Ehemaliger Bürgermeister von Sûr erneut verhaftet

Der vor knapp einem Jahr des Amtes enthobene Ko-Bürgermeister des Altstadtbezirks Sûr in Amed, Cemal Özdemir (HDP), ist wegen vermeintlichen „PKK-Verbindungen“ verhaftet worden. Erst im April wurde der Politiker aus der Haft entlassen.

Ein türkisches Gericht in der nordkurdischen Metropole Amed (türk. Diyarbakir) hat Untersuchungshaft gegen den Politiker Cemal Özdemir (HDP) angeordnet. Dem ehemaligen Ko-Bürgermeister des Altstadtbezirks Sûr wird vorgeworfen, Kontakte zur PKK zu haben. Özdemir war am Freitag im Rahmen von Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft bei einer Wohnungsrazzia festgenommen worden. Weitere elf Personen, die bei zeitgleichen Polizeioperationen in Amed in Gewahrsam genommen wurden, darunter auch die suspendierte Krankenschwester Sevgül Tekin, befinden sich wieder auf freiem Fuß.

Grundlage des Haftbefehls gegen Özdemir sind laut der ermittelnden Behörde „strafrechtlich relevante Indizien“, die nach dem Tod einer Guerillakämpferin zusammengetragen worden seien. Gemeint ist Müzeyyen Aydınlı (Nom de Guerre: Amara Ronahî) von der Frauenguerilla YJA-Star (Yekîtiya Jinên Azad), die Anfang Oktober nahe Licê zusammen mit Eylem Moço (Doğa Rizgar) bei Auseinandersetzungen mit der türkischen Armee ums Leben gekommen ist.

Der HDP-Politiker Cemal Özdemir war am 23. Dezember 2019 in Amed verhaftet worden. Zwei Tage zuvor wurde er suspendiert und durch einen vom türkischen Innenministerium ernannten Treuhänder ersetzt. Nachdem er im April aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, ist er im Juli wegen „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ und „Terrorpropaganda“ zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Die Anschuldigungen gegen Özdemir, die sich auf konstruierte Indizien und Denunziationen stützten, gingen größtenteils auf die Aussagen der Kronzeugin Hicran Berna Ayverdi zurück, die bereits in zahlreichen Prozessen gegen kurdische Politiker*innen aufgetreten ist, darunter auch im Verfahren gegen den abgesetzten Oberbürgermeister von Amed und Arzt Adnan Selçuk Mızraklı.

Cemal Özdemir

So war Özdemir seine Teilnahme an 22 legalen Kundgebungen und Pressekonferenzen in den Jahren zwischen 2012 und 2019 vorgeworfen worden. Außerdem beanstandete die Anklage diverse Facebook-Beiträge und die Mitgliedschaft des Politikers im Solidaritätsverein der Hinterbliebenen von Verschwundenen (MEYA-DER). Der Verein, der sich für die Aufklärung des Schicksals von Tausenden „Verschwundenen“ in Nordkurdistan einsetzte, war im Zuge des Ausnahmezustands in der Türkei per Notstandsdekret geschlossen worden. Özdemirs Vater zählt zu den rund 17.000 Menschen, die in Polizeigewahrsam verschwunden sind.

Über 22.000 HDP-Mitglieder seit 2015 festgenommen 

Seit 2015 sind in der Türkei mehr als 22.300 HDP-Mitglieder festgenommen worden, mindestens 10.000 sind im Gefängnis. Das geht aus einem Bericht der HDP-Rechtskommission hervor, der Anfang November vom Parlamentsabgeordneten und früheren Parteivorsitzenden Sezai Temelli in Ankara vorgestellt wurde. Darüber hinaus sind einem Bericht der Lokalverwaltungskommission der HDP zufolge nur noch sechs der 65 Kommunalverwaltungen übrig, in denen die HDP die Wahl 2019 gewonnen hatte. In 48 Kommunen, drei von ihnen Großstädte, wurden Zwangsverwalter eingesetzt. 84 Stadtratsmitglieder und neun Provinzratsmitglieder wurden abgesetzt. Von 37 festgenommenen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern sind 18 immer noch inhaftiert.