Helin Ümit hat sich als Mitglied des Zentralkomitees der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im TV-Kanal Medya Haber zu aktuellen politischen Entwicklungen geäußert. Wir veröffentlichen einen Ausschnitt aus der in Behdînan aufgenommenen Sendung, in der Helin Ümit über die Guerillaoffensive im Süden Kurdistans und die hohen Verluste der türkischen Armee spricht:
Die Guerilla ist in Kurdistan verankert
Es ist der Krieg, der die Tagesordnung in der Türkei bestimmt. Das ist nicht nur aktuell so. Wir befinden uns seit etwa zehn Jahren in einem sehr intensiven Krieg. 2019 wurden die Invasionsangriffe auf die Medya-Verteidigungsgebiete intensiviert, um die Guerilla zu eliminieren. Wir haben immer wieder erklärt, dass die Guerilla in Kurdistan verankert ist und nicht vertrieben werden kann. Es ist soziologisch nicht möglich. Unser Volksverteidigungszentrum, also unsere Kommandantur, hat in dieser Frage auch sehr deutlich gewarnt und gesagt: Kommt nicht hierher, sonst werdet ihr vernichtet. Das war keine Demagogie, kein Diskurs. Hier ist Kurdistan. Ihr kommt, um kurdisches Gebiet zu besetzen. Ihr seid eine Besatzungsmacht. Die Guerilla besteht aus Kindern dieses Landes. Sie kennt jeden Zentimeter davon und verteidigt ihr eigenes Land. Welches Recht habt ihr, auf diesem Boden Stützpunkte einzurichten und das Land zu eurem Eigentum zu machen? Aus welchem Grund auch immer, wie wollt ihr das durchhalten? Wie kann man einen solchen Krieg führen? Es ist soziologisch unmöglich.
Als Vertragssoldaten in den Tod geschickt
Es ist schwierig, eine Diskussion über den Tod von Menschen zu führen. Wir sehen uns die Berichte [in den türkischen Medien] an. Es gibt eine Regierung, die für den eigenen Machterhalt die Bevölkerung aushungert, um die Kinder der Armen und Arbeiter als Vertragssoldaten in den Tod zu schicken. Wir haben gesehen, wie ihre Familien in Zelten und Containern leben. Auf diese Weise sind sie rekrutiert worden. Es ist wirklich schade, dass diese jungen Menschen in einen ungerechten Krieg getrieben wurden. Ist diesen Soldaten klar, warum sie in den Krieg gezogen werden? Achtzig Prozent von ihnen wissen es nicht. Hier ist Kurdistan. Und ihr wollt kurdischen Boden besetzen, um euch finanziell zu konsolidieren. Die Gesellschaft der Türkei bekommt nur einen Bruchteil der Kriegsrealität mit. Es wird nicht darüber berichtet, es wird nur das gezeigt, was den Interessen der Regierung entspricht.
Warum nimmt der türkische Staat diese Verluste in Kauf?
Im Moment frage ich mich wirklich, warum der türkische Staat diese Verluste in Kauf nimmt. Die Ergebnisse der revolutionären Guerillaoperationen sind viel höher als er zugibt. Wenn er neun sagt, kann man eine Null hinzufügen. Das wissen wir aus Erfahrung. Wenn, sagen wir mal, zehn Soldaten vor unseren Augen sterben, ist das Äquivalent einer. Es wird nur über einen getöteten Soldaten berichtet. Aber ich will gar nicht so viel über Zahlen reden, sondern folgendes erklären: Der türkische Staat und die AKP/MHP-Regierung haben einen Mechanismus der Verschleierung. Warum verheimlichen sie es jetzt, was wollen sie tun, was ist das Ziel? Der türkische Staat ist so festgefahren ... Sie haben Schwierigkeiten, den Krieg fortzusetzen. Sie wollen Unterstützung von der internationalen Arena.
Angebliche Unterstützung der Guerilla durch die USA
Man muss sich nur ansehen, was seit Beginn der Guerillaoperation in den türkischen Spezialkriegsmedien diskutiert wird. Dort heißt es, dass wir allein nicht dazu in der Lage wären und westliche Unterstützung bekommen hätten. Die Guerilla ist bei jedem Wetter handlungsfähig und kann sich bewegen. Wir kämpfen hier seit vierzig Jahren. Wir sind eine Bewegung, die unter allen Bedingungen gehandelt hat, und seit vierzig Jahren wird behauptet, dass wir besiegt seien. Der Stand des Krieges ist klar. Der türkische Staat und die türkische Armee erleiden massenhaft Todesopfer. Und worauf führen sie das jetzt zurück? Sie sagen, die PKK wäre ohne Unterstützung nicht dazu in der Lage und bekomme Waffen und alles Mögliche von internationalen Mächten, von den USA. Nur deshalb sei es möglich, dass wir solche Aktionen durchführen. Wir sind eine Guerillabewegung, die seit vierzig Jahren alle möglichen militärischen Aktionen in dieser Gegend durchgeführt hat. Wir kennen diese Gegend wie unsere Westentasche. Nicht nur bei Nebel, sondern bei jedem Wetter hat die Guerilla die Möglichkeit, sich zu bewegen. Das ist die Essenz des Guerillakampfes. Die Soldaten dringen in unser Heimatland ein, in eine Gegend, die sie nicht kennen. Und dann sprechen sie von US-Unterstützung, von amerikanischem Verstand und Waffen.
Anzeichen größter Verzweiflung
Wissen Sie, was das eigentlich bedeutet? Es wird damit ausgesagt, dass die Kurdinnen und Kurden keinen eigenen Verstand haben, keinen eigenen Willen, keine eigene Kampfentschlossenheit. Sie können nur von anderen geführt werden. Und gleichzeitig fleht der türkische Staat die USA an: Kommt und rettet uns. Kommt und unterstützt uns. Unsere technische Infrastruktur ist schwach. Gebt uns technische Infrastruktur. Um die Gesellschaft zu täuschen, erzählen sie 24 Stunden am Tag, wie sie einheimische und nationale Rüstung produzieren, aber angesichts der kleinsten Aktion behaupten sie auf einmal, wie überlegen die technische Ausrüstung der Guerilla ist. Gibt es eine größere Verzweiflung als diese?
Sie können sich nicht gegen die Guerilla behaupten
In der gegenwärtigen Phase des Krieges können sie der Schlagkraft der Guerilla nicht standhalten. Im Moment tut unsere Guerilla genau das, wovor sie in den Medya-Verteidigungsgebieten gewarnt hat. „Ihr werdet gehen", sagte sie. „Wenn ihr nicht geht, werdet ihr vernichtet werden, ich warne euch." Jetzt tut sie das Notwendige, und die türkische Armee kann dem nicht standhalten. Das ist die erste Dimension. Die zweite Dimension ist die Realität des türkischen Staates, der in der internationalen Arena feststeckt. Er will mehr Macht, mehr Unterstützung, um den Krieg fortzusetzen. Die dritte Dimension ist die Innenpolitik. Wenn er den Krieg auf diese Weise auf der Tagesordnung hält, rechtfertigt er damit die wirtschaftlichen Probleme in der Türkei und bringt die Gesellschaft zum Schweigen.
Die türkische Armee ist zur Niederlage verurteilt
Der türkische Staat führt einen sehr ungerechten Krieg, einen Krieg des Völkermords. Die Kurdinnen und Kurden kämpfen für ihre Existenz und ihre Freiheit, sie verteidigen ihr eigenes Land. Aus diesem Grund ist die türkische Armee zur Niederlage verurteilt. So wie in der Geschichte Kolonialarmeen wie die USA in Vietnam von nationalen Befreiungsbewegungen besiegt wurden, so ist auch die türkische Armee zur Niederlage verurteilt. Das muss man sich vor Augen führen. Aufgrund dieses Krieges ist die Türkei zu einem Reich der Banden geworden. Man kann alle Arten von kriminellen Netzwerken finden. Die AKP selbst hat diese Banden geschaffen. Weil der Krieg, den sie führt, ein ungerechter und schmutziger Krieg ist, muss sie zu schmutzigen Methoden greifen. Er muss auf Lügen beruhen, auf Erpressung und auf Täuschung.
Der Kampf wird weitergehen
Die Gesellschaft in der Türkei sollte sich fragen, was der Grund für diesen Krieg ist. Warum gibt es einen Krieg? Der Hauptgrund ist die Leugnung der Existenz des kurdischen Volkes und die Verweigerung seiner Freiheiten. Das kurdische Volk kann immer noch keine Bildung in seiner eigenen Sprache erhalten. Seine Muttersprache existiert im türkischen Staat nicht. Wir leben im 21. Jahrhundert. Der türkische Staat spricht über Rechte in Palästina und positioniert sich in Afrika und sonstwo, aber es gibt keinen Namen für ein Volk innerhalb seiner eigenen Struktur. Es hat keinen Platz in seinen Gesetzen. Ist das keine Kriegsursache? Darum geht es in diesem Krieg, und niemand kann diese Realität verheimlichen. Es kann sich auch niemand den Auswirkungen des Freiheitskampfes entziehen, weder die Kurdinnen und Kurden noch die Gesellschaft der Türkei. Der Kampf wird weitergehen, bis die Rechte des kurdischen Volkes anerkannt werden. Alle sollten das wissen, und wir als PKK, als Volk, haben die Möglichkeit, unter allen Umständen zu kämpfen. Weil wir im Recht sind. Weil wir einen Existenzkampf führen. Weil wir die Freiheit eines Volkes wollen. Es wird immer junge Menschen geben, die sich dem Kampf dafür anschließen werden, vor allem junge Frauen. Denn es gibt keinen anderen Weg, in Würde zu leben.