Bürgermeister von Sûr zu langjähriger Haftstrafe verurteilt

Der abgesetzte Ko-Bürgermeister von Sûr, Cemal Özdemir, ist von einem türkischen Gericht in Amed zu fast neun Jahren Haft verurteilt worden.

Der im Dezember 2019 abgesetzte Ko-Bürgermeister des Altstadtbezirks Sûr in Amed (türk. Diyarbakir), Cemal Özdemir (HDP), ist wegen „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ und „Terrorpropaganda“ zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Vom Vorwurf des „unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Stoffen und Gütern“ wurde der Politiker freigesprochen.

Cemal Özdemir war am 23. Dezember 2019 in Amed verhaftet worden. Zwei Tage zuvor wurde er suspendiert und durch einen vom türkischen Innenministerium ernannten Treuhänder ersetzt. In der Anklage gegen den Politiker ging es um Anschuldigungen, die sich auf konstruierte Indizien und Denunziationen stützen.

So wurde Özdemir seine Teilnahme an 22 legalen Kundgebungen und Pressekonferenzen in den Jahren zwischen 2012 und 2019 vorgeworfen. Außerdem beanstandete die Anklage diverse Facebook-Beiträge und die Mitgliedschaft des Politikers im Solidaritätsverein der Hinterbliebenen von Verschwundenen (MEYA-DER). Der Verein, der sich für die Aufklärung des Schicksals von Tausenden „Verschwundenen“ in Nordkurdistan einsetzte, war im Zuge des Ausnahmezustands in der Türkei per Notstandsdekret geschlossen worden. Özdemirs Vater zählt zu den rund 17.000 Menschen, die in Polizeigewahrsam verschwunden sind. Mitte April wurde der Haftbefehl gegen den Politiker aufgehoben.

Die Anschuldigungen gegen Cemal Özdemir gingen größtenteils auf die Aussagen der Kronzeugin Hicran Berna Ayverdi zurück, die bereits in zahlreichen Prozessen gegen kurdische Politiker*innen aufgetreten ist, darunter auch im Verfahren gegen den abgesetzten Oberbürgermeister von Amed und Arzt Adnan Selçuk Mızraklı. 

Persönlich anwesend war Cemal Özdemir bei der Verhandlung am 8. Schwurgerichtshof in Amed heute nicht. Das Urteil gegen ihn wurde ohne Beweisaufnahme und Anhörung der vermeintlichen Zeugin erlassen. Das Gericht entschied zudem die Fortsetzung des Ausreiseverbots, verfügte allerdings die Aufhebung der zuvor angeordneten Meldeauflagen.

Nur noch elf Rathäuser von HDP geführt

Von den 65 kurdischen Kommunen, die bei den Kommunalwahlen von der HDP gewonnen wurden, werden inzwischen 46 von staatlich ernannten Zwangsverwaltern regiert. Gegen knapp dreißig gewählte Bürgermeisterinnen und Bürgermeister erging Haftbefehl, 19 von ihnen sitzen nach aktuellem Stand im Gefängnis. In sechs Kommunen konnten die gewählten Bürgermeister*innen ihr Amt gar nicht erst antreten, weil der Wahlausschuss ihnen die Anerkennung verweigerte. An ihrer Stelle wurden die unterlegenen AKP-Kandidaten ins Amt gehievt, die immer wieder durch Raub und Korruption von sich reden machen. Gegen zwei Bürgermeister leitete die HDP selbst Amtsenthebungsverfahren ein.