Vor dem am Dienstag von einer türkischen Drohne bombardierten Haus in der Şengal-Region hat der Volksrat von Xanesor verdeutlicht, sich von den Angriffen nicht einschüchtern zu lassen. Bei der gestrigen Protestaktion wurde der Angriff verurteilt, die irakische Regierung und die internationalen Institutionen wurden dazu aufgefordert, die völkerrechtswidrige Aggression der Türkei zu stoppen.
Ali Hamid erklärte im Namen des Volksrats, dass Wohnhäuser in Xanesor bei der Bombardierung beschädigt wurden. „Wann immer unser Volk in seine Heimat zurückkommen will, werden schmutzige Pläne geschmiedet, um die Rückkehr der ezidischen Gemeinschaft zu verhindern. Unser Volk wird angesichts der Angriffe nicht kapitulieren. Die ezidische Gemeinschaft hat in der Vergangenheit viele Angriffe und Massaker erlebt. Unseren Willen haben wir trotzdem niemals irgendjemandem ausgeliefert“, sagte Hamid.
Die irakische Regierung schweige zu den türkischen Angriffen auf die Zivilbevölkerung, kritisierte Hamid und betonte, dass die Bombardierung eine Verletzung des Völkerrechts bedeutet: „Wir rufen alle internationalen Einrichtungen auf, nicht dazu zu schweigen und sich endlich von dem Faschistenchef Erdogan zu distanzieren.“
Für die ezidische Frauenbewegung TAJÊ erklärte Zabida Şengalî, dass der jüngste Angriff im Rahmen des Şengal-Abkommens vom 9. Oktober 2020 durchgeführt wurde. Das unter internationaler Aufsicht zwischen der irakischen Regierung und der PDK („Demokratische Partei Kurdistans) geschlossene Abkommen sieht eine Zerschlagung der nach dem vom „Islamischen Staat“ (IS) 2014 begangenem Völkermord an den Ezid:innen aufgebauten Strukturen der Selbstverwaltung und Verteidigung zu zerschlagen. „Wir leisten bis heute Widerstand, damit dieses Abkommen nicht umgesetzt wird. Trotz der Angriffe auf uns werden wir unser Land nicht verlassen. Wir akzeptieren kein Abkommen, das unseren Willen missachtet. Şengal ist ein Teil des Irak. Wenn der Irak uns als einen Teil von sich betrachtet, muss er sich für seine territoriale Souveränität einsetzen und gegen diese Angriffe Haltung beziehen“, forderte Zabida Şengalî.
Şêx Kemal, der in dem von der Türkei bombardierten Haus wohnte, erklärte: „Mein vom türkischen Staat angegriffenes Haus wurde beschädigt. Außer diesem Haus habe ich nichts.“
Hintergrund: Tödliche Angriffe auf Überlebende des Völkermords
Şengal ist das letzte zusammenhängende Siedlungsgebiet der ezidischen Gemeinschaft. Die Türkei greift die Region seit Jahren kontinuierlich an. Ende Februar wurden mit Pîr Çeko und Agir Cefrî zwei Kommandanten der Widerstandseinheiten YBŞ bei einem Drohnenschlag getötet. Zwei Tage später kam Şêrzad Şemo Qasim aus der Leitung der Sicherheitsbehörde Asayîşa Êzdîxanê ums Leben – ebenfalls durch einen Luftangriff. Beide Organisationen, sowohl die YBŞ als auch Asayîşa Êzdîxanê, wurden unter dem Eindruck des 2014 von der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) an der ezidischen Gemeinschaft Şengals verübten Genozids gegründet. Bei vielen Angehörigen handelt es sich um Überlebende dieses Völkermords.
Die türkische Luftwaffe bombardiert auch die Kurdistan-Region Irak und die Autonomieregion Nord- und Ostsyrien ohne Unterlass. Immer wieder werden gezielt Menschen getötet, die sich am Kampf gegen den IS beteiligt haben. Die türkische Führung behauptet, ausschließlich gegen „PKK-Stellungen“ vorzugehen und beruft sich dabei auf das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der UN-Charta. Zahlreiche Organisationen und Gremien, darunter auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags, weisen dagegen auf Verstöße der Türkei gegen das Gewaltverbot hin, da es gar keine Selbstverteidigungssituation gebe.
Der deutsche Bundestag hat im Januar die IS-Massaker an der ezidischen Gemeinschaft in Südkurdistan als Völkermord anerkannt. Dass die Türkei diesen Völkermord fortsetzt, wird nicht beachtet.