen und verraten hat und das Blut der Guerilla an ihren Händen klebt. Dieser Clan hat Sait Elçi, Sait Kırmızıtoprak [Dr. Şivan] und ihre Freunde ermordet, Dutzende Kommandierende des kurdischen Freiheitskampfes hingerichtet. Bei Kämpfen mit der YNK sind tausende Peschmerga gestorben. Das ist auch ein Ergebnis des Verrats.

Kurz gesagt; Der türkische Staat will Ergebnisse erzielen, indem er die Familie Barzanî wie ein trojanisches Pferd einsetzt. Aber die Kurd:innen sind nicht die gleichen wie früher. Sie haben ein Bewusstsein erreicht und die Realität ihres Volkes verstanden.  Daher werden die Angriffe auf Zap, Metîna, Avaşîn und der Verrat gegenüber dem großen Widerstand der Guerilla scheitern. Der kurdenfeindliche türkische Staat wird diesmal nichts durch Verrat erreichen. Die Guerilla wird den Verrat aus Kurdistan wegfegen.


Fuat Kav ist ein politischer Aktivist, Journalist und Autor. Er wurde 1959 in Riha (tr. Urfa) geboren und engagierte sich ab 1976 für die Rechte der Kurdinnen und Kurden in der Türkei. Nach dem Militärputsch 1980 verbrachte er 20 Jahre in türkischen Gefängnissen, davon acht Jahre im berüchtigten Gefängnis von Diyarbakır, der „Hölle von Amed“. Er beteiligte sich am Widerstand und erfuhr dort unfassbare Formen der Grausamkeit. Sein lebendiges Gedächtnis ist eine der wenigen Quellen der verschwiegenen Geschichten, die sich hinter den Mauern türkischer Gefängnisse abspielten. Seine Memoiren erschienen 2011 in der Novelle „Mavi Ring“. Das Buch ist seit dem Verbot des Neusser Mezopotamien-Verlags durch das Bundesinnenministerium nicht mehr erhältlich. Fuat Kav lebt heute im Exil in Europa.