Deutschlandgala von „Briefe aus Şengal“ am 3. August

Der Dokumentarfilm „Briefe aus Şengal“ von Dersim Zerevan handelt vom Widerstand gegen den IS. Die Deutschlandgala findet am 3. August, dem Jahrestag des Völkermords an der ezidischen Gemeinschaft, in Celle statt.

Der Dokumentarfilm „Briefe aus Şengal“ (ku. Nameyên ji Şengalê, en. Letters from Sinjar) wird am 3. August mit einer Gala in Celle erstmalig in Deutschland gezeigt. Der Film von Regisseurin Dersim Zerevan handelt vom Widerstand gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“, die nach der Einnahme der Großstadt Mosul im Nordirak am 3. August 2014 das ezidische Siedlungsgebiet Şengal überfiel und ein Massaker verübte. Die in der Region stationierte Peschmerga zogen sich auf Befehl der PDK kampflos zurück. Verteidigt wurde die ezidische Gemeinschaft von der PKK-Guerilla und den YPG/YPJ aus Rojava (Westkurdistan/Nordsyrien). Der Film mit sechs Episoden, in denen jeweils ein Brief verlesen wird, erzählt die Geschichte von Menschen aus verschiedenen Ländern, die gegen den IS kämpften.

Trailer von „Briefe aus Şengal“

Genozid und Femizid in Şengal

Şengal ist das letzte zusammenhängende Siedlungsgebiet der ezidischen Gemeinschaft. Der Angriff des IS auf Şengal hatte das Ziel, das ezidische Volk auszulöschen. Durch systematische Massakrierung, Vergewaltigung, Folterung, Vertreibung, Versklavung von Mädchen und Frauen sowie die Zwangsrekrutierung von Jungen als Kindersoldaten erlebte die ezidische Gemeinschaft den von ihr als Ferman bezeichneten 74. Völkermord in ihrer Geschichte. Die Zahl der Todesopfer wird von verschiedenen Quellen auf 5000 bis 10000 beziffert, über 400.000 Menschen wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Mindestens 7.000 Frauen und Kinder wurden verschleppt, von 2.500 der Entführten fehlt bis heute jede Spur. Daher stellt dieser Genozid in seiner Form zugleich auch einen Femizid dar. Der deutsche Bundestag hat die IS-Massaker an der ezidischen Gemeinschaft in Şengal im Januar als Völkermord anerkannt.

Dersim Zerevan: Regisseurin, Aktivistin und Schriftstellerin


Die in Qamişlo geborene Regisseurin Dersim Zerevan ist auch Aktivistin und Schriftstellerin und stand bereits Ende der 1990er Jahre an der Spitze der sozialen Bewegungen gegen das syrische Regime wegen Massakern an der kurdischen Bevölkerung. Zuletzt schrieb sie ein Guerilla-Tagebuch. Als Schülerin des revolutionären Regisseurs Halil Uysal drehte Dersim Zerevan ihren ersten Film über Sakine Cansız, eine der Gründerinnen der PKK. Der Dokumentarfilm „Sara“ wurde 2018 veröffentlicht.

Co-Produktion der Filmkommune Rojava

„Briefe aus Şengal“ wurde in Şengal gedreht, direkt an den Orten, an denen die Ereignisse stattgefunden haben. Der 80-minütige Film ist eine Co-Produktion der Filmkommune Rojava in Zusammenarbeit mit Nûjiyan Film Production und der italienischen Firma FAR out FILMS. Dersim Zerevan bezeichnet ihren Film als Produkt von Frauen. Die Filmcrew bestand aus etwa dreißig Personen aus allen Teilen Kurdistan und anderen Ländern, aber überwiegend aus Rojava und aus Şengal selbst. Wie bei dem von der Filmkommune Rojava produzierten Spielfilm Kobanê spielen viele der Darsteller:innen Rollen, die ihrer eigenen Realität entsprechen. Einer der Schauspieler ist nach den Dreharbeiten bei der Verteidigung von Serêkaniyê gegen die türkische Invasion in Nordsyrien gefallen. Die Dreharbeiten fanden unter schwierigen und gefährlichen Bedingungen statt.

Ali Avar in der Rolle von Guerillakommandant Dilşêr Herekol

Ali Avar spielt in dem Film die Rolle von Dilşêr Herekol. Der Guerillakommandant war einer von zwölf HPG-Kämpfern, die auf Anregung von Abdullah Öcalan bereits vor dem IS-Massaker nach Şengal geschickt wurden und vermutlich Hunderttausenden Menschen das Leben retteten. Die PKK sah insbesondere die ezidische Bevölkerung von Şengal durch den IS bedroht und entsandte eine erste Gruppe unter dem Kommando von Herekol in die Region. Die Gruppe versuchte, die Bevölkerung zu organisieren und auf den drohenden Angriff vorzubereiten. Aufgrund dieser Vorbereitungen konnten Dilşêr Herekol und seine elf Kämpfer den am 3. August 2014 beginnenden IS-Genozid aufhalten und die Flucht großer Teile der Bevölkerung ins Gebirge organisieren. Damit legten diese Guerillakämpfer den Grundstein für die Selbstverteidigung der Region durch die Widerstandseinheiten Şengals (YBŞ). Mithilfe von Kämpferinnen und Kämpfern der HPG und YJA Star und der Unterstützung der YPG und YPJ konnten ein Fluchtkorridor für die Bevölkerung geöffnet, die Menschen evakuiert und Şengal Schritt für Schritt vom IS-Faschismus befreit werden.

Dilşêr Herekol ist im Oktober 2020 bei einem Gefecht mit der türkischen Armee im Amanos-Gebirge in Hatay gefallen. Von seinem Tod erfuhr die Filmcrew während der Dreharbeiten. Für Ali Avar war es schwierig, die Rolle von Dilşêr in dem Film zu spielen. „Wir haben uns früher in derselben Gegend aufgehalten und ich hatte in dieser Hinsicht keine Probleme“, sagt der Schauspieler: „Trotzdem habe ich mich gefragt, ob ich dieser Rolle würdig bin."

Schauspieler Ali Avar im ANF-Interview

Der Guerillakommandant Dilşêr Herekol sei bereits zu Lebzeiten eine Legende gewesen, meint Ali Avar: „Die Menschen in Şengal erinnern sich noch heute mit Dankbarkeit an ihn. Er wurde zu einem Symbol des Widerstands." Genau darum geht es auch in dem Film, sagt Avar:

„Natürlich können wir nicht den gesamten Widerstand in einem Dokumentarfilm darstellen. Bisher ist in der Kunst vor allem das Leiden der Kurden in den Vordergrund gerückt worden. Die Seite des Widerstands hat in diesem Bereich immer gefehlt. Die Kurdinnen und Kurden leisten jedoch seit hundert Jahren Widerstand, und dieser Film zeigt das ein wenig. Zweifelsohne gab es ein Massaker in Şengal. Aber auf der anderen Seite gab es auch einen großen Widerstand."

Gala am 3. August in Celle

Die Gala in Celle soll dazu beitragen, dass die Geschichte des Völkermords und der Befreiung nicht in Vergessenheit gerät. Die Menschen in Şengal haben trotz 74 Massakern in ihrer Geschichte überlebt und Widerstand geleistet. „Briefe aus Şengal“ zeigt einen Ausschnitt dieses Widerstands. Die Gala findet in den Kammer-Lichtspielen am Brandplatz statt und beginnt um 18 Uhr mit einer Begrüßung und einem Gedenken an die Opfer des Genozids. Filmbeginn ist um 20 Uhr. Der Film ist auf Kurdisch mit deutschen Untertiteln. Nach der Vorführung wird es in offener Runde die Möglichkeit zum Austausch mit dem kurdischen Regisseur Fariborz Kamkari geben