„Stellt euch vor, wir kippen das Verbot der PKK“

„Stellt euch vor, es ist Krieg und keiner schaut hin“ – so beginnt der Aufruf von „Defend Kurdistan“ zur bundesweiten Demonstration am morgigen Samstag in Düsseldorf. Die Fortsetzung könnte heißen: „Stellt euch vor, wir kippen das Verbot der PKK.“

Vermutlich werden Zig-Tausende an der bundesweiten Demonstration der Initiative „Defend Kurdistan“ teilnehmen. In Reden hört man die üblichen Appelle, der Kriegstreiberei des türkischen Staates nicht länger tatenlos zuzuschauen. Die völkerrechtswidrigen Invasionen müssen beendet, die Menschenrechtsverletzungen des AKP/MHP-Regimes verurteilt werden. Man wird die international geächteten Giftgasangriffe erwähnen, auch die Killerdrohnen, die Plünderungen, Entführungen, Vergewaltigungen. Und wenn man schon dabei ist, geht man vielleicht auch auf die rassistischen Lynchmobs ein, auf den Austritt aus der Istanbul-Konvention, auf den Hungerstreik in den Gefängnissen und das Isolationssystem von Imrali. Wahrscheinlich sind auch die ökologischen Verbrechen Thema: Heskîf (Hasankeyf), die Staudammpolitik mit dem Entzug von Wasser als Kriegswaffe oder das Niederbrennen von Feldern und Wäldern durch das Militär, um einer missliebigen Bevölkerung die Lebensgrundlage zu entziehen. Die Liste der Verbrechen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, seines faschistischen Koalitionspartners und des mafiösen Staatsapparats ließe sich beliebig fortsetzen. Aber dies alles ist hinlänglich bekannt – selbstverständlich auch der Bundesregierung.

Verrottete Konstellation imperialer Allianzen

Immer denkt man, jetzt sei die Grenze des Unerträglichen überschritten, und wartet auf den Aufschrei, auf Sanktionen. Und dann geschieht …. nichts. Schweigen. Desinteresse. Allenfalls echauffieren sich die Medien hierzulande über allzu rüpelhaftes Verhalten im Palast gegenüber einer Ursula von der Leyen. Oder man schüttelt den Kopf, wenn Erdogan in den Waldbrandgebieten mit Teebeuteln um sich wirft.

Es ist die verrottete Konstellation imperialer Allianzen, die genau weiß, welchen Diktatoren in fetten Schlagzeilen mit Ungemach gedroht wird und welchen man in einer räudigen Partnerschaft die Stange hält.

Was also nützen die Appelle, endlich die über 100-jährige Freundschaft zum türkischen Staat an der Südostflanke der NATO aufzukündigen und Erdogan vor ein Kriegsverbrechertribunal zu stellen? Mit Tausenden von Demos, Kundgebungen und Mahnwachen, mit großen Kampagnen und Aufklärung der Öffentlichkeit wurde wieder und wieder der türkische Weg in den Faschismus beschrieben. Es mangelte wahrlich nicht an Dokumentation und Information.

Es fehlt an offensiver, selbstbewusster Information über Alternativen

Aufklären und Anprangern wird sicher weiterhin richtig und wichtig sein. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Es fehlt an offensiver, selbstbewusster Information über Alternativen, die die Bewegung zu bieten hat. Sie sind längst ausgearbeitet und zum Teil auch praxiserprobt, wie ein Blick nach Rojava zeigt. Abdullah Öcalan und die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) schlagen Lösungen vor für einen demokratischen Prozess und haben ein Konzept für gesellschaftliches Zusammenleben „jenseits von Staat, Macht und Gewalt“ in der Türkei, im gesamten Mittleren Osten und darüber hinaus. Seit Jahrzehnten wird daran gefeilt, wird diskutiert und weiterentwickelt.

Dass die Vorschläge und Ziele der PKK nicht Eingang in einen breiten Diskurs fanden, mag ein Indiz für ihre Sprengkraft sein. Wer den geistigen Vater der Philosophie der Freiheitsbewegung 22 Jahre auf einer Gefängnisinsel wegsperrt, wer seine Schriften zensiert und das Zeigen seines Abbilds unter Strafe stellt, muss mächtig Angst haben. Schon 1993 wurde die PKK in Deutschland verboten und landete später auf diversen „Terror“-Listen. Das vom türkischen Staat vorgegebene und in Deutschland weiterentwickelte Stigma wirkt und verhindert bis heute eine breite und sachliche Auseinandersetzung mit den Ideen Abdullah Öcalans. Mit „Terroristen“ diskutiert man nicht, heißt es – es sei denn, sie haben sich zum Präsidenten gekürt, kaufen einem Waffen ab und erledigen die Drecksarbeit des europäischen Grenzregimes.

Stellt euch vor, wir kippen das Verbot der PKK

Warum eigentlich lässt man es zu, dass im 21. Jahrhundert mitten in Europa eine Bewegung, die für Demokratie, für Frauenbefreiung, für Ökologie eintritt, als „terroristisch“ verunglimpft wird? Warum dieses Herumdrucksen mit verhüllten Gesichtern und umschreibenden Begriffen? Warum diese Angst vor einer Kriminalisierung, wo es nichts zu kriminalisieren gibt? Vielleicht ist jetzt die Zeit gekommen, in die Offensive zu gehen?

Nach „Stellt euch vor, es ist Krieg und keiner schaut hin“ könnte die Fortsetzung heißen: „Stellt euch vor, es gibt eine Freiheitsbewegung und alle bekennen sich dazu. Stellt euch vor, wir kippen das Verbot der PKK.“

Titelfoto: Medienkollektiv Linksunten Göttingen