Karayılan: „Wir sind im Recht, wir werden siegen“

Karayılan warnt vor einer „ethnischen Säuberung“ in Nord- und Ostsyrien und weist darauf hin, dass die türkische Regierung den Krieg in der Ukraine als Druckmittel benutzt, um Unterstützung für ihre Kriegspolitik zu erhalten.

Im zweiten Teil des ANF-Interviews beschäftigt sich Murat Karayılan als Mitglied des Exekutivrats der PKK mit dem geopolitischen Hintergrund des türkischen Angriffs auf Südkurdistan und der bevorstehenden Invasion in Rojava. Gleichzeitig geht er auch auf die Klage gegen die Einstufung der PKK auf nationalen und internationalen Terrorlisten ein.


Der türkische Staat benutzt den Ukraine-Konflikt“

In den vergangenen hundert Jahren hat der türkische Staat immer die Konflikte unter den Hegemonialmächte genutzt, um Massaker am kurdischen Volk zu verüben. Selbst jetzt will er die sich bietenden Möglichkeiten für sich nutzen und versucht, den anhaltenden Konflikt zwischen Russland und der NATO in der Ukraine dazu einzusetzen. Aber die Wahrheit, die hier zum Vorschein kommt, ist, dass die Welt folgendes verstanden hat: Der türkische Staat betreibt seine Politik durch antikurdische Ressentiments. Er nutzt jede Gelegenheit, um Unterstützung gegen das kurdische Volk zu erlangen und seine Massaker fortzusetzen. Es gibt ein gewisses Maß an Demokratie in Skandinavien und der türkische Staat hat Angst davor. Warum setzt der türkische Staat die Waffe des Vetos ein? Es gibt viele Kommentare zu diesem Thema, aber ich kann sagen, dass es dabei um zwei wichtige Punkte geht.

Erstens: Die Weltöffentlichkeit, insbesondere Schweden und Finnland, sollte wissen, dass der türkische Staat chemische Waffen gegen uns einsetzt. Diese Waffen sind verbotene Waffen, es ist ein Kriegsverbrechen, sie einzusetzen. Es handelt sich um ein schweres Verbrechen. Damit niemand etwas dagegen sagt, stellt sich der türkische Staat hin und erklärt: „Ich kämpfe gegen den Terrorismus, ihr müsst mich unterstützen.“ So versucht er, eine Ahndung dieses Verbrechens zu verhindern. Der türkische Staat will unantastbar sein, denn er begeht in Zap, Metîna und Avaşîn Verbrechen an der Menschheit. Das ist die größte Gefahr. Mit anderen Worten, der türkische Staat will dafür sorgen, dass er chemische Waffen einsetzen kann, ohne dass irgendjemand eingreift. So will er bei der Eliminierung der Guerilla für Ergebnisse sorgen. Deshalb macht er so viel Lärm.

Zweitens will der Staat, dass das Waffenembargo gegen die Türkei von der NATO aufgehoben wird. Warum? Im Grunde kämpft der türkische Staat mit NATO-Waffen. Ein Teil der Angriffe auf Südkurdistan und Rojava wird mit Drohnen aus Deutschland, England, Kanada und verschiedenen anderen Ländern durchgeführt. Die Türkei baut darauf auf. Es handelt sich um NATO-Technik aus NATO-Staaten. Nun wurde ja ein Teilembargo verhängt und die Waffenlieferungen haben abgenommen. Der türkische Staat hat im Wesentlichen zwei Ziele: Niemand soll etwas gegen den Einsatz von Chemiewaffen sagen und zweitens, die Aufhebung dieses Embargos. Dazu greift der türkische Staat auf Ausreden zurück, wie dass es ein Bündnis mit den YPG gebe. Die Kräfte, die Interessen in Rojava haben, machen dem türkischen Staat jedoch bisher keine Zugeständnisse.

Es geht dem türkischen Staat um die Vernichtung des kurdischen Volkes“

Der türkische Staat kreiert die aktuelle Debatte auf der Grundlage dieser beiden Fragen. Auf diese Weise sollen die Aufmerksamkeit der Welt abgelenkt und die Massaker in Kurdistan fortgesetzt werden. Es geht darum, Waffen zu erhalten, die Massaker mit diesen Waffen fortzusetzen und Chemiewaffen einzusetzen. Die Haltung der NATO dazu ist sehr bezeichnend. Insbesondere der Generalsekretär der NATO und ein US-Vertreter gaben Erklärungen zu diesem Thema ab. So haben sie zum Beispiel erklärt: „Wir können die Sensibilitäten der Türkei berücksichtigen.“ Was sind die Sensibilitäten der Türkei? Sie bestehen darin, das kurdische Volk zu vernichten. Es scheint so, als ob diese Staaten oder das NATO-System die mörderische Politik gegen die Kurdinnen und Kurden im Sinne ihrer eigenen Interessen fortsetzen und unterstützen wollen. Das ist sehr gefährlich. Der türkische Staat kennt keine Grenzen. Er will alle freiheitlichen Kurden, alle, die ihre Rechte einfordern, als Terroristen klassifizieren.

Es geht der Türkei um eine ethnische Säuberung in Rojava“

Rojava wird vom türkischen Staat mit Terror in Verbindung gebracht. Derzeit leben fünf Millionen Menschen in Rojava und Nord- und Ostsyrien. Sind das alles Terroristen? Die Menschen dort sollen vertrieben und es soll eine andere Nation angesiedelt werden. In diesem Jahrhundert will die Türkei das Verbrechen einer ‚ethnischen Säuberung‘ begehen. Das zu relativieren und von ‚Sensibilitäten, die man sich vor Augen führen müsse‘ zu sprechen, ist nicht in Ordnung. Wir hoffen, dass Schweden und Finnland das kurdische Volk nicht opfern werden. Wir leisten Widerstand gegen die auf einen Völkermord abzielenden Angriffe des türkischen Staates. Wir üben unser legitimes Recht auf Selbstverteidigung aus.

Wir kämpfen gegen einen Genozid“

Wir kämpfen nicht gegen die NATO, wir kämpfen nicht gegen die USA. Wir kämpfen gegen einen Genozid. Aber diese Kräfte unterstützen diesen Völkermord der Türkei. Wir wollen, dass sie diese Unterstützung einstellen. Dass sie keine Komplizen des türkischen Staates bei seinen Massakern in Kurdistan werden. Das ist unsere Forderung, und vor allem die skandinavischen Länder sollten keine Kompromisse mit der Türkei eingehen. Der türkische Staat will seinen Schatten auf diese Demokratien werfen, indem er Zugeständnisse für die Zustimmung für den NATO-Beitritt bekommen will. In diesem Sinne darf es keine Einigung geben. Wir verfolgen eine gerechte Sache in Kurdistan, der türkische Staat lügt, es besteht keine Gefahr für die Türkei, Ankara will seine Politik der Besatzung und des Völkermords in Kurdistan fortsetzen. Dagegen müssen sich alle positionieren.

Der Widerstand der PKK ist legitim“

In Deutschland wurde ein Antrag auf Aufhebung des PKK-Verbots gestellt. Die Anwälte leisten viel. Ich grüße und gratuliere den geschätzten Anwälten, die wirklich selbstlos arbeiten, und möchte ihnen meinen Respekt mitteilen. Sie müssen wissen, dass sie nicht nur ein Verfahren führen, sondern dass sie eine Nation verteidigen, die historisch als wehrlos betrachtet wurde. Heute arbeiten sie auf der internationalen Bühne für ein ganzes Volk. Das ist eine sehr kostbare Sache, eine Menschheitswerk. Deshalb wünsche ich ihnen viel Erfolg. Der Kampf der PKK in Kurdistan ist legitim. Das kurdische Volk ist das älteste Volk Mesopotamiens, mit größtem kulturellem Reichtum. Aber heute ist alles verboten. Es geht nicht nur um Verbote, es wird auch eine Politik des Völkermords in Kurdistan betrieben.

Die PKK macht von ihrem legitimen Recht Gebrauch, gegen einen Völkermord und den türkischen Staatsterror Widerstand zu leisten. Die PKK ist nicht terroristisch. Wenn Deutschland heute besetzt würde, wenn Frankreich besetzt würde, würden die Menschen dort dasselbe tun. Das ist es, was die PKK tut. Die PKK verteidigt das Recht auf Kultur, Sprache und Existenz und kämpft dafür. Aber der türkische Staat erklärt die PKK und das kurdische Volk zu Terroristen. Wir sind gegen jede Form von Terrorismus. Schauen Sie, wer hat am meisten gegen den IS-Terror im Nahen Osten gekämpft? War es nicht die PKK? Es waren das kurdische Volk und die PKK, die ihre Kräfte von Kerkûk bis Kobanê mobilisierten. Die PKK ist gegen jede Form von Terrorismus. Sie ist gegen den Terror des türkischen Staates, sie ist gegen den Terror des IS, sie ist gegen den Terror von al-Nusra. Das ist die Wahrheit. Aber was taten die kapitalistischen Staaten? Sie setzten die PKK auf ihre Terrorliste. Das ist eine große Ungerechtigkeit.

Listung der PKK ist Unterstützung für Massaker“

Dies ermöglicht es dem türkischen Staat, Massaker und Gewalttaten in Kurdistan zu begehen. Die Aufnahme der PKK auf diese Liste stellt eine Unterstützung für die Massaker des türkischen Staats dar. Kein Staat sollte dabei Komplize sein. Die PKK kämpft für eine nationale Sache, ein Volk, eine Gesellschaft. Der türkische Staat wendet Gewalt an. Wir wollen keinen Krieg, der türkische Staat will Krieg. Der türkische Staat will die kurdische Frage durch Massaker und Blutvergießen lösen. Was hat Rêber Apo [Abdullah Öcalan] gesagt? Er hat gesagt: ‚Wenn ihr mir die Chance gebt, dann werde ich dieses Problem binnen einer Woche lösen.‘ Hat der türkische Staat das akzeptiert? Nein. Es sind nicht wir, die töten wollen, es ist der türkische Staat, der töten will. Die Staaten müssen das sehen.

Diese Staaten sind auch rücksichtslos. Sie haben unser Land in der Vergangenheit in vier Teile geteilt, und jetzt billigen sie die Gewalt der Türkei. Genug ist genug, wir sagen, hört damit auf. Sie waren nicht in der Lage, das kurdische Volk zu vernichten, es gab Komplotte, Morde und Massaker. Sie begehen seit hundert Jahren Massaker in Kurdistan. Aber es hat nichts gebracht. Wenn ein Staat die kurdische Frage durch Dialog lösen will, muss er zuerst die PKK von der Terrorliste streichen. Wenn eine Kraft eine politische Lösung will, sollte sie versuchen, die PKK von der Liste zu streichen. Die Aufnahme der PKK in die Liste stellt eine Billigung der Massaker des türkischen Staats dar. Diejenigen, die nicht an den Massakern am türkischen Staat beteiligt sein wollen, sollten versuchen, diesen Fehler zu korrigieren, indem sie die PKK von der Liste streichen. Deshalb haben wir auf europäisches Recht zurückgegriffen und im Namen von mir und meinem Freund Duran Kalkan geklagt. Wir sind Verteidiger einer gerechten Sache. Es geht um die Öffnung des juristischen Weges und es werden auch an anderen Stellen entsprechenden Klagen und Anträge eingereicht. Der Europäische Gerichtshof hat bereits erklärt, dass er die Aufnahme der PKK in diese Liste nicht für richtig halte. Er bat die Staaten um eine Erklärung, warum sie die PKK auf die Liste gesetzt hatten. Darüber hinaus hat ein belgisches Gericht in dieser Frage eine positive Entscheidung getroffen. Wir sind im Recht. Wenn es ein echtes Gerichtsverfahren gibt, wird man uns Recht geben. Wir werden gewinnen. Daran glauben wir.“