Zilan Ekin Turan ist im ersten Jahr des Studiengangs Film und Fernsehen an der Mimar Sinan Fine Arts University (MSGSÜ), einer Universität für Bildende Künste in Istanbul. Ende 2019 wurde Handan İnci auf Beschluss des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan (AKP) die erste Rektorin der Hochschule. Nun soll das zugehörige Ortaköy-Frauenwohnheim auf ihr Geheiß hin geschlossen werden. Als Begründung benennt die Professorin Platzmangel.
Turan ist eine der 200 Studentinnen, die daher Gefahr laufen, auf die Straße geworfen zu werden, zeigt sich im Gespräch mit ANF entschlossen: „Wir werden unser Recht auf Bildung und Wohnraum nicht aufgeben.“
Schließung mit Vorgeschichte
Bereits im vergangenen Sommer habe es Turan zufolge einen Schließungsversuch des Wohnheims gegeben. Als die junge Frau sich letztes Jahr bewerben wollte, stieß sie auf dieselbe Schließungsankündigung. Auf der Website der Universität wurde ein Mangel an Bildungsräumen angeführt und erklärt, das Wohnheim werde vorübergehend in Unterrichtsräume umgewandelt.
Zu diesem Zeitpunkt sei die Bewerbungsfrist für der Kredit- und Wohnheiminstitution KYK bereits abgelaufen gewesen, sodass viele ohne Unterkunft dastanden. Dies führte zu Protesten auf dem Campus, die trotz der landesweiten Sommerferien in die Öffentlichkeit gerieten. Aufgrund des Protestes sei daraufhin die Entscheidung zur Schließung um ein Jahr verschoben worden und steht nun erneut auf der Tagesordnung.
Schließung alleinige Entscheidung des Rektorats
Turan betonte, dass die Entscheidung direkt von der Rektorin Handan İnci getroffen wurde. Dies habe die Wohnheimleitung der Studentin im Gespräch bestätigt. Die Studentinnen stünden mit ihren Sorgen nicht allein da, wie Turan erklärte: „Die Mitarbeitenden des Wohnheims – von der Rezeption über die Reinigungskräfte und Küche bis hin zum Sicherheitspersonal – werden ebenfalls arbeitslos werden. Da es keine klare Aussage darüber gibt, wann das Wohnheim geschlossen wird, sind sie genauso besorgt wie wir.“
„Wir haben niemanden, mit dem wir sprechen können“
Der Versuch einer Klärung stieße laut Turan auf geschlossene Türen. Die Studentinnen hätten die Rektorin das ganze Jahr über nicht gesehen. Diese habe sogar ihre Konten in den sozialen Medien geschlossen, um Kontakt zu vermeiden. „Es ist ironisch und beschämend, dass die erste Rektorin der MSGSÜ versucht, das Frauenwohnheim zu schließen, und sich weigert, mit uns zu kommunizieren“, fügte Turan hinzu.
Besuch der AKP-Abgeordnete Şengül Karslı im Wohnheim
Anstelle der Rektorin habe die AKP-Abgeordnete Şengül Karslı am Montag unter dem Vorwand der „Solidarität“ das Wohnheim besucht, erzählte die Studentin und fügte hinzu: „Ich war wütend. Als Vertreterin der AKP-Regierung ist sie für das verantwortlich, was wir durchmachen. Wie kann jemand etwas anderes behaupten, wenn Frauen ermordet und Studierende wegen Protesten verhaftet werden?“
Wenn die Verantwortlichen vorgeben, Verbündete zu sein
Turan gab an, dass sie wegen ihrer Beiträge in den sozialen Medien vor dem 1. Mai vier Tage lang inhaftiert und dann unter gerichtlicher Aufsicht freigelassen worden war. „Viele meiner Freund:innen sind immer noch inhaftiert oder stehen unter Hausarrest. Wenn Karslı behauptet, sie wolle helfen, unser Leiden zu verhindern, ist das nicht aufrichtig. Ich habe ihr direkt gesagt: Ihre Partei ist diejenige, die das verursacht. Als sie beim Verlassen des Raumes ‚Schön, Sie kennengelernt zu haben‘ sagte, konnte ich nicht schweigen. Ich sagte ihr, dass sie nicht unsere Verbündete sei und dass sie die Verantwortlichen seien“, sagte sie.
Verfügbarer Campus verfällt
Die Studentin wies außerdem die Begründung der „Platzknappheit“ als Ausrede zurück und verwies darauf auf den Balmumcu-Campus. Dieser war 2019 wegen mutmaßlicher Erdbebengefahr geschlossen worden und seitdem dem Verfall preisgegeben. Turan erklärte: „In diesem Gebäude war seit den 1970er Jahren das Institut für Kino und Fernsehen untergebracht. Es beherbergte das erste Filmarchiv der Türkei und war ein kulturelles Zentrum.
Seit unsere Treuhänder-Rektorin ihr Amt angetreten hat, steht es nun leer. Wenn sie wirklich Platz brauchten, warum haben sie dann nicht diesen Campus restauriert oder wieder aufgebaut, anstatt unqualifizierte neue Fakultäten zu eröffnen?“
Überwachungskameras statt Filmausrüstung
Auch die Lehrmittelausstattung, insbesondere zu Ausbildungszwecken benötigtes Kameraequipment, sei nicht ausreichend. Stattdessen werde in die Überwachung investiert, führte die Studentin aus: „Wir werden auf dem Fındıklı-Campus wie Stiefkinder behandelt und müssen zwischen zwei oder drei Unterrichtsräumen hin- und herwechseln. Es fehlt uns an grundlegender Ausstattung. Unsere Professor:innen bringen ihr eigenes Equipment mit.
Die Rektorin führt für diese Probleme Budgetkürzungen an, doch nach den Protesten vom 19. März wurden neue Überwachungskameras installiert. Kameras, die wir für die Filmausbildung benötigen, wurden stattdessen für die Überwachung gekauft.“ [Nach der Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu am 19. März brachen landesweit Proteste in der Türkei aus, die sich gegen die Erdoğan-Regierung richteten, Anm. d. Red.]
Ortaköy-Frauenwohnheim ist gut ausgestattet
Des weiteren sei das Ortaköy-Frauenwohnheim der Studentin zufolge ein gut ausgestattetes Gebäude mit 220 Plätzen, das weitaus besser sei als die KYK-Wohnheime. Sie führte aus: „Wir zahlen 6.000 türkische Lira pro Monat, mehr als bei KYK, aber viel weniger als in privaten Wohnheimen, die bis zu 30.000 türkische Lira kosten. Das Wohnheim unterstützt Kunststudierende mit Arbeitsbereichen und Einrichtungen, die für ihre Arbeit notwendig sind. In KYK-Wohnheimen können Kunststudierende ihre Projekte nicht fertigstellen.“
Wohnen oder Bildung?
Turan betonte, dass die Studentinnen gezwungen sind, sich zwischen Wohnen und Bildung zu entscheiden, und fügte hinzu: „Sie wollen, dass das Wohnheim bis zum 30. Juni geräumt wird. Wir wissen, dass das Gebäude nach den ‚Renovierungsarbeiten‘ in zwei Monaten nicht wieder geöffnet wird. Wir werden aus unseren Wohnungen geworfen und bekommen keinen Platz für unsere Ausbildung. Unser Wohnheim ist erdbebensicher und solide gebaut. Wir wollen es nicht aufgeben. Wir werden unser Recht auf Bildung und Wohnen nicht aufgeben.“