Meşa Dirêj: Gelungener Abschluss trotz Provokationen

Der traditionelle lange Marsch der kurdischen Jugendbewegung ist trotz Provokationen erfolgreich abgeschlossen worden. Für Samstag wird zu einem Konzert eingeladen, unter anderem mit dem Rapper Serhado.

Der alljährliche „Meşa Dirêj“ (Langer Marsch) der kurdischen Jugendbewegung für die Freiheit von Abdullah Öcalan ist am Donnerstag in Aachen erfolgreich abgeschlossen worden – trotz Provokationen seitens der Polizei und türkischer Faschisten. Sechs Tagesetappen lang führte die am Samstag begonnene Veranstaltung durch Köln, Leverkusen, Düsseldorf, Duisburg und Mönchengladbach. Beteiligt waren neben Mitgliedern der Jugendorganisationen TCŞ und TekoJIN auch internationalistische Aktivistinnen und Aktivisten aus Deutschland, Frankreich, Österreich, Schweden, den Niederlanden, England und der Schweiz. „Dest bi Dest – Mil bi Mil: Werin Cenga Azadiyê – Hand in Hand – Schulter an Schulter – Nehmt am Freiheitskampf teil“ lautete in diesem Jahr das Motto.

Seminar über Öcalan-Realität

Der letzte Tag des langen Marsches begann mit der Begrüßung der Teilnehmer:innen durch die Studierendenverbände YXK und JXK im Demokratischen Gesellschaftszentrum der in Aachen organisierten kurdischen Community. Ein Seminar beleuchtete die Realität von Abdullah Öcalan und dessen Paradigma einer radikaldemokratischen, geschlechterbefreiten und ökologischen Gesellschaft. Zudem wurde ein Quiz ausgerichtet, die erstplatzierte Gruppe erhielt als Preis mehrere Bücher.

Bei dem Seminar wurde auch eine Analyse von Cemil Bayık verlesen

Dossier über Auswirkungen von C-Waffen-Angriffen in Kurdistan an RWTH übergeben

Im weiteren Verlauf des Tages wurde durch ein Komitee der YXK/JXK dem Fachbereich Chemie an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) ein Dossier über die Auswirkungen des Einsatzes von chemischen und biologischen Waffen durch den türkischen Staat in Kurdistan übergeben. An der naturwissenschaftlichen Fakultät der RWTH gibt es eine Forschungsgruppe für nukleare Verifikation und Abrüstung und eine Juniorprofessur für die naturwissenschaftlich-technischen Friedensforschung.

Abschlussdemonstration und Sitzstreik

Nach dem Besuch in der RWTH startete um 17 Uhr eine Abschlussdemonstration durch Aachen. Währenddessen wurden zahlreiche Flugzettel verteilt, die über die Haftsituation von Abdullah Öcalan auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali informierten. Wie ANF bereits berichtete, kam es dabei zu Provokationen von türkischen Faschisten. Einer der beteiligten Aktivisten wurde auf der Großkölnstraße an der Stirn verletzt und musste in ein Krankenhaus gebracht werden. Die anwesende Polizei reagierte nicht auf die Provokation.

Provokationen beim langen Marsch sind fast schon traditionell

Aus Protest gegen diese Ignoranz mündete der Marsch vor der Elisengalerie in einen Sitzstreik, die Aktivistinnen und Aktivisten skandierten mehrmals die Parole „Bijî Serok Apo“ (dt. Es lebe der Vorsitzende Apo, gemeint ist Abdullah Öcalan). Ein Jugendlicher wurde daraufhin von Einsatzkräften zur Personalienfeststellung abgeführt. Zur Begründung hieß es, der Ausruf sei in Deutschland verboten. In Anbetracht dessen, dass sich die Demonstration thematisch um die Lebens- und Haftbedingungen Abdullah Öcalans drehte und die staatlich angeordnete Isolation auf Imrali als Folter kritisierte, erschien die Rechtfertigung der Polizei mehr als absurd.

Konzert als krönender Abschluss

Dennoch wurde die Aktion erfolgreich beendet. Das Konzert als krönender Abschluss des diesjährigen Meşa Dirêj findet nun am Samstag statt, Interessierte können sich an die örtlichen Strukturen zwecks Uhrzeit und Ort wenden. Für das Programm werden der Rapper Serhado, Bengî Agirî sowie Bands der kurdischen Kulturbewegung TEV-ÇAND sorgen.

Hintergrund

Der Meşa Dirêj ist eine traditionelle Veranstaltung der europaweit organisierten kurdischen Jugendbewegung. Das Hauptziel der Demonstration ist es, die Aufmerksamkeit auf die Situation in Kurdistan und von Abdullah Öcalan zu lenken. Der PKK-Gründer und Vordenker der kurdischen Befreiungsbewegung, der als wichtigster politischer Repräsentant der Kurdinnen und Kurden gilt, wurde 1999 in einer koordinierten Aktion, an der viele Staaten und Geheimdienste beteiligt waren, aus Kenia in die Türkei verschleppt. Die kurdische Gesellschaft bezeichnet diese Phase als das „internationales Komplott“. Seit seiner Geiselnahme wird Öcalan auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer in Isolation gehalten, unter einem beispiellosen Haftregime, das auf körperliche und physische Vernichtung abzielt. Diese langjährige Folter wird durch weitere Einschränkungen der Haftbedingungen verschärft. Es besteht ernstlich Grund zur Sorge um das Leben des 72-Jährigen.

Abdullah Öcalan wendet sich gegen Separatismus und Sezessionismus. Er bietet eine zeitgenössische und demokratische Gesellschaftsalternative zu bestehenden reaktionären, antidemokratischen Mentalitäten und Herrschaftsformen an - nicht nur für das kurdische Volk, sondern für den gesamten Mittleren Osten. Trotz unmenschlicher Haftbedingungen auf Imrali versucht er den kriegerischen Auseinandersetzungen in der Region entgegenzuwirken, indem er Vorschläge zur Lösung der kurdischen Frage entwickelt. Mit einem Paradigmenwechsel schuf er bereits die Grundlagen, um Nationalismus, Unterdrückung, Krieg und Ausbeutung den Raum zu entziehen.

Diesen Bemühungen zum Trotz treten die Nationalstaaten umso mehr dafür ein, dass die schon lang anhaltende Krise völlig aus dem Ruder gerät. Vor allem der türkische Staat setzt auf eine Fortsetzung des Krieges und die Vernichtung der kurdischen Identität, um die eigene Existenz zu garantieren. Die Jugendlichen fordern mit ihrem Marsch daher die Aufhebung der Isolationshaft auf Imrali und Bedingungen für Öcalan, in denen er frei leben und arbeiten kann, um so zur Lösung der kurdischen Frage und aller weiteren Probleme im Mittleren Osten beizutragen. Insbesondere mit Blick auf die türkischen Invasionen im südlichen und westlichen Kurdistan soll der Marsch auch als eindeutige Botschaft an alle europäischen Regierungen verstanden werden, die militärische, außenpolitische und wirtschaftliche Beziehungen zur Türkei pflegen.