Kurdistan im ökologischen Zerstörungswahn des türkischen Staates

Die türkische Armee führt Besatzungsangriffe in drei Teilen Kurdistans durch und setzt dabei auf totale Zerstörung. Darunter leiden nicht nur die Menschen, sondern auch die Natur. Eine große Rolle spielt dabei die Cengiz Holding.

Die in der Nacht vom 23. auf den 24. April eingeleiteten Besatzungsangriffe des türkischen Staates in den Regionen Avaşîn, Zap und Metîna in Südkurdistan dauern unvermindert an. Den Kernbereich dieses kriegerischen Handelns bilden ausgedehnte Angriffe der türkischen Luftwaffe begleitet vom Einsatz eines breiten Spektrums an konventionellen Waffen. Ob mit infrarotfähigen Kameras ausgerüstete Hunde oder geächtete chemische Waffen – die türkische Armee setzt auf eine größtmögliche Bandbreite an Repertoire. Dennoch gelingt es ihr nicht, den Widerstand gegen die Invasion zu brechen. Dort, wo sie eindringen kann, richtet sie Massaker an der Natur an, um die besetzten Gebiete dauerhaft zu annektieren.

Seit Beginn der Invasion hat die türkische Armee 84 Brände in Kurdistan gelegt. Diese Politik der verbrannten Erde beschränkt sich nicht nur auf den südlichen Teil. In Amed, Dersim und Şirnex sind bereits riesige Waldgebiete abgebrannt. In Besta, Cûdî, Behdînan, Heftanîn und Metîna finden seit Monaten Rodungen statt. Allein in der Besta-Region werden täglich hunderte Tonnen Holz geschlagen. Die Zahl der in Südkurdistan entvölkerten Dörfer beträgt aktuell 47, Flächenrodungen wurden in insgesamt 60 Dörfern und angrenzenden Weilern registriert. Tausende Quadratmeter Anbaufläche, Weinberge und Gärten gingen in Flammen auf oder wurden großflächig zerstört. Die türkische Armee bombardiert in Kurdistan systematisch Bäche, Täler und Berge mit tonnenschweren Kesselbomben. Die Wälder mit ihren Abermillionen Lebewesen werden in Asche verwandelt.

 

Da der türkische Staat zivilgesellschaftlichen Delegationen, Parlamentsabgeordneten, ökologischen Organisationen und Journalist:innen den Zugang in die von den Besatzungsangriffen betroffenen Gebiete in Nord- und Südkurdistan verweigert, ist eine detaillierte Dokumentation der Auswirkungen dieses Krieges auf die Umwelt kaum möglich. Es herrscht weiterhin Unklarheit darüber, inwieweit die Artenvielfalt und Biodiversität betroffen ist. Die Dimensionen der Umweltzerstörung und der Massaker an der einheimischen Tierwelt durch Bombardierungen und militärische Unterstützungsleistungen werden der Öffentlichkeit vorenthalten.

Besta: Täglich 400 Tonnen Bäume gefällt

In den Bergen von Amed sowie in Deriyê Mazî, Deriyê Cebrail und in Besta haben die Waldrodungen in den letzten Wochen an Fahrt gewonnen. Die von Soldaten und Dorfschützern durchgeführten Abholzungen begannen am 25. Mai im Gebiet Tikera bei Besta, das im Cûdî-Gebirge liegt. Bis Ende Juni wurden dort täglich bis zu 400 Tonnen Bäume abgeholzt und auf das Gelände der Militärbasis in der Gemeinde Sêrgirik (Şenoba) bei Qilaban (Uludere) gebracht.

Waldbrände im Gebirge

Allein zwischen den Provinzen Sêrt (Siirt) und Şirnex befinden sich rund 200 der sogenannten Kalekol, zur Festung ausgebaute Militärwachen. Seit Monaten kommt es dort im Zuge von Operationen vor allem in Besta und an den Ausläufern der Berge Cûdî und Gabar zu verheerenden Bränden. Tausende Bäume wurden in Asche verwandelt, unzählige Tiere starben qualvoll. Die Flammen griffen auch auf angrenzende Siedlungen über.

In Pîran (Dicle) bei Amed wurde durch eine am 1. Juni eingeleitete Militäroperation ein Waldbrand im Gebiet Pirejman entzündet. Angefacht durch Wind erreichten die Flammen am achten Tag Siedlungsgebiete in der Ortschaft Qerebaxan (Arıcak) in der benachbarten Provinz Xarpêt (Elazığ). Weitere fünf Tage später war die Waldfläche auf dem Berg Gorse vollständig abgebrannt. Die Berghänge des Dorşin bei Pasûr (Kulp) wurden von türkischen Soldaten ebenfalls in Brand gesteckt.

 

In der Provinz Çewlîg (Bingöl) stand ein riesiges Waldgebiet im Landkreis Dara Hênê (Genç) fünf Tage lang in Flammen. Der im Umland der Gendarmerie-Wache Suveren ausgebrochene Brand erreichte durch ungünstigen Wind knapp 20 Siedlungsgebiete und verschlang Anbauflächen. Das Gebiet Koya Spî wurde größtenteils vom Feuer zerstört. Schildkröten, verschiedene Vogelarten, Hasen und andere Tiere sind verendet.

In Xozat bei Dersim zerstörte ein vom Militär gelegtes Feuer fünf Hektar Waldfläche im Gebiet Amutka. Löschversuche von der ortsansässigen Bevölkerung wurden durch die Armee unterbunden. Auch in Colemêrg (Hakkari), Bedlîs (Bitlis) und Mêrdîn (Mardin) brachen infolge militärischer Operationen Wald- und Feldbrände aus, die zu großer Zerstörung in den Wäldern und Anbauflächen führten.

Nachdem publik wurde, dass türkische Soldaten und Dorfschützer bei den Angriffen auf Metîna, Avaşîn und Zap unzählige Bäume gefällt und zum Verkauf abtransportiert haben, wurde bekannt, dass diese Plünderung mit Kenntnis der Barzanî-Partei PDK stattfindet. Der türkische Generalkonsul Hakan Karaçay äußerte gegenüber dem stellvertretenden Sprecher des Parlaments der Kurdistan-Region Irak (KRI), Hemin Hawrami (PDK), die Regierung in Ankara habe für diese Gebiete Geld an die südkurdische Führung in Hewlêr gezahlt. Nach Angaben der Abgeordnete Şahan Eskeri, die sich am 8. und 9. Juni mit einer parlamentarischen Untersuchungskommission in Dörfern und Gemeinden in Metîna aufhielt, führt der türkische Staat in 60 Dörfern Südkurdistans Waldrodungen durch.

Zusammenarbeit von PDK und Cengiz Holding

Eine weitere Sache, die im Zuge der Umweltzerstörung und Ausplünderung der Natur Südkurdistans zu Tage getreten ist, ist die Zusammenarbeit der PDK mit der Cengiz Holding. Die Cengiz Holding ist Teil der sogenannten „Fünferbande“, einem Unternehmenskomplex engster Verflechtung zwischen Regime und Konzern, der massiv aus Public-Private-Partnership-Projekten profitiert. Zusammen mit vier anderen Unternehmen aus der Türkei gehört die Cengiz Holding zu den zehn Unternehmen, die laut den Zahlen der Weltbank 2018 die meisten öffentlichen Ausschreibungen der Welt in einem Jahrzehnt gewonnen haben. Ob in Ikizdere, im Ida-Gebirge, in Wan oder den Nordwäldern, die Cengiz Holding gilt als größter Zerstörer des ökologischen und sozialen Gleichgewichts in Kurdistan und der Türkei und war auch am Untergang von Hasankeyf (ku. Heskîf) beteiligt. In Hewlêr baute das in Sektoren wie Bau- und Energiewirtschaft, Bergbau und Tourismus tätige Unternehmen unter anderem den Flughafen und die Autobahn Hewlêr-Pirde (Altin Köprü).

Bei der Ausplünderung der Medya-Verteidigungsgebiete setzt die Cengiz Holding auf drei Subunternehmen, in deren Vorstand Ali Ewni vom PDK-Politbüro sitzt. Die Rodungsarbeiten werden in der Sindi-Region in den Dörfern Sinaht, Mêrga Şîş, Kelok und Masî Sinda sowie in der ländlichen Umgebung durchgeführt. Die Volksverteidigungskräfte HPG hatten am 24. Juni mitgeteilt, dass bei der ununterbrochenen Bombardierung der Medya-Verteidigungsgebiete neben Kampfjets und Kampfhubschraubern auch Haubitzen, Streubomben und Mörsergranaten zum Einsatz kommen. Zudem wurde darauf verwiesen, dass in den besetzten Gebieten breitflächig Bäume gefällt und Wälder geplündert wurden, während an anderen Stellen Wälder durch die Bombardierung in Brand gesetzt wurden. Trotz Protesten aus den Reihen der anderen südkurdischen Parteien sowie des irakischen Parlaments und des Präsidenten gewährt die PDK dem türkischen Staat weiterhin freie Hand bei der Entvölkerung der Dörfer, Brandstiftung in den Wäldern und Ausplünderung Südkurdistans.

 

Entvölkerte Dörfer

Seit Beginn der Invasion Ende April sind bereits 47 Dörfer im Gouvernement Dihok entvölkert worden. Es handelt sich um Ortschaften in den Gemeinden Bêgova und Dêrekar sowie in der Berwarî-Region, die administrativ zu Zaxo gehören: Senat, Deşta Texit, Behnonê, Sorînk, Qesrok, Ava Gozê, Dêre Şeş, Mêrge Şîş, Erên, Perex, Binxirê, Bajawa, Elanş, Zawêtê, Kelok, Qir Kirank, Petromê, Kork, Kondok, Gewrik, Bazingira, Masîsa, Dergel Sindava, Comî, Bihêrî, Şeranşê Jûrê, Şeranşê Jêrê, Pîr Bala, Evlehî, Bîndiro, Banga Jêrê, Banga Jorê, Menîn, Bîrkî, Ava Toka, Şîlan, Şilîn, Kêşan, Heftenîn, Girê Biyê, Rosî, Mêrgehê, Êkmalê, Sewila Rojhilat, Sewla Rojava, Nizdorê, Hewak Golê und Xîzava.

 

Chronologie der Zerstörung

Eine chronologische Übersicht der zerstörerischen Kriegshandlungen der Türkei in Kurdistan haben wir wie folgt zusammengetragen:

26. bis 27. April: Holzschlagungen am Girê Serdar in Avaşîn

28. April: Holzschlagungen am Zendura in Metîna

28. April: Waldbrand in Dersim-Pilûr (Ovacık) nach Militäroperation

30. April: Flächenbrände im Dorf Kêste und am Zendura in Metîna (Amêdî) infolge von Artillerieangriffen

1. bis 4. Mai: Luftschläge auf Aliboğazı im Dreistädteeck Melkişî-Xozat-Pilûr in Dersim, Waldbrand im Umland des Dorfes Kogolci bei Pilûr

4. Mai: Schäden in Anbauflächen des Dorfes Kêste durch Luftangriffe; Flächenbrände am Girê Tankê und im Umland von Kêste durch heftige Bombardierungen

9. Mai: Abholzung auf Girê Çîya in Derarê bei Metîna durch Guerillaaktion gegen Besatzungstruppen verhindert; Flächenbrand in Kêste und am Zendura durch Artillerieangriffe; Waldbrand in Dersim-Xozat aufgrund Militäroperation

10. Mai: Flächenbrand an den Hängen des Sîda und im Çemço-Wadî durch Luftangriffe

13. Mai: Waldbrand in Pasûr infolge von luftunterstützter Militäroperation; Rodungen auf der Alm Şene (Şenyayla) für den Ausbau einer Militärfestung

15. Mai: Waldbrand auf dem Cûdî nach Militäraktivitäten im Dorf Ikizce

16. Mai: Waldbrand im Verlauf einer Militäroperation in Teşta Mure. Das Gebiet liegt zwischen Cizîr und dem Cûdî. Löschversuche wurden von Seiten der Behörden nicht unternommen

18. Mai: Waldbrand im Dorf Şax bei Silopiya infolge von Artilleriefeuer, abgefeuert aus einem Militärstützpunkt. Brand hat sich nach fünf Tagen selbstständig gelöscht

20. Mai: Flächenbrand am Cilo yê Bîçûk und in Tîpa T in der Zap-Region durch Bombardements von Kampfhubschraubern; erneut Waldbrand im Eck Melkişî-Xozat-Pilûr im Zuge von Militäroperation

21. Mai: Flächenbrand nach Luftangriffen auf das Umland des Dorfes Sêdarê bei Meyrokê in Gare

22. Mai: Flächenbrand in Geliyê Basya / Avaşîn durch Artilleriebeschuss aus Grenzwachen; Brandstiftung durch Soldaten in einem Waldgebiet in der Ortschaft Birava bei Şirnex

25. Mai: Beginn der Waldrodungen in Tikera in der Besta-Region durch Soldaten und Dorfschützer

27. Mai: Großbrand in Zap-Sîda nach Luftangriffen. Dasselbe Gebiet wurde vom 28. bis 30. Mai mit Mörsern und Haubitzen von Grenzposten aus bombardiert

28. und 29. Mai: Flächenbrand in Tabura Ereban und Werxelê in Avaşîn durch Artilleriebeschuss aus Grenzwachen

29. Mai: Feldbrand nach Artillerieangriffen auf das Dorf Hiror bei Kanî Masî in Amêdî; Flächenbrand nach Beschuss auf die Zap-Region durch Wachsoldaten in Colemêrg

30. Mai: Luftangriffe in drei Angriffswellen auf Avaşîn-Basya, dazu aus Grenzposten abgefeuerte Artillerie, die zu einem Flächenbrand führten; Brand in Feldern nach Artilleriefeuer in Çemço und Sîda beim Zap

1. Juni: Feldbrand nach Beschuss durch Hubschrauber in Metîna-Koordine; Waldbrand in Pîran

2. Juni: Mehrere Feuer durch Angriffe von Kampfhubschraubern in Metîna (Kanî Masî, Zendura, Koordine, Derarê, Seraru, Deşîşê und Kela Qumriyê; Artillerieangriffe aus Grenzwachen auf Kêste und Hiror

5. Juni: Brände in Anbauflächen und Gärten in den Dörfern Golka und Hiror bei Kanî Masî durch Mörserangriffe von Grenzposten aus; Luftangriffe und Flächenbrand in Geliyê Basya; Feuer nach Militäroperation in Mila Tîkera am Cûdî

6. Juni: Weiterer Waldbrand zwischen Pîran und Qerebaxan durch Militäroperation

7. Juni: Angriff mit schweren Waffen auf das Dorf Orê in Metîna, massive Schäden in Weingärten und Anbauflächen; tagelang wütendes Feuer in Kuro Jahro bei Zap durch Luftangriffe; Waldbrand in Şirnex-Şax

9. Juni: Fünf Angriffswellen auf Umland des Dorfes Şiyê bei Dinartê in Akre. Dadurch Flächenbrand und Zerstörung in Feldern und Gärten

10. Juni: Beginn des Baus einer Militärfestung in Deriyê Mazî / Şirnex und Holzrodungen für sogenannte Sicherheitsstraße. Waldzerstörung in Deriyê Cebrail im Cûdî-Gebirge dauert an

11. Juni: Flächenbrand in Şehîd Şahîn infolge von Artillerieeinschlägen, abgefeuert von Grenzposten; Brand in Mêrdîn-Kerboran zerstört Waldgebiet in den ländlichen Regionen

12. Juni: Flächenbrand in Kunîşka nach Angriffen aus Grenzwachen mit Haubitzen, Granaten und Katjuscha-Raketen; Waldbrand im Umland des Dorfes Zêwê in Basan (Güçlükonak), nahe des Gabar. Zuvor von Grenzposten abgefeuerte Artillerie; Waldgebiet in Bedlîs als Folge von Bombardements

14. Juni: Flächenbrand durch Angriffe von Kampfhubschraubern in Orê, Sereru und Koordine

15. Juni: Zwei Hektar großes Waldgebiet im Vierteil Pinarcik bei Omerya in Mêrdîn durch Brand zerstört

18. Juni: Abholzung von Bäumen in Werxelê, Kilisê und Tabura Ereban in Avaşîn

18. bis 19. Juni: Flächenbrand in Zap-Çemço nach Einsatz von Granatwerfern und Haubitzen

19. Juni: Brand in Kuro Jehro bei Şîladizê durch Luftangriffe; Brand in Tîpa T durch Angriffe aus Hubschraubern; Feuer an den Hängen des Cûdî gegenüber dem Dorf Hesena in Silopiya

24. Juni: Luftangriffe auf landwirtschaftlichen Betrieb im Dorf Dêreşê bei Amêdî, 200 Schafe verendet, Waldbrand

25. Juni: Waldbrand in Çewlîg

28. Juni: Waldbrand zwischen Sêrt und Şirnex; Waldbrand in Region um das Dorf Mercê in Omeryan, Zerstörung in Anbauflächen

2. Juli: Waldbrand auf dem Berg Haci Çerkez im Kreis Farqîn (Silvan) in Amed