Das Komitee für auswärtige Beziehungen der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) hat eine Stellungnahme zu den aktuellen Entwicklungen in Şengal abgegeben. Die Region Şengal im Nordirak ist das letzte zusammenhängende Siedlungsgebiet der ezidischen Gemeinschaft, an der der sogenannte „Islamische Staat“ 2014 einen Genozid und Femizid verübt hat. Bei dem IS-Angriff am 3. August 2014 verließen die irakische Armee und die Peschmerga der PDK (Demokratische Partei Kurdistans) die Region, die Bevölkerung wurde nur von der PKK-Guerilla und den YPG/YPJ aus Rojava verteidigt. Nach dem Massaker wurden in Şengal Selbstverteidigungsstrukturen und im Einklang mit der irakischen Verfassung eine Autonomieverwaltung aufgebaut. Die Türkei greift die Region seit Jahren immer wieder an und wird dabei von der PDK unterstützt.
Ein großer Teil der 2014 vor den IS-Horden geflüchteten Bevölkerung ist nicht nach Şengal zurückgekehrt, viele Vertriebene leben in Lagern in der Kurdistan-Region Irak. Als die irakischen Behörden Ende April dreißig sunnitisch-arabische Familien nach Şengal zurückschicken wollten, kam es zu wütenden Protesten der ezidischen Gemeinschaft, die unter den Rückkehrern Beteiligte an dem IS-Massaker von 2014 erkannte. Die Rückführung wurde daraufhin gestoppt, es kam zu Festnahmen, die Vorwürfe werden von irakischen Stellen untersucht.
Proteste in Şengal, 27. April 2023
Kurz danach verbreiteten PDK-Medien die Meldung, dass Eziden eine Moschee angezündet hätten. Die ezidische Gemeinschaft in Şengal dementierte die Anschuldigung und erklärte, dass die Aufnahmen aus dem Jahr 2016 stammten und die Moschee vom IS niedergebrannt wurde.
Die KCK warnen in diesem Zusammenhang vor weiteren gezielten Provokationen. In der Erklärung des KCK-Komitees heißt es, dass das ezidische Volk eine der ältesten Kultur- und Glaubensgemeinschaften der Welt ist, die auf dem Respekt vor allen Religionen und dem Frieden zwischen den Glaubensrichtungen basiert: „Aufgrund der Tatsache, dass sie die älteste kurdische Kultur- und Glaubensgemeinschaft sind, waren die Ezid:innen zahllosen Angriffen, Massakern und zuletzt im August 2014 dem Völkermord des IS ausgesetzt, den die ganze Welt mit großer Aufmerksamkeit verfolgt hat. Die Bilder, wie Tausende von ezidischen Frauen und Jugendlichen diesem brutalen und unmenschlichen Völkermord ausgesetzt wurden, sind der Weltöffentlichkeit noch immer in lebhafter Erinnerung. Obwohl die ezidische Gemeinschaft im Laufe der Geschichte alle Arten von Angriffen erlebte, hat sie ihre Existenz und ihre alte Heimat geschützt und keine Aggressionen gegen andere Völker und Glaubensrichtungen ausgeübt. Sie wusste, wie man in friedlicher Koexistenz mit Menschen anderen Glaubens in freundschaftlichen und nachbarschaftlichen Beziehungen auf der Grundlage von Respekt lebt."
Hetzkampagne gegen die ezidische Gemeinschaft
Aktuell finde jedoch eine Hetzkampagne gegen die ezidische Gemeinschaft statt, erklärt die KCK. An verschiedenen Orten im Irak und in Südkurdistan werde in den letzten Tagen versucht, geplante Provokationen anzuzetteln und manipulative Berichte zu verbreiten. Obwohl die irakischen Behörden auf die Proteste gegen die Ansiedelung von IS-Tätern in Şengal angemessen reagiert hätten und das Problem damit gelöst sei, werde „seit Tagen mit Falschmeldungen über angezündete Moscheen und Angriffe auf Sunniten gegen Eziden gehetzt. Es wurde sogar zu Angriffen auf Lager aufgerufen, in denen Eziden untergebracht sind“, so das KCK-Komitee. Die Bestrebungen, das ezidische Volk zum Ziel einer rassistischen und massakrierenden Politik zu machen, seien gefährlich und inakzeptabel.
„Bislang hat sich keine der offiziellen Stellen und Behörden Südkurdistans zu diesem Thema geäußert, im Gegenteil, sie haben eine Haltung eingenommen, die die Eziden zur Zielscheibe machte und die Angriffe auslöste. Unser ezidisches Volk, das vor den Angriffen des IS geflohen ist und im Süden Zuflucht gesucht hat, wo es in Lagern festgehalten wird und nicht in sein eigenes Land zurückkehren darf, ist allen Arten von Druck und Angriffen ausgesetzt“, stellt die KCK fest.
Selbstverteidigung ist die einzige Garantie für die ezidische Existenz
Die ezidische Gemeinschaft wehre sich gegen das zwischen der PDK und der irakischen Regierung am 9. Oktober 2020 geschlossene Şengal-Abkommen, mit dem die nach dem Genozid von 2014 aufgebauten demokratischen Strukturen der Selbstbestimmung zerschlagen werden sollen, erklärt die KCK. Aufgrund dieser Haltung seien jetzt „Provokationen in Gang gesetzt worden, um die Bevölkerung mit schmutzigen Methoden zur Kapitulation zu zwingen“.
Weiter heißt es in der Erklärung: „Es sollte bekannt sein, dass solche Provokationen von der Bevölkerung von Şengal und der kurdischen Öffentlichkeit, die mit den Werten der Demokratie und Freiheit verbunden ist, nicht akzeptiert werden. Die jüngsten Provokationen und Angriffe haben einmal mehr gezeigt, dass die Selbstverwaltung unseres ezidischen Volkes und der Besitz von Selbstverteidigungsmitteln angemessen, gerechtfertigt und die einzige Existenzgarantie ist.
Wir rufen alle politischen Kräfte, Intellektuellen, demokratischen Institutionen und Organisationen, alle, die alle Überzeugungen respektieren und für den Frieden eintreten, auf, gegen diese Provokationen Stellung zu beziehen. Wir rufen auch den irakischen Präsidenten, die Regierung und die politischen Kreise auf, sich gegen diese falsche Politik und Haltung zu positionieren und die Probleme auf der Grundlage eines Dialogs mit dem ezidischen Volk zu lösen. Ebenso rufen wir alle internationalen Organisationen und Institutionen, insbesondere die UNO, dazu auf, aufmerksam zu sein und gegen diese Provokationen Position zu beziehen. Wir rufen alle auf, sich gegen die Angriffe zu wehren, die auf jede Art von Verleugnung und Entmachtung abzielen, und den Widerstand und den Kampf der Bevölkerung von Şengal zu unterstützen, um die Existenz des ezidischen Volkes und seine politische, kulturelle und religiöse Identität zu schützen."