Karayilan: Es gibt sehr intensive Desinformation

„Wenn die USA ein kurdisches Projekt verfolgen, dann hat das nichts mit der PKK zu tun. Denn das Interesse des globalen Kapitals liegt nicht in der Lösung von Problemen, sondern in der Unlösbarkeit.“ Interview mit Murat Karayilan, Teil 3

Murat Karayilan, Generalkommandant des Volksverteidigungszentrums (NPG), spricht im dritten Teil des in Behdînan geführten ANF-Interviews über die Propagandamaschinerie der türkischen Staatsführung und die vermeintliche Unterstützung der kurdischen Bewegung durch die USA und sagt, dass für eine Lösung der kurdischen Frage Empathie aufgebaut werden muss.

In der Vergangenheit hat der türkische Staat seine Kriegsverluste stets verheimlicht. Es ist selten vorgekommen, dass er so hohe Verluste bekannt gegeben hat. Wenn man sich die Erklärungen der HPG ansieht, wird deutlich, dass ein Großteil immer noch verschwiegen wird. Was ist der Grund dafür, dass der türkische Staat in letzter Zeit so viele Verluste zugegeben hat?

Ja, bisher haben sie ihre Verluste immer mit großer Sorgfalt verheimlicht. Es gibt zweifellos verschiedene Gründe, warum sie nach den jüngsten Aktionen einige ihrer Verluste offengelegt haben. Ich kann nur einige davon nennen: Der erste Grund ist, dass die Zahl sehr hoch ist. Die Toten werden in Krankenhäuser und Leichenhallen gebracht und von dort aus an andere Orte, zu ihren Familien. Wenn es zu viele sind, muss man sie bekannt machen.

Außerdem konnte der türkische Staat die Leichen der Soldaten nicht mit eigenen Mitteln aus dem Kriegsgebiet holen. Nur mit Hilfe der PDK war es möglich, die Toten und Verwundeten aus Amêdî in die Türkei zu bringen. Sie haben sogar Dorfbewohner mit einbezogen. Dorfbewohner haben das Gelände abgesucht und die vermissten Soldaten der PDK übergeben, die sie ihrerseits der türkischen Armee übergab. Es ergab sich also ein Gesamtbild, das sich nicht verbergen ließ. Daher waren sie gezwungen, einige von ihnen zuzugeben.

Während sie einerseits ihre eigenen Verluste verbergen, verbreiten sie andererseits falsche Nachrichten über Verluste der Guerilla.

Ja. In der gegenwärtigen Situation belügt das Regime nicht nur die Gesellschaft und manipuliert die öffentliche Wahrnehmung, es macht fast alle Medien und Politiker in der Türkei zu Lügnern. Denn die Informationen, die es liefert, sind nicht wahr, sondern falsch. Alle wiederholen diese Falschmeldungen immer wieder in ihren Nachrichten und Kommentaren und beziehen sich auf offizielle Erklärungen des Staates. Nach jeder Niederlage werden Schreibtischnachrichten erfunden. Das folgt der Logik, dass etwas hängenbleibt, wenn man oft genug mit Schlamm wirft. Zum Beispiel wurde nach der Aktion vom 12. Januar eine Nachricht über unsere wertvolle Kommandantin Peyman (Hülya Mercan) fabriziert, die 2019 gefallen ist. Dass sie gefallen ist, hatten wir jedoch schon vor langer Zeit bekanntgegeben. Trotzdem wurde berichtet, dass der MIT sie im Kriegsgebiet in Metîna mit einer Operation, ich weiß nicht welcher Art, liquidiert hat. Und alle Kanäle berichteten dies als Eilmeldung. Es gibt sehr viele solcher Beispiele. Mit solchen Falschnachrichten wird vor allem versucht, den MIT zu glorifizieren. Sie entwerfen falsche Szenarien und behaupten, der MIT habe eine erfolgreiche Operation durchgeführt. Das zeigt ihre Schwäche, nichts anderes.

Nach den letzten Aktionen der Freiheitsguerilla Kurdistans wird die Operation der türkischen Armee zunehmend in Frage gestellt, es wird auch über einen Rückzug gesprochen. Sie haben in einem früheren Interview gesagt: „Entweder sie ziehen sich zurück oder sie werden alle sterben." Wie bewerten Sie die aktuelle Debatte?

Zunächst einmal muss ich Folgendes sagen: Wir sind eine Bewegung, die ihr Wort hält, wir lassen unser Wort nicht auf der Strecke. Ich persönlich sage nichts, was nicht passieren kann, was wir nicht anstreben und was wir nicht tun können, nur um Propaganda zu machen. Meine Worte galten den Soldaten, die Mitte 2022 nach Girê Amêdî kamen. Später zog sich die türkische Armee von dort zurück, aber im September 2023 kam sie wieder, und dieses Mal tendierte sie dazu, dauerhaft zu bleiben. Aus diesem Grund hat sich die Guerilla auf dieses Gebiet konzentriert. Unser Ziel ist es nicht, mehr Soldaten zu töten, sondern Blutvergießen zu verhindern. Wir sind sicherlich nicht für diese Todesfälle verantwortlich. Verantwortlich dafür sind diejenigen, die beschlossen haben, den Krieg in diesem Ausmaß fortzusetzen und bis nach Amêdî zu kommen und hier eine dauerhafte Besatzung aufbauen wollen. Ich habe diese Worte damals nicht als Drohung gesagt, sondern als Warnung.

Es gibt auch eine falsche Strategie, die in der Praxis angewandt wird, das Verhalten, das Militär zu vernachlässigen. Die Praxis, Soldaten in riskante Gebiete zu schicken und ihr Leben zu riskieren, ist eine Realität. Wir haben wiederholt gesehen, dass einige Kommandeure Dutzende von Soldaten für ihre persönliche Karriere geopfert haben.

Das türkische Volk sollte wissen, dass wir nicht der Feind der Türkei sind. Wir sind keineswegs Feinde des türkischen Volkes. Wir führen diesen Kampf auch im Namen der Menschen in der Türkei. Wir wollen die Türkei nicht in Stücke brechen, wir wollen die Türkei umgestalten und in ein demokratisches Land verwandeln. Eine demokratische Republik, in der alle Kulturen, kurdische und türkische, frei und geschwisterlich leben können, ist ein grundlegendes Ziel. Rêber Apo ist der Architekt einer Strategie für eine demokratischen Republik. Es ist das AKP/MHP-Regime, das Krieg und Blutvergießen erzwingt und Ergebnisse durch Töten erreichen will.

Ein weiterer Punkt ist, dass Empathie aufgebaut werden muss. Die Kurdinnen und Kurden sind ein Volk und wollen existieren. Wenn heute die Sprache der Türkei, das Türkische, verboten wird, wäre Widerstand dann nicht auch legitim? Das gilt für jedes Volk. Wenn die Sprache und die Werte eines Volkes verboten werden, entsteht das Recht auf Widerstand. Auf dieser Grundlage leistet auch das kurdische Volk Widerstand. Das muss anerkannt werden.

Darüber hinaus war Nordkurdistan nicht genug, jetzt wird auch noch Südkurdistan besetzt. Sie befinden sich in der Position einer Besatzungsmacht. Sie gehen nicht dorthin, um Rosen zu pflücken, sondern um Menschen zu töten. Wenn man hingeht, um einen Menschen zu töten, kann man sterben. Diese Soldaten sind also nicht auf einen Berg gegangen, um im Schnee Ski zu fahren. Daher sind für die Toten diejenigen verantwortlich, die diese Politik umsetzen. Was hat dieser Soldat dort gemacht? Das ist die Frage, die man sich stellen muss.

Kurz gesagt, es gibt eine sehr intensive Desinformation. Die Wahrheit wird verzerrt. Natürlich kann die Stimme der Revolution nicht die gesamte Gesellschaft in der Türkei erreichen, das ist ein Problem. Deshalb versuchen sie, die Gesellschaft zu beeinflussen, indem sie alles auf dem Schreibtisch so arrangieren, wie sie es wünschen, sie versuchen, sie zu manipulieren. Die Realität sieht jedoch anders aus. Sie sind diejenigen, die den Krieg wollen. Was sagte Rêber Apo zu seinen Anwälten, als diese ihn vor fünf Jahren einige Male besuchten? „Wenn man mir die Gelegenheit gibt, werde ich dieses Problem innerhalb einer Woche lösen", sagte er. Aber warum trotzdem so viel Krieg, warum so viel Materialaufwand, warum so viele Panzer, Kanonen und Flugzeuge! Warum werden so viele Angriffe gegen das kurdische Volk durchgeführt? Und wie werden sie sich in der Zukunft dafür rechtfertigen?

Hinsichtlich der Guerillaoffensive ist auch die Rede von ausländischem Einfluss, es wird von Unterstützung durch die USA, Israel, Iran und andere Länder gesprochen. Als Beispiel werden immer wieder die Beziehungen zwischen den Kräften in Rojava und den USA angeführt. Was sagen Sie zu dieser Einschätzung?

Das ist ein genereller Ansatz des kolonialistischen Verständnisses des türkischen Staates. Es wurde schon immer nach ausländischer Einflussnahme gesucht, wenn das kurdische Volk seine Rechte einforderte. Das Gleiche geschieht jetzt. Angesichts ihrer eigenen falschen Strategie und der Realität der Niederlage suchen sie nach einer Rechtfertigung in der Intervention ausländischer Mächte. Nein, ihre Strategie ist falsch. Sie betrachten eine ganze Gesellschaft, ein ganzes Volk als Terroristen und wollen sie vernichten. Das ist nicht möglich, das können sie nicht erreichen. Aber sie beharren darauf. Sie tun zum Beispiel das Gleiche, um unsere Bewegung mit Drogen in Verbindung zu bringen. Seit 45 Jahren beschuldigen uns die türkischen Staatsorgane des Drogenhandels. Bis heute hat es weder in der Türkei noch irgendwo sonst auf der Welt einen Drogenprozess gegen ein PKK-Mitglied gegeben. Es mag einige Kurden geben, die in verschiedene Aktivitäten verwickelt sind, aber die Philosophie, die Moral und der Anstand der PKK-Organisation basieren auf dem Kampf gegen alle Arten von Drogen. Trotzdem werden immer wieder derartige Anschuldigungen erhoben. Das sind alles Verdrehungen der Tatsachen.

Wir sehen glatzköpfige Menschen, viele mit einem Professorentitel vor ihrem Namen, die vor die Kameras treten und sagen: „Amerika, Israel und der Iran stecken hinter diesen Aktionen." Es ist erbärmlich. Man kann einige spezielle Kriegspropagandisten verstehen, aber wir sehen, dass einige Leute, die nicht so sein sollten, sogar einige Leute, denen wir folgen und die einige Wahrheiten verteidigen, die gleichen Dinge sagen. Das heißt, sie sagen, dass es sich um ein Projekt handelt, hinter dem ausländische Mächte stecken, usw. Ist das die Wahrheit? Nein, das ist es nicht. Es hat nichts damit zu tun.

Die USA haben vielleicht ein kurdisches Projekt. Genauer gesagt, es wird behauptet, dass es existiert. Aber es ist nicht klar, was es ist. Und es hat nichts mit der PKK zu tun. Amerika hat uns nicht nur auf die Terrorliste gesetzt, sondern auch ein Millionen-Kopfgeld auf uns ausgesetzt. Außerdem führt der türkische Staat seit 40 Jahren mit politischer, militärischer und technischer Unterstützung durch die USA und die NATO einen Krieg gegen uns. Wenn der türkische Staat und die türkische Armee nicht vom Ausland unterstützt würden, hätte dieser Krieg nicht so lange gedauert. Denn das Interesse des globalen Kapitals liegt nicht in der Lösung von Problemen, sondern in der Unlösbarkeit. Deshalb unterstützen sie diesen Krieg und führen ihn selbst.

Wären türkische Drohnen und Flugzeuge ohne die Zustimmung der USA in der Lage, so weit in den Irak und nach Syrien vorzudringen? Nicht einmal ein Vogel kann im Irak ohne die Erlaubnis der USA fliegen. Gibt es irgendjemanden, der nicht weiß, dass es seit Jahren ununterbrochen Luftangriffe in Südkurdistan gibt? Werden diese Angriffe hier ohne Genehmigung durchgeführt? Die Unterstützung durch die USA ist eindeutig. Wenn die USA die QSD und andere Kräfte in Rojava wirklich unterstützt hätten, wenn sie die Absicht gehabt hätten, mit den Kräften dort ein Projekt zu entwickeln, wie die türkischen Medien behaupten, hätten sie dann zu den Angriffen des türkischen Staates in Rojava, in Nordostsyrien, schweigen können? Es werden Kriegsverbrechen begangen und die Lebensgrundlagen der Menschen zerstört. Die USA könnten das verhindern, wenn sie es wollten.

Es ist klar, dass es eine Beziehung zwischen den Kräften in Rojava und den USA gibt, aber die US-Vertreter erklären selbst, worin diese Beziehung besteht. Auch die QSD betonen es von Zeit zu Zeit. Aber der türkische Staat benutzt es als Vorwand, um auf sehr dreiste und hartnäckige Weise zu behaupten, dass internationale Mächte hinter der gerechten kurdischen Sache stehen. Er will von den USA die gleiche Unterstützung wie Israel sie von den USA erhält. Das ist der Kern der Sache, und es ist ganz klar, dass das nichts mit uns zu tun hat.

Das Interview wurde für die deutsche Fassung gekürzt und redigiert.