Colemêrg: Verstorbener HDP-Politiker zu Haftstrafe verurteilt

Die politische Justiz in der Türkei macht selbst vor Toten nicht Halt. Der vor vier Jahren verstorbene HDP-Politiker Ahmet Öner ist wegen Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation posthum zu über acht Jahren Haft verurteilt worden.

Im „KCK-Verfahren von Gever“ sind am Freitag alle dreißig Angeklagten zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Wie sich jetzt herausgestellt hat, handelt es sich bei einem der Verurteilten um den HDP-Politiker Ahmet Öner. Öner war im HDP-Verband der Provinz Colemêrg (tr. Hakkari) für den Kontakt zur Bevölkerung zuständig und galt als führende Persönlichkeit mit großer Beliebtheit in der kurdischen Gesellschaft. Er ist 2017 an Magenkrebs verstorben und wurde jetzt posthum zu acht Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe wegen PKK-Mitgliedschaft verurteilt.

Die Verurteilung eines Verstorbenen ist charakteristisch für die politische Justiz in der Türkei. Im selben Verfahren ist Remziye Yaşar, die abgesetzte Ko-Bürgermeisterin des Bezirks Gever (Yüksekova), zu siebzehn Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt worden. Gleich hohe Haftstrafen verhängte das Gericht gegen den ebenfalls inhaftierten Vahit Şahinoğlu sowie Mehmet Çapraz. Die restlichen 26 Angeklagten, bei denen es sich um den Journalisten Necip Çapraz sowie um Tacettin Safalı, Yılmaz Güneyli, Yılmaz Gözyan, Abidin Eniş, Naif Öztekin, Nazif Ataman, Arif Karay, Sabri Tümen, Abdülkerim Akdoğan, Songül Öğmen, Süleyman Sabri Mavi, Abdülhalik Özdel, Metin Yaşar, Muhyettin Önal, Nahide Yıldız Pulat, Hurşit Altekin, M. Emin Seven, Hüsnü Beşer, Abdülmenaf Düzenci, Abdurahman Gemicioğlu, Ruken Yetişkin, Cemil Bor, Hüsnü Bulgan, Seracettin Fırat und Reşit Örbey handelt, erhielten unter demselben Vorwurf Freiheitsstrafen in Höhe von acht Jahren und neun Monaten. Gegen sie verhängte das Gericht zudem polizeiliche Meldeauflagen wegen Fluchtgefahr.

Zum Hintergrund des Prozesses

Das KCK-Verfahren von Gever lief bereits seit Januar 2012. Die Repressionswelle gegen vermeintliche Mitglieder der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK), dem Dachverband der kurdischen Befreiungsbewegung, begann allerdings schon am 14. April 2009 – nur einen Tag, nachdem die KCK einen Waffenstillstand der PKK bis zum 1. Juli verlängert und in einer Deklaration davon gesprochen hatte, dass „zum ersten Mal die Möglichkeit besteht, die kurdische Frage in einem Umfeld der Waffenruhe zu lösen“. Zwei Wochen zuvor hatten in der Türkei Kommunalwahlen stattgefunden, die pro-kurdische Partei DTP konnte die Zahl ihrer Bürgermeisterinnen und Bürgermeister beinahe verdoppeln. Noch im selben Jahr wurde die DTP wegen Terrorvorwürfen durch Entscheid des Verfassungsgerichts verboten.

Die daraufhin eingeleitete „KCK-Operation“ begann zunächst mit der Verhaftung etlicher kurdischer Politikerinnen und Politikern sowie Verantwortlichen von NGOs. In der Folge ergriff der Repressionsschlag wellenförmig alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens und betraf auch Bürgermeister:innen, Gewerkschafter:innen, Journalist:innen, Verteidiger:innen der Menschenrechte und Rechtsanwält:innen. Am Ende der Operation im Jahre 2011 waren etwa 10.000 Menschen unter dem Verdacht der Mitgliedschaft in der KCK verhaftet worden. Etliche Betroffene wurden zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt.