„Sind Sie bereit für eine Reise mit uns nach Belarus?“

Über Reiseagenturen im südkurdischen Hewlêr wird Menschenschmuggel betrieben. In Istanbul werden Migrant:innen aus Kurdistan Visa für Belarus und sogar Pässe ausgestellt.

Die zugespitzte Situation an der EU-Außengrenze zwischen Polen und Belarus ist auch ein Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen der belarussischen und der türkischen Regierung sowie der in Südkurdistan dominierenden PDK. Wie ANF-Recherchen ergeben haben, betätigen sich diverse Reiseagenturen in Hewlêr (Erbil) unter der Aufsicht der PDK als Schlepper nach Europa. In sozialen Netzwerken wird ungehindert für den Menschenschmuggel geworben.

Sind Sie bereit für eine Reise mit uns nach Belarus? Bringen Sie Ihren Pass mit, den Rest erledigen wir in unserem Büro!

„Sind Sie bereit für eine Reise mit uns nach Belarus? Bringen Sie Ihren Pass mit, den Rest erledigen wir in unserem Büro“ und „Ein Visum für Belarus ist so einfach zu beschaffen! Alles, was Sie tun müssen: Ihren Pass mitbringen“, heißt es in Reklameanzeigen der Reiseagenturen. Die Beschaffung des Visums und sogar von Pässen erfolgt in Zusammenarbeit zwischen der PDK und der türkischen AKP-Regierung. Da es in Südkurdistan und im Irak keine Vertretung von Belarus mehr gibt, werden die notwendigen Visa in der Türkei erteilt.

Syrische Pässe werden in Istanbul ausgestellt

Innerhalb von 24 Stunden wird in Istanbul ein syrischer Pass ausgestellt

Reiseagenturen in Hewlêr organisieren auch Pässe für Menschen aus Rojava, die syrische Staatsangehörige sind und keinen Pass haben. Eine Agentur wirbt mit dem Text: „Ihre Reise steht bereit: Innerhalb von 48 Stunden wird im syrischen Konsulat in Istanbul ein syrischer Pass ausgestellt!“ Der Werbetext weist darauf hin, dass auch die Assad-Regierung in die Organisation involviert ist. Auffällig ist außerdem, dass ein erheblicher Anteil der aus Rojava stammenden Menschen, die in der letzten Zeit nach Europa gekommen sind, zuvor in Lagern unter PDK-Aufsicht in Südkurdistan gelebt haben.

Von Dêrik nach Brandenburg

Einer von ihnen ist ein Jugendlicher aus Dêrik in Nordostsyrien. Der Siebzehnjährige will anonym bleiben, hat jedoch ANF von seiner Reise nach Deutschland berichtet. Demnach hat er seit 2012 mit seiner Familie im Camp Dumiz zwischen Zaxo und Dihok in Südkurdistan gelebt und ist mit Hilfe von PDK-Beauftragten ohne Pass über die irakisch-türkische Staatsgrenze nach Istanbul gebracht worden. Jetzt lebt er in einer Einrichtung des Jugendamts in Brandenburg. Dass er noch nicht volljährig ist, war nach seinen Angaben „kein Problem“.

Der junge Kurde erzählt, dass sich seine Familie mit der Reiseagentur geeinigt hat und die anschließende Prozedur reibungslos verlaufen ist. In Istanbul wurde ihm ein syrischer Pass ausgestellt, von dort aus flog er mit einer Gruppe nach Minsk und wurde unter Aufsicht der belarussischen Polizei mit einem Bus an die polnische Grenze gebracht.

Ein Visum für Belarus ist so einfach zu beschaffen! Alles, was Sie tun müssen: Ihren Pass mitbringen!

Oppositionelle zivilgesellschaftliche Organisationen und Medien aus Belarus berichten ausführlich über die Visavergabe für den Flug nach Minsk. Den Recherchen zufolge gibt es innerhalb des Lukaschenko-Regimes eine Einheit, die extra für den Menschenschmuggel gegründet wurde. Diese Einheit koordiniert die gesamte Prozedur vom Visumsantrag über die Abholung am Flughafen und die Unterbringung bis zur Bustour an die Grenze.

Nach Angaben der oppositionellen Plattform kyky.org verdienen Firmen in Belarus täglich 75.000 Euro am Menschenschmuggel. Im Monatsdurchschnitt sind das 22 Millionen Euro. Auf der Plattform sind die Namen von zwölf Agenturen aufgeführt, die Menschen auf dem Weg nach Europa nach Minsk bringen.

Der polnische Sender Belsat TV berichtet, dass mit „Oscar Tour“ und „Vizak“ zwei der Reiseagenturen in Minsk an irakische Staatsangehörige aus Südkurdistan verkauft worden sind. Die Angestellten beider Firmen können laut dem Bericht ohne Sicherheitskontrolle den Flughafen passieren, um sich bequem um die um die angereisten Migrant:innen zu kümmern. An der Spitze der Angestellten befindet sich der ehemalige Polizist Dzmitry Korabau und am Flughafen werden sechs bis sieben Dolmetscher für Kurdisch und Arabisch beschäftigt. Laut Belsat TV kostet ein Visum für Belarus unter normalen Bedingungen 180 Euro. Inzwischen belaufen sich die Kosten auf 3000 Euro, weil die Agenturen und auch das Personal am Flughafen hohe Bestechungsgelder fordern.

Nexta TV, ein weiteres oppositionelles Medium, hat unterdessen Aufnahmen von einer offenbar organisierten Tour durch ein Einkaufszentrum in Minsk veröffentlicht. Die überwiegend jungen Männer tragen Taschen und Rucksäcke und bewegen sich in einer Gruppe.

In einer weiteren Aufnahme von Nexta Tv vom Montag an der polnischen Grenze sind Schüsse und eine Stimme zu hören, die auf Kurdisch ruft: „Keine Angst, das ist die belarussische Polizei, sie schießen in die Luft!“

Die EU versucht unterdessen, den vom türkischen Staat und der PDK organisierten Menschenschmuggel zu unterbinden. Als ersten Schritt sind auf Druck der EU die Flüge von Hewlêr und Bagdad nach Minsk gestrichen worden. Die türkische Fluggesellschaft THY, die eine wichtige Rolle beim Transport der Migrant:innen spielt, wurde indirekt verwarnt.