Şengal: Türkischer Drohnenangriff auf Sinunê

In der Gemeinde Sinunê im ezidischen Şengal ist ein Fahrzeug von einer türkischen Drohne bombardiert worden, drei Menschen wurden verletzt. In der Region wird heute der Jahrestag der Befreiung vom IS-Terror begangen.

Eine Kampfdrohne des türkischen Staates hat die ezidische Şengal-Region in Südkurdistan bombardiert. Ziel des Angriffs am Montagabend war die Gemeinde Sinunê, erfasst wurde ein Fahrzeug. Ersten Berichten nach wurden drei Menschen bei der Attacke verletzt, unklar ist allerdings, ob es sich um Insassen oder Passanten handelte. Die Sicherheitskräfte der Autonomieverwaltung haben sich noch nicht geäußert.

Şengal ist das letzte zusammenhängende Siedlungsgebiet der ezidischen Gemeinschaft. Unter dem Vorwand der „Bekämpfung der PKK“ kommt es dort seit 2017 vermehrt zu Luftschlägen durch türkische Kampfflugzeuge und Drohnen. Konkrete Ziele sind hierbei zumeist Einrichtungen des Verwaltungsgremiums „Demokratischer Autonomierat Şengals“ (MXDŞ) oder auch die Selbstverteidigungseinheiten. Bei den Todesopfern handelt es sich hauptsächlich um Menschen aus der Zivilbevölkerung.


Die türkische Führung gibt vor, in Şengal ausschließlich gegen „PKK-Stellungen“ vorzugehen und beruft sich dabei auf das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der UN-Charta. Zahlreiche Organisationen und Gremien, darunter auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags, weisen dagegen auf Verstöße der Türkei gegen das Gewaltverbot hin, da es gar keine Selbstverteidigungssituation gebe.

Der Angriff in der Gemeinde Sinunê nördlich des Şengal-Massivs ereignete sich inmitten der Feierlichkeiten anlässlich des Jahrestags der Befreiung der Region von der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) und hätte weit mehr Opfer kosten können, da open air gefeiert wurde. „An der Angriffsstelle finden Untersuchungen statt, die Sicherheitskräfte werden sich zeitnah äußern“, hieß es aus Kreisen der Asayîşa Êzdîxanê.  

Das bombardierte Fahrzeug brannte völlig aus, mittlerweile ist es gelöscht © RojNews

​​​​​​​Genozid und Befreiung

Am 3. August 2014 überfiel der selbsternannte IS die Şengal-Region mit dem Ziel, eine der ältesten Religionsgemeinschaften auszulöschen: Die Ezidinnen und Eziden. Durch systematische Massakrierung, Vergewaltigung, Folterung, Vertreibung, Versklavung von Mädchen und Frauen sowie der Zwangsrekrutierung von Jungen als Kindersoldaten erlebte die ezidische Gemeinschaft den von ihr als Ferman bezeichneten 74. Völkermord in ihrer Geschichte. Mindestens 10.000 Menschen fielen Schätzungen nach den Massakern des IS zum Opfer, mehr als 400.000 Menschen wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Über 7.000 Frauen und Kinder wurden verschleppt, von etwa 2.500 fehlt bis heute jede Spur. Daher stellt dieser Genozid in seiner Form zugleich auch einen Femizid dar.

Als der IS vor neun Jahren in Şengal einrückte, zogen sich die rund 12.000 in der Region stationierten Peschmerga der südkurdischen Regierungspartei PDK ohne Vorwarnung zurück und überließen die Bevölkerung schutzlos den Islamisten. Wer fliehen konnte, ging ins Gebirge. Dort schützten zunächst weniger als ein Dutzend Guerillakämpfer der PKK den Zugang zum Gebirge und verhinderten das Eindringen der Dschihadisten, bis weitere Guerillaeinheiten zur Verteidigung der Ezid:innen nach Şengal geschickt wurden. Am 6. August kamen zwei Bataillone der YPG und YPJ aus Rojava der PKK zu Hilfe.

Es wurde ein Fluchtkorridor eingerichtet, um die zu Zehntausenden auf den Şengal-Berg geflohenen Menschen zu evakuieren. Über diesen Korridor konnten in den ersten Tagen bereits rund 50.000 Ezid:innen nach Rojava gelangen. So konnte ein noch größeres Massaker verhindert werden. Am 13. November 2015 verkündeten die sich inzwischen gegründeten Widerstandskräfte Şengals (YBŞ) und ihre autonomen Frauenverbände YJŞ die Befreiung der Region.