Diyar Hesso: Dieses Land ist kein „No Man’s Land“

„Jeder Film über die Kurd:innen, der ohne sie gemacht wird, richtet sich gegen Kurd:innen“, schreibt der Produzent und Mitbegründer der Filmkommune Rojava, Diyar Hesso, in einer Kritik an ausländischen Produktionen über Rojava.

No Man‘s Land (deutsch: Niemandsland). Oder „Land ohne Menschen und Besitzer“, wie die Macher:innen dieser Serie in kleinen schüchternen Buchstaben auf Kurdisch unter den englischen Titel geschrieben haben. Das erste Mal hörte ich davon, als ein Freund dies erwähnte und mich fragte, ob ich die Serie gesehen hätte. „Die Franzosen haben ein weiteres Werk über die Kurden gemacht...“, sagte er.

Ich habe versucht, nicht mit Vorurteilen behaftet zu sein, aber der Name der Serie war wenig hilfreich, um ehrlich zu sein. Warum ohne Menschen und Besitzende? Wer sind dann WIR? Der Krieg, der auf diesem Land geführt wird, richtet er sich nicht in erster Linie gegen die Besitzenden eben jenes Landes? Das Land, in dem die Revolution stattgefunden hat, hat sich nicht das Volk dieses Landes mit dieser Revolution erhoben?

Der bekannte slowenische Philosoph Slavoj Žižek schrieb nach der türkischen Invasion in Westkurdistan/Nordostsyrien 2019 einen Artikel. Darin kritisierte er den Angriff, den US-amerikanischen Verrat, die Haltung Europas und einige Linke. Die Kurd:innen seien „beispiellose Opfer“, da sie von allen angegriffen werden, so Žižek. Der türkische Staat, das syrische Regime, IS, Russland und die USA, mit dem Iran verbundene Milizen, Israel, Geheimdienste und viele weitere sind alle aus irgendeinem Grund gegen die Kurd:innen und die kurdische Freiheitsbewegung in Rojava.

Respektlosigkeiten gegenüber Kurden

In einer Zeit, in der sogar Presse und Medien gegen Kurd:innen arbeiten, behaupte ich, dass es nun auch „Kunstschaffende“ und vor allem Filmschaffende gibt, die gegen sie sind. Denn in den letzten Jahren sind drei oder vier Filme und mittlerweile auch eine Serie über kurdische Kämpfer:innen und Revolutionäre gedreht worden, und alle diese Werke richten sich gegen sie. Inwiefern tun sie das? In vielerlei Hinsicht würde ich sagen. Ein gemeinsames Merkmal ist, dass die Kurd:innen stets die Ignorantesten, die Rücksichtslosesten und Gewissenlosesten sind. Wenn es nach den kurdischen Kämpfer:innen ginge, würden sie Zivilpersonen töten, sie foltern, den Tod ihrer Freund:innen verursachen und so weiter. Das behaupten alle diese Filme.

Die Internationalist:innen hingegen sind immer besser, kenntnisreicher, aufrichtiger und revolutionärer. Ich habe Mühe, dies zu verstehen: irgendwo an einem Ort auf dieser Welt führen Menschen eine Revolution durch. Diese Revolution nimmt Einfluss auf andere Teile der Welt. Einige Menschen – weil sie sich der Revolution angezogen fühlen – kommen, um sich ihr anzuschließen, aber irgendwie scheinen sie diese Revolution dann doch besser verstanden zu haben als diejenigen, die sie gemacht haben! Wir vergessen gleichzeitig, dass Rojava nicht vom Himmel gefallen und einfach aus dem Blauen heraus passiert ist. Es hat sich nicht selbst aufgebaut, sondern es waren die Menschen aus Rojava und die Vordenker:innen und Revolutionär:innen der kurdischen Freiheitsbewegung. Die Revolutionär:innen führten diese Revolution durch.

In diesem Sinne werden diese Filme immer schlimmer. Girls of the Sun („Les Filles Du Soleil“) war schon schlecht, Sisters in Arms („Soeurs D’armes“) sogar noch schlimmer. Und ein Film, der 2020 bei der Eröffnung des Kurdischen Filmfestivals in Berlin lief, Sisters in Arms, war einfach am grauenhaftesten, was Profanität und Respektlosigkeit gegenüber den Kurd:innen und insbesondere gegenüber den weiblichen Guerillakämpferinnen und Revolutionärinnen angeht. Es gibt da aber auch einen weiteren Film, den eine katalanische Regisseurin dreht, aber noch nicht fertig ist. Ich glaube, er wird der schlimmste von allen sein.

Schlimm, schlimmer, grauenhaft

Eine weitere Gemeinsamkeit besteht darin, dass sich die Geschichten stark auf weibliche Kämpferinnen konzentrieren. Auch ihre Regisseurinnen sind Frauen. Mit der Frauenbewegung in Kurdistan wurde den kurdischen Frauen ein neues Ansehen verschafft. Durch die Revolution in Rojava und die YPJ hat sich dieser Ruf noch weiter in der Welt verbreitet. Die Frauen sind die Vorhut des Kampfes und der Revolution in Kurdistan und Rojava. Dies ist weder nur ein Wort noch eine Parole noch eine Analyse. Das ist heute eine grundlegende Tatsache. Ich würde behaupten, dass die Revolution in Rojava keinen Erfolg gehabt hätte, wenn die Frauen nicht an ihrer Spitze gestanden hätten. Auch hätte sie ohne Frauen nicht so viel Einfluss in der Welt gehabt.

„Wie schon bei Girls of the Sun werden in Sisters in Arms die Leistung und die großen Opfer, die die YPG/YPJ im Kampf gegen den IS gegeben haben, anderen zugeschrieben. Die wunderbare Hevaltî der YPJ und der YJŞ werden denen zugeschrieben, die sie schmählich im Stich gelassen haben.“ - Anja Flach

 

Man könnte meinen, dass einige internationale antirevolutionäre „Kräfte“ auf diese Weise ihre Medien, ihre Propagandainstrumente und ihr politisches Bewusstsein gegen die Revolution einsetzen und die Freiheitsbewegung der Frauen ins Visier nehmen, überschatten oder zumindest falsch darstellen wollen. Vielleicht war das nicht die Absicht dieser filmschaffenden Personen, aber das ist das Mindeste, was man sagen kann: Falschdarstellung! Die Vermarktung und Stilisierung der Uniformen von Kämpferinnen, die Bilder der „weiblichen Peschmerga“, die mit ihren Mündern lebende Tiere reißen, die Förderung bestimmter Typen kurdischer „Künstlerinnen und weiblichen Intellektuellen“ und natürlich diese Filme und Serien sind alle auf die eine oder andere Weise Teil derselben Bemühungen. Das meiste davon geschieht meiner Meinung nach absichtlich.

Andererseits glaube ich nicht, dass liberale Männer oder bürgerliche Feministinnen den Befreiungskampf der kurdischen Frauen und die Frauenbefreiungsbewegung in Kurdistan künstlerisch interpretieren können. Das liberal-moderne Geschichtenerzählen ist sehr oberflächlich im Vergleich zu den Tiefen des Themas. Sie versagen einfach und können nicht die Geschichte einer führenden Frau erzählen, die durch sich selbst und für sich selbst existiert, die sich selbst und andere Frauen und ein Land befreit und ihre eigenen Überzeugungen und Ideologien hat. In diesen Filmen geht es immer darum, dass eine Frau ihren Sohn oder den Bruder retten will vor dem IS, oder die Schwester umarmen will, die in der deutschen Armee ist und fast mit ihr nach Deutschland geht, oder aus anderen Gründen, die aber alle mit der Idee zusammenhängen, dass die Protagonistin für ihre Familie kämpft! Diese Art der Darstellung von Frauen, die sich eher um ihre Familien kümmern als um die Revolution des Landes, ist ein Produkt männlicher Vorstellungskraft. All diese Szenen in diesen Filmen und Serien, in denen die Beziehungen der Kämpferinnen dargestellt werden, brutale Tötungen von IS-Mitgliedern, die Art und Weise, wie IS-Gefangene misshandelt oder gefoltert werden – all das ist in den Köpfen der Männer entstanden und zu einer Fantasie geworden.

„Kurdische Nebenfiguren“ ohne eigene Geschichte

Dies vorangestellt, können wir im Besonderen auf die Serie „No Man‘s Land“ zurückkommen. Sie ist in Koproduktion mit Israel und Frankreich, dem deutsch-französischen Fernsehsender Arte und dem US-amerikanischen Streaminganbieter Hulu entstanden. Gedreht wurde, wie bei den bereits erwähnten Filmen, außerhalb von Kurdistan, in Marokko, in einer halbgebirgigen Gegend. Die Serie beinhaltet eine Vielzahl geografischer Fehler, aber das ist weniger das Problem. Es sei keine Dokumentation, sagt Maria Feldman, eine der Produzent:innen. Sie habe, nachdem sie in den Medien davon erfuhr, dass IS-Leute sich vor dem „Ruf der kurdischen Kämpferinnen“ (Ululation) fürchten würden, ihre Stimmen diese Feiglinge erschrecken würde, die Idee gehabt etwas über diese Frauen machen wollen. Die Geschichte wird jedoch aus der Sicht einer Ausländerin erzählt – „Wir wollten, dass unsere Serie global ist“. Es gibt zwar einige kurdische Charaktere, bei denen es sich aber lediglich um Nebenfiguren ohne eigene Geschichte handelt – bis auf eine YPJ-Kommandantin, die anfangs verwundet wird, ein paar harte Worte und Taten von sich gibt, ihre Stimme erhebt und sich dann opfert; als ob sie sagen würde: „Der Job ist erledigt, die kurdische Frau wird nicht mehr gebraucht, und wir gehen zurück zu den wahren Helden!“ Dann wäre da noch die kurdische Kämpferin, die mehr Französin ist, weil sie in Frankreich aufwuchs aber zurückkehren musste. Sie wird von einer Schweizer Schauspielerin mit tunesischen Wurzeln dargestellt. Gewiss gibt auch sie einige kurdische Wörter von sich. Mit dem Kurdisch-sein oder den Idealen der Frauenbewegung hat sie aber nichts zu tun.

Nun kann man das alles verstehen, aber sprechen Kurd:innen nicht auch ihre Sprache? Im globalen Kino, vor allem in Hollywood, ist die Frage der Repräsentation und des Selbstausdrucks jedoch sehr umstritten. Afroamerikaner:innen durften nicht in Filmen mitspielen, wurden schlecht dargestellt, haben über ihre Wahrheiten gelogen, und schließlich wurden ihnen sehr stereotype Rollen zugewiesen. Das Gleiche galt für die Darstellung von Frauen, anderen Minderheiten und Religionen. Aber das änderte sich mit dem Widerstand der Künstler:innen; sie spielten ihre Rollen und schrieben selbst. Natürlich sollten wir als Kurd:innen unsere eigenen Geschichten erzählen. Das heißt aber nicht, dass diejenigen, die diese Filme machen, unschuldig sind und sie aus ihrer Perspektive machen.

Szene aus No Man's Land

Die Darstellung von Kurd:innen und kurdischen Revolutionär:innen in dieser Weise ist respektlos. Wieso hat man sich nicht mit jemandem von der Freiheitsbewegung zusammensetzen und diskutieren können? Ein wichtiger Teil der Arbeit beim Drehbuchschreiben ist die Recherche. Wenn man über ein Thema schreiben will, recherchiert man es, schaut sich um, stellt Fragen. In der Serie gibt es drei Charaktere, Freunde aus der Kindheit, die aus Großbritannien nach Syrien aufbrechen, um sich dem sogenannten IS anzuschließen. Ihre Geschichte, ihre Verbindung zum Islam, Hintergründe für ihre Beteiligung beim IS, die Schwierigkeiten, denen sie ausgesetzt sind, die menschlichen Aspekte davon, all das wird sehr deutlich erzählt, so dass sich die Betrachtenden fast schon in sie hineinversetzen können. Einfach perfekt! Ich befürchte, dass die Macher:innen und Autor:innen tatsächlich mit Menschen aus dem Umfeld des IS gesprochen haben, sie womöglich auch noch interviewt und intensive Recherche betrieben haben. Spionage und Geheimdienste spielen auch eine große Rolle in der Serie. Der Autor Ron Leshem äußert selbst in einem Interview, mit Nachrichtendienstlern zusammengearbeitet und die Thematik gemeinsam recherchiert zu haben. Was zum Teufel muss da los gewesen sein, wenn nicht zustande gebracht werden konnte, jemanden von der kurdischen Befreiungsbewegung zu sprechen? Eher war es so, dass sie nicht wollten.

Mossad, CIA, MI6

Unter den Geheimdiensten, die in dieser Serie auftauchen und porträtiert werden, ist auch der Mossad. Dessen Agentinnen und Agentin und jene vom CIA oder MI6 und anderer Nachrichtendienste werden selbstverständlich nach Syrien und Rojava entsendet; sie sind im Dauereinsatz. Der Mossad wird allerdings so dargestellt, als sei er in der Region fast genauso aktiv und dominant wie die YPG und YPJ. Es wird der Eindruck vermittelt, als würden die Agent:innen den IS bekämpfen und damit den Kurd:innen helfen und beides auch noch gut machen. Sie unterstützen sogar die Demokratie im gesamten Nahen Osten. Als weitere Hauptfigur taucht Anna auf (auch sie ist Französin), eine Archäologin und Aktivistin, die später Mossad-Agentin wird. Sie reist in Länder wie den Iran, aber als sie sieht, dass zivile Personen aufgrund ihrer Arbeit getötet werden, trennt sie sich vom Mossad (natürlich werden hier der Mossad und die westlichen Länder kritisiert, aber in gewisser Weise würde das Publikum sagen, „dass sie zwar nichts Gutes tun, aber es tun müssen“), und schließt sich den YPJ an. Sie teilt alles mit ihrer Kommandantin, sie verheimlicht nichts. Aber mit der Zeit wird sie auch zu einer „Tötungsmaschine“, ermordet sogar verwundete IS-Mitglieder. Sie wird „mächtig" und rücksichtslos. In Rojava trifft sie auf der Straße mit Mitgliedern des Mossad zusammen. Anna ist verwirrt. Später wird eine Genossin verwundet, aber die „YPJ-Kommandantin“, sagt nur ein paar Worte und ignoriert die Situation – die Kämpfer:innen opfern sich für ihre Genoss:innen. Es wird nicht versucht, sie medizinisch zu versorgen oder gar zu retten. Anna arbeitet also mit dem Mossad zusammen, um den anderen YPJ-Kämpferinnen zu helfen. Wie in den anderen Filmen scheinen die Kurd:innen eine Revolution durchzuführen, ihr Land und ihre Region zu befreien, ihr System aufzubauen, aber irgendwie dann doch auf immer und ewig auf den Westen angewiesen zu sein. Entweder kommen die Flugzeuge der Koalition (auch in den Zeiten, in denen es keine gab), oder Mossad-Agenten, oder ein internationaler Kämpfer, oder…

Girls of the Sun von Eva Husson

Betrachten wir das große Bild, stellt sich wieder die Frage nach dem „Warum“. Warum tun sie das? Warum werden diese Shows abgezogen? Ja, die Kurd:innen werden nicht als „schlechte Seite“ dargestellt, sie zeigen uns als die Guten, aber sie lassen einfach viel aus, sind einfach nicht real. Sie wollen sagen, dass wir alle gleich sind. Es bestehe kein Unterschied zwischen den Kämpfer:innen von Rojava, den Mitgliedern des Mossad, den US-amerikanischen Soldaten und all den anderen. Sie seien die Guten, tun gute Dinge, aber sie müssten nun mal auch schlecht handeln. So ist es aber nicht, und wir alle wissen es. Auch der IS weiß es: Als Baghouz befreit wurde, gab es viele Meldungen darüber. In einem Bericht von France24 über Frauen, die aus der IS-Enklave evakuiert wurden, sagte eine von ihnen: „Unser Fürst, der Kalif, hat angeordnet, dass wir evakuiert werden. Unsere Männer haben uns gesagt, wir sollen uns den Kurden ergeben, sie würden uns nichts tun. Wären wir von syrischen oder irakischen Streitkräften gefangen genommen, hätte man uns sicher vergewaltigt oder getötet.“ Trotz aller Angriffe des IS und unserer Verluste waren wir die Einzigen, die sie wie Menschen behandelten. Viele von ihnen wurden freigelassen und kehrten zu ihren Familien und Stämmen zurück, einige warten auf ihren Prozess, andere erhalten Bildung, aber niemand von ihnen wurde gefoltert und misshandelt, wie es in dieser Serie dargestellt wird. Die Revolutionäre der kurdischen Freiheitsbewegung haben allen eine große Lektion in Sachen Menschlichkeit, Freiheit und Demokratie erteilt. Aber offensichtlich können einige aus dem Westen damit nicht umgehen. Deshalb unternehmen sie diese Versuche, das Bild der kurdischen Kämpfer:innen zu beschmutzen.

Zu guter Letzt möchte ich noch etwas hinzufügen, an das ich glaube: „Jeder Film über die Kurd:innen, der ohne sie gemacht wird, richtet sich gegen Kurd:innen“.