Kommentar: Zeit des Niedergangs für den Faschismus

Der türkische Staat und die Mafiastrukturen sind so tief ineinander verwoben, dass man von einer Einheit sprechen muss. Die Geständnisse von Sedat Peker sind Anzeichen des Niedergangs des Regimes. Eine breite antifaschistische Front ist notwendig.

Die Aussagen des Mafia-Paten Sedat Peker haben offensichtlich in der Türkei für Aufsehen gesorgt. In letzter Zeit haben fast alle über seine Erklärungen zur Verwicklung des AKP/MHP-Regimes mit der Mafia gesprochen und diskutiert. Politische Parteien, insbesondere die AKP, gaben Erklärungen ab. Das, was Peker sagte, ist jedoch nichts Neues. Wir und Menschen wie wir schreiben und sagen dies seit Jahren. Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen dem, was wir gesagt haben, und dem, was Sedat Peker sagt. Während unsere Aussagen den Charakter von Behauptungen hatten, stellen die Aussagen von Peker ein Geständnis dar.

Was die PKK über den türkischen Staat gesagt hat, erweist sich als wahr

Offensichtlich haben diese Aussagen zu ernsthaftem Aufruhr und Panik unter den Kräften geführt, die den gegenwärtigen Staat führen. Die Unterstützer dieser Kräfte scheinen unter Schock zu stehen. Bei so viel Betrug und Täuschung ist das natürlich normal. Was die Türkei am meisten erschüttert hat, ist, dass sich die Mafia-Strukturen im Staat unter dem Deckmantel des „Kampfes gegen die PKK“ organisiert haben. Diese Tatsache bestätigt die kurdische Position und die der PKK. Alles, was sie über den Staat und seine Führung gesagt haben, erweist sich als wahr.

Der Staat ist nicht von der Mafia infiltriert, er ist die Mafia

Jetzt versucht man zu verstehen, wie eine solche Mafiastruktur den Staat infiltriert hat. Es gibt einige, die äußerst wütend sind. Es gibt diejenigen, die auf die Suche nach den eigentlichen Schuldigen gegangen sind. Zunächst müssen wir aber feststellen, dass es keine solche Infiltration des Staates gibt. Der Staat selbst ist eine Mafiastruktur, eine Verbrecherbande, die auf der Grundlage von Erpressung und Ausbeutung agiert. Gibt es einen Staat auf der Welt, der nicht so ist? War der Osmanische Palast kein Verbrechersystem? War das System von Abulhamid nicht kriminell? Haben die Komitees für Einheit und Fortschritt nicht zu 100 Prozent wie eine Mafia agiert? War der Kemalismus nicht von den Verbrechen des Chefs von Mustafa Kemals Präsidentengarde Topal Osman geprägt? [Topal Osman war einer der Haupttäter bei der Verfolgung und Ermordung christlicher Minderheiten in der Türkei und beim Genozid an den Armenier:innen.]

Mafiastaat mit NATO-Hilfe aufgebaut

Lassen wir das einmal beiseite. Schauen wir uns an, wie sich der Mafiastaat seit dem Eintritt der Republik Türkei in die NATO entwickelt hat. Zweifellos stellen die Faschistenvereine der MHP, die in den 1970er Jahren dazu eingesetzt wurden, die revolutionären und demokratischen Kräfte anzugreifen, die Wurzel des modernen Mafiastaats dar. Diese Struktur hat von Ali Ağca bis Alaattin Çakıcı unzählige Mörder hervorgebracht. Der Intervention, die 1993 den Tod von Turgut Özal ermöglichte, war eine solche Operation, bei der es darum ging, Süleyman Demirel und seine Partei, die DYP, in diese Strukturen einzubinden. So wie Demirel zum Mafiapaten wurde, wurde die DYP in eine zweite und gefährlichere MHP verwandelt, in der sich Verbrecherpaten wie der ehemalige Innenminister Mehmet Ağar und der aktuelle Innenminister Süleyman Soylu zu Hause fühlen konnten.

Die vielen Köpfe des JITEM

Wir wissen sehr genau, dass der Mafiastaat in Kurdistan Anfang der 1990er Jahre unter dem Namen Hizbullah agierte. Das kurdische Volk nannte diese Struktur „Hizbul contra“. Seit 1987 hatte der Geheimdienst der Militärpolizei JITEM diese Struktur aufgebaut und kontrolliert.

Dieser Prozess setzte sich unter der AKP-Administration fort, und tatsächlich verbanden sich Sedat Peker und andere Paten nun mit der AKP. Die aktuellen Entwicklungen und die tatsächliche Verwirrung der AKP zeigen, dass Sedat Peker aus dieser kriminellen Struktur in der AKP kommt.

Mafiastaat entwickelte sich aus „türkischem Gladio“

Wir müssen diese Entwicklungen mit zwei Tatsachen in Zusammenhang bringen. Die erste ist, dass all diese Strukturen, die seit der MHP innerhalb verschiedener Parteien Gestalt angenommen haben, hauptsächlich aus dem „türkischen Gladio“, also aus der NATO kommen und von ihr kontrolliert wurden. Diese Netzwerke sind keine Strukturen, die sich von selbst organisiert haben, im Gegenteil, sie sind Kräfte, die von Gladio organisiert und kontrolliert werden. Hier ist der Begriff des „Tiefen Staates“ durchaus angebracht. Diese Gladiostruktur, die innerhalb der türkischen Armee aufgebaut und organisiert wurde, trat zunächst als „Kommission für Mobilisierung“, dann als „Abteilung für Spezialkriegsführung“ und schließlich als „Kommando der Spezialkräfte“ auf. Diese Struktur kontrollierte die Todesschwadronen des JITEM in Kurdistan.

AKP hat Mafiastruktur an sich gerissen und geeint

Die zweite wichtige Tatsache ist, dass die heutige AKP diesen illegalen Staat im Staat übernommen oder an sich gerissen hat und ihn nun kontrolliert. Bekanntlich wollten die Gülenisten diese Struktur übernehmen, aber am Ende waren sie nicht erfolgreich. Mit der Säuberung von Gülenisten bildeten Mafia und AKP eine Einheit. Mit anderen Worten: Unter dem derzeitigen AKP/MHP-Bündnis und Tayyip Erdoğan ist diese Mafiastruktur, die aus der MHP hervorging, aufgeblüht. Dazu gehört auch die Struktur namens „Ergenekon“. Zu dieser Ergenekon-Struktur, die bis heute noch nicht richtig aufgeklärt ist, gehören zumindest der Faschist Doğu Perinçek und ähnliche Figuren.

Maskiert als Kampf gegen Kommunismus und Separatismus

Alle diese Verbrecherstrukturen in der Türkei haben ihre Existenz durch die Parole des Kampfes gegen den „Kommunismus, Reaktion und Separatismus“ maskiert. Seit Beginn der 90er Jahre haben die beiden ersteren ihre Bedrohlichkeit verloren und stellen für den Mafiastaat keine Bedrohung mehr dar. Das Schlagwort des „Separatismus“ umfasste historisch Armenier:innen, Assyrer:innen und Griech:innen, aber in den letzten vierzig Jahren fokussierte sich alles auf die Kurd:innen. Daher entwickelte sich der türkische Mafiastaat nach 1990 hauptsächlich entlang der Linie der Kurdenfeindschaft. In der Türkei wurde alles als legitim im Krieg gegen die kurdische Existenz und ihre Repräsentation durch die PKK betrachtet. Die Verfassung, das Recht, die Gerechtigkeit, die Moral, das Gewissen, alles wurde beseitigt. Dies führte zu vielschichtiger Korruption, Kontamination und Zerfall.

Mafiastaat im Zerfall begriffen

Sadat Pekers Geständnisse offenbaren all diese Tatsachen. Erstens ist die gesamte Mafiastruktur unter dem AKP/MHP-Bündnis vereint worden. Zweitens maskierte sich der Mafiastaat mit Kurdenfeindschaft. Drittens war ein solcher Verbrecherstaat keiner rechtlichen oder moralischen Einschränkung unterworfen. Viertens hat der Mafiastaat nun seinen Höhepunkt erreicht und ist durch und durch verfault. Fünftens zeigen die Klagen von Sedat Peker, dass diese Mafiastruktur im Zerfall begriffen ist.

Die Fragen, warum Sadat Peker jetzt diese Aussagen macht und wem er damit zu dienen versucht, ist natürlich wichtig und sollte diskutiert werden. Warum und wie zerfällt die von Tayyip Erdoğan koordinierte Mafiastruktur und welche möglichen Entwicklungen gibt es? Die Antworten auf diese und ähnliche Fragen sollten untersucht werden. Um eine erfolgreiche Politik machen zu können, ist es notwendig, richtige und angemessene Antworten auf all diese Dinge zu finden. Aber ich möchte mich hier nicht auf diese Themen konzentrieren. Wenn man bedenkt, dass Sedat Pekers Position den Zerfall der bestehenden Einheit der Mafiastrukturen signalisiert, möchte ich mich auf die möglichen Folgen konzentrieren.

Pekers Geständnisse beschleunigen Zerfallsprozess

Auf dieser Grundlage müssen wir feststellen, dass dieser Zerfall das Ende der faschistischen Diktatur der AKP und MHP ankündigt. Wenn sich ein Zehntel von dem, was hier geschieht, in einem anderen Land ereignen würde, würde die Regierung sofort zurücktreten. Aber das ist die Türkei, es gibt eine faschistische Diktatur, also gibt es auch keinen Rückzug aus dem Amt. Was soll also passieren? Die faschistische Diktatur wird zusammenbrechen. Es ist sicher, dass die Geständnisse von Sedat Peker diesem Zusammenbruch dienlich sind und den Prozess beschleunigen werden.

Faschismus wird nicht von allein zusammenbrechen

Der Faschismus wird allerdings nicht von allein zusammenbrechen. Was muss also geschehen? Dazu sind zwei Dinge erforderlich: die Einheit und der Kampf antifaschistischer Kräfte! Wir müssen uns auf diese beiden Fragen konzentrieren. Sedat Pekers Geständnisse haben einmal mehr die große Bedeutung dieser Punkte gezeigt.

CHP verhindert antifaschistische Einheit

Die revolutionär-demokratische Bewegung in der Türkei kann sich nicht vollständig einigen. Warum? Das liegt an der CHP. Die CHP sieht sich als Opposition und sogar demokratisch, kann aber ihre eigene der AKP/MHP-Mentalität gleichkommende Einstellung und Politik nicht überwinden. Sie akzeptiert die Existenz und die demokratischen Rechte des kurdischen Volkes nicht. Sedat Pekers Erklärungen zeigen jedoch sehr deutlich, dass die erste und wichtigste Maßnahme einer Demokratisierung gegen die AKP und MHP die Anerkennung der Existenz und der demokratischen Rechte des kurdischen Volkes ist. Auf dieser Grundlage ist es notwendig, die breiteste antifaschistische Einheit zu schaffen.

Am Beispiel Gezi kämpfen

Was den Kampf betrifft, so erleben wir den achten Jahrestag des historischen Gezi-Widerstands. Wenn eine Praxis wie die des Gezi-Widerstands erreicht wird, dann ist die Frage „Wie sollen wir kämpfen?“ überflüssig. Denn die Antwort ist klar: Wie in Gezi! Wir grüßen noch einmal den historischen Gezi-Widerstand und würdigen seine Gefallenen in der Hoffnung, dass nun neue Gezis entstehen.

Quelle: Yeni Özgür Politika