In der nordkurdischen Provinz Amed (türk. Diyarbakir) ist am Donnerstag der Prozess gegen den abgesetzten Ko-Bürgermeister des Altstadtbezirks Sûr, Cemal Özdemir, fortgesetzt worden. Der Haftbefehl gegen den HDP-Politiker wurde auf Antrag der Verteidigung aufgehoben.
Cemal Özdemir war am 23. Dezember 2019 verhaftet worden. Zwei Tage zuvor wurde er auf Betreiben des türkischen Innenministeriums des Amtes enthoben. In der Anklage gegen den Politiker wegen „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“, „Terrorpropaganda“ und „unerlaubtem Umgang mit gefährlichen Stoffen und Gütern“ geht es um Anschuldigungen, die sich auf konstruierte Indizien und Denunziationen stützen. So wird dem Politiker seine Teilnahme an 22 legalen Kundgebungen und Pressekonferenzen in den Jahren zwischen 2012 und 2019 vorgeworfen. Außerdem werden diverse Facebook-Beiträge und die Mitgliedschaft Özdemirs im Solidaritätsverein der Hinterbliebenen von Verschwundenen (MEYA-DER) beanstandet. Der Verein, der sich für die Aufklärung des Schicksals von Tausenden „Verschwundenen“ in Nordkurdistan einsetzte, war im Zuge des Ausnahmezustands in der Türkei per Notstandsdekret geschlossen worden. Özdemirs Vater zählt zu den Menschen, die in Polizeigewahrsam verschwunden sind.
Die Anschuldigungen gegen den früheren Bürgermeister gehen größtenteils auf die Aussagen der Kronzeugin Hicran Berna Ayverdi zurück, die in zahlreichen Prozessen gegen kurdische Politiker*innen auftritt. Bei einer Verurteilung drohen Özdemir bis zu 22 Jahre Freiheitsstrafe.
Özdemir wurde über das Videoliveschaltungssystem SEGBIS aus dem Hochsicherheitsgefängnis in der Provinz Erzîrom (Erzurum) in die Verhandlung eingebunden und vor Gericht von seiner Verteidigerin Şîlan Çelik vertreten. Diese hatte einen Antrag auf Anrechnung der Haftzeit gestellt und die Freilassung des Politikers gefordert. Der Prozess soll am 7. Juli fortgesetzt werden.