Hatimoğulları: „Ohne Alevit:innen kein Frieden“
Unter dem Motto „Mit Liebe schreiten wir voran“ fand in London das 13. Alevitische Festival statt. Mehrere tausend Menschen nahmen an dem Festival teil, das sich in den vergangenen Jahren zu einer der größten alevitischen Kulturveranstaltungen Europas entwickelt hat. Im Mittelpunkt standen kultureller Austausch, spirituelle Rituale sowie politische Botschaften.
Die Veranstaltung wurde von der Alevitischen Föderation Großbritannien (BAF) auf ihrem Gelände in Enfield organisiert und stand in diesem Jahr im Gedenken an die bei Opfer der Massaker dschihadistischer Milizen an der alawitischen Gemeinschaft in den Küstenregionen Syriens.
Breites Festivalprogramm
Eröffnet wurde das Festival mit einer symbolischen Zeremonie: Alevitische Geistliche entzündeten Çerağ-Lichter und riefen zum Frieden, zur Gerechtigkeit und zur Freiheit auf. Begleitet von Deyiş-Gesängen zeigten Semah-Gruppen spirituelle Tanzrituale, während Alevit:innen und Alawit:innen aus Großbritannien und anderen europäischen Ländern sich zu musikalischen Darbietungen, Seminaren und Diskussionsrunden versammelten.
Auf dem Gelände präsentierten sich außerdem zahlreiche Künstler:innen, Autor:innen und zivilgesellschaftliche Organisationen mit Infoständen. Der Zuspruch war groß, insbesondere auch für die Beiträge von Musiker:innen wie Ali Sizer, Hüseyin Korkan Korkmaz sowie die Band Popcorn. Die Gruppe des Vereins Kırkısrak zeigte traditionelle Volkstänze.
Hatimoğulları: „Ohne Alevit:innen kein Frieden“
Ein zentrales politisches Statement kam von Tülay Hatimoğulları, Ko-Vorsitzende der DEM-Partei, die gemeinsam mit dem CHP-Abgeordneten Orhan Sarıbal als Rednerin eingeladen war. In ihrer Rede betonte sie die Rolle der Alevit:innen im gesellschaftlichen Wandel der Türkei: „Alevit:innen waren und sind Zielscheibe von Assimilationspolitik, Repression und Gewalt. Ohne ihre aktive Beteiligung ist in der Türkei weder Frieden noch Demokratie denkbar.“
Sie kritisierte islamistische Kreise in der Türkei, die alevitische Cem-Häuser als „Vergnügungsstätten“ kriminalisieren, sowie die institutionelle Zuordnung des alevitischen Glaubens zum Kultur- und Tourismusministerium als entwürdigend. „Ein Glaube verdient Respekt, auch wenn ihn nur eine einzige Person ausübt. Die DEM-Partei steht solidarisch an der Seite der Alevit:innen – jetzt und in Zukunft.“
Hatimoğulları äußerte zudem scharfe Kritik an der innenpolitischen Lage in der Türkei. Die Repression gegen oppositionelle Kräfte habe sich seit dem Systemwechsel zur Präsidialrepublik dramatisch verschärft, so die Abgeordnete. „Die demokratische Opposition – von der DEM-Partei bis hin zu Gewerkschaften und der CHP – wird systematisch unter Druck gesetzt. Wir akzeptieren weder die Inhaftierung gewählter Mandatsträger:innen noch das Vorgehen gegen Ekrem Imamoğlu, Osman Kavala oder Figen Yüksekdağ.“
Friedensprozess nur mit Alevit:innen denkbar
Auch eine Festnahmeverfügung in der Türkei gegen Nevin Kamil Ağaoğlu, Ko-Vorsitzende der Konföderation der alevitischen Gemeinden in Europa (AABK), wurde als politisch motiviert verurteilt. Hatimoğulları nannte die Maßnahme „eine direkte Botschaft an die alevitische Glaubensgemeinschaft“.
Bezugnehmend auf die erneuten Gespräche über eine friedliche Lösung der kurdischen Frage sagte Hatimoğulları: „Ein echter Friedensprozess setzt gleichberechtigte Teilhabe aller gesellschaftlichen Gruppen voraus – insbesondere der Alevit:innen.“ Die Politikerin, die selbst Alawitin ist, erinnerte an den „Aufruf für Frieden und eine demokratische Gesellschaft“ des inhaftierten PKK-Gründers Abdullah Öcalan und betonte, dass der Aufruf alle Völker und Glaubensrichtungen einbeziehe.
„Gleichberechtigung, Muttersprachenerziehung, Gewaltfreiheit und soziale Gerechtigkeit – das sind unsere Prinzipien für einen möglichen Frieden.“ Hatimoğulları beendete ihre Rede mit den Worten des Dichters Pir Sultan Abdal: „Geh nur, Hızır Paşa – auch dein Machtspiel wird zerbrechen“.
Ağaoğlu und Mat: Frieden braucht Organisation und Widerstand
Auch Nevin Kamil Ağaoğlu und Hüseyin Mat, Ko-Vorsitzende der AABK, sprachen auf dem Festival. Beide hoben die Rolle der Alevit:innen als Friedensakteur:innen hervor.
Ağaoğlu betonte: „Frieden ist heute das, was wir am dringendsten brauchen. Alevitische Kultur ist Widerstand, ist Dialog, ist Solidarität.“ Mat warnte jedoch vor der Vereinnahmung eines möglichen Friedensprozesses durch staatliche Institutionen.
„Wir lassen den Frieden nicht Erdoğan oder Bahçeli über. Wir Alevit:innen werden diesen Prozess aktiv mitgestalten.“ Zugleich kündigte Mat Widerstand gegen alle repressiven Maßnahmen gegen Alevit:innen und Kurd:innen an. „Wer schweigt, macht sich mitschuldig. Wir werden niemals zurückweichen.“
CHP-Abgeordneter Sarıbal: „Gemeinsam gegen Unterdrückung“
Der CHP-Abgeordnete Orhan Sarıbal erinnerte in seiner Rede an die Massaker an Alevit:innen in der Türkei – von Çorum über Maraş bis Gazi – und an die aktuelle Bedrohungslage in Syrien. Er kritisierte die Rolle der türkischen Regierung in den Konflikten und forderte ein breites demokratisches Bündnis über Parteigrenzen hinweg.
Kultur, Protest und politische Haltung vereint
Die Festivalbesucher:innen machten ihre politischen Botschaften mit Semah-Tänzen, Govend-Runden und Parolen sichtbar. Mit musikalischen Auftritten von Ayfer Düzdaş und Mikail Aslan endete das diesjährige Festival der alevitischen Community Großbritanniens in einer Atmosphäre zwischen Widerstand und Zuversicht.