Die südkurdische Regierungspartei PDK [„Demokratische Partei Kurdistans“] ist berüchtigt für ihre Zusammenarbeit mit dem türkischen Staat. Sie wird vom Barzanî-Clan beherrscht, verteilt die Reichtümer der Region unter ihren Anhängern und hält sich mit Hilfe des türkischen Staates an der Macht. Angesichts der Geschichte der Unterdrückung und Verfolgung in Kurdistan stellt die Rolle der PDK für viele Menschen ein Rätsel dar. Im ANF-Interview analysiert Feride Alkan, Mitglied im Militärrat der Verbände freier Frauen (YJA Star), die Rolle der PDK vor dem historischen Hintergrund.
„Verrat ist das größte Hindernis des kurdischen Freiheitskampfes“
Könnten Sie zunächst kurz die Rolle der PDK beschreiben?
Ein Hauptfaktor, der den seit 50 Jahren anhaltenden Freiheitskampf gegen die Besatzung durch den türkischen Faschismus behindert, ist der Verrat, der sich in Kurdistan in Form der PDK institutionalisiert hat. Alle Kurdinnen und Kurden wissen, dass der türkische Staat und seine Besatzungsarmee bereits hunderte Male besiegt worden wären, wenn es keinen innerkurdischen Verrat gäbe. Das hätte bedeutet, dass die PDK sich auf die Seite des Freiheitskampfes des kurdischen Volkes gestellt hätte oder zumindest neutral geblieben wäre und nicht dem Feind gedient hätte. Auch das internationale Komplott, das dem kurdischen Volk und der Menschheit als größte Kränkung, Unrecht und Grausamkeit auferlegt wurde, wäre dann nicht zustande gekommen. Die Besatzung von Efrîn, die zur Flucht von Hunderttausenden Kurdinnen und Kurden geführt hat, die mörderischen Angriffe auf die Medya-Verteidigungsgebiete und allgemein die Angriffe auf Südkurdistan sind auf kurdische Kollaborateure zurückzuführen. Genauer gesagt ist die PDK hauptverantwortlich dafür, dass die Kurdinnen und Kurden keine gemeinsame Vertretung auf der internationalen Bühne haben. Daher ist die Selbstverwaltung von Rojava und der Wille des Volkes von Rojava, das die Menschheit vor der Geißel des IS gerettet hat, weder in Genf noch in Astana vertreten. Der Grund, warum der türkische Staat in der Lage ist, in der internationalen Öffentlichkeit die kurdische Freiheitsbewegung von der kurdischen Frage zu trennen und zu behaupten, es gäbe keine kurdische Frage, sondern nur ein PKK-Problem, ist die Kollaboration der PDK und der Spezialkrieg, den er auf dieser Grundlage führen kann.
Wie kann man dieses Problem lösen?
Ein erheblicher Teil der kurdischen Öffentlichkeit begreift das Problem nicht als eine Angelegenheit zwischen der PDK und dem kurdischen Volk. Ihrer Meinung nach handelt es sich um ein Problem zwischen der PDK und der PKK, und deshalb sollten beide Seiten eine Lösung finden. Eine solche Haltung dient jedoch wissentlich oder unwissentlich den Feinden der Kurden, insbesondere dem türkischen Staat und seinem Spezialkrieg. Diese Argumentation spielt auch der PDK in die Hände, da so die Linie des Verrats vertieft und verbreitert wird. Sie legitimiert das Handeln der PDK gegenüber einem bestimmten Teil der Bevölkerung. Aus diesem Grund versuchen die PDK und der türkische Staat so zu tun, als handele es sich um ein Problem zwischen der PDK und der PKK. Das ist ihre Strategie, denn auf diese Weise kann die PDK ihre Vergangenheit vergessen machen, die kurdische Identität ausnutzen, ihre politische Herrschaft in der Region aufrechterhalten, sich auf internationaler Ebene verkaufen und gleichzeitig auf dieser Ebene ihre Legitimität wahren. Der türkische Besatzerstaat benutzt die PDK als Aushängeschild für die angebliche Brüderlichkeit mit den Kurden, um seine Politik des Genozids am kurdischen Volk zu verschleiern, also um die PKK und die kurdische Frage voneinander zu trennen und den schmutzigen Krieg, den er seit 50 Jahren führt, zu kaschieren sowie eine Konfrontation zwischen der PKK und der PDK zu vertiefen und anzuheizen.
Diese Spezialkriegspolitik des türkischen Staates und die damit verbundenen Diskurse sollen in der kurdischen Öffentlichkeit Verwirrung hinsichtlich der Rolle der PDK stiften. Dies führt dazu, dass das kurdische Volk nicht in der Lage ist, das PDK-Problem als eine ihm aufgezwungene Linie des Verrats zu verstehen und zu lösen und keine radikale oder klare Haltung einzunehmen. So kann diese Frage als eine lokale Angelegenheit zwischen zwei Parteien betrachtet und auf eine Lösung auf der Grundlage gegenseitiger Schritte beider Parteien gehofft werden. Damit glaubt man, zu einer Veränderung und Einheit zu kommen. Leider ist diese Wahrnehmung ein Trugschluss, der es dem Verrat und der Kollaboration mit dem Feind ermöglicht, fortzudauern. Aus diesem Grund ist das kurdische Volk nicht in der Lage, das Problem zu lösen.
„Die PDK hat eine ontologische Verbindung zur Kurdenfeindschaft“
Daher kann es keine gefährlichere Perspektive geben, als das Problem als ein Problem zwischen der PKK und der PDK zu betrachten und eine Lösung durch gegenseitige Schritte zu erwarten. Denn eine solche Denkweise führt dazu, dass die historische Linie des Verrats der PDK und ihre ontologische Verbindung mit den Feinden der Kurden nicht erkannt oder ignoriert wird. Noch schlimmer, das führt dazu, den aktuellen Verrat der PDK als legitim zu betrachten und einen allgemeinen Legitimationsdiskurs im Sinne dieser Linie zu fördern. Es bringt eine falsche oder bestenfalls naive Erwartung auf eine Lösung mit sich, und das ist Selbstbetrug. Da die PDK zutiefst von ihrer ontologischen Verbindung mit den Kurdenfeinden geprägt ist, wird es mit ihr niemals zu einer innerkurdischen Lösung kommen. Selbst wenn sie sich in diesem Sinne engagieren würde, dann nur, weil die Kurdenfeinde ihre Existenz bestimmen und es so wollten. Das ist jedoch weder möglich noch realistisch. Manche werden sagen, dass die PDK 2013 mit PKK-Vertreter:innen für die „Demokratische Nationale Einheit“ zusammenkam und Treffen in Hewlêr abhielt. Ja, das stimmt, aber die PDK tat das, weil der türkische Faschismus und sein Diktator Erdoğan ihre Zustimmung gegeben hatten. Als Erdoğan den Verhandlungstisch umwarf, löste sich gleichzeitig die Atmosphäre der nationalen Einheit in Hewlêr auf.
Es geht im Grunde um die Art und Weise, wie sich die PDK am Leben erhält, und die daraus resultierenden Konsequenzen. Für diejenigen, die diese Tatsachen kennen, ist die Rolle der PDK in Kurdistan glasklar, und die Behauptung, dass es sich um ein Problem zwischen der PDK und der PKK handelte, ist nichts weiter als ein lächerliches Spezialkriegsargument.
Die PDK steht seit 1992 im Dienst des türkischen Faschismus
Wer sich mit der längeren Geschichte der PDK befasst, weiß, dass die PDK nach 1992 begann, gegen die PKK vorzugehen, dass sie eine Politik der aktiven Feindseligkeit verfolgte und dass dies eine Gegenleistung für ihre Tolerierung durch den türkischen Staat als Ergebnis der US-Politik im Nahen Osten nach dem Golfkrieg war. Die USA zwangen den türkischen Staat, die PDK zu akzeptieren, wenn diese im Gegenzug die PKK bekämpfte und sich bis zum letzten gegen die Existenz der PKK stellte. Als Gegenleistung dafür, dass sich die PDK bis zur Vernichtung der PKK an die Seite des türkischen Staates stellen sollte, erklärte sich dieser bereit, die PDK nicht länger als primitiven Stamm oder Clan zu betrachten, sondern sie als kurdische politische Struktur unter seiner Kontrolle anzuerkennen. Entsprechend dieser Vereinbarung im Jahr 1992 führte die PDK ab September 1992 einen permanenten Krieg gegen die PKK, griff zu allen Mitteln, um sie zu liquidieren, sie auf internationaler Ebene als terroristisch zu diffamieren und arbeitete hart daran, ihre Errungenschaften in allen Teilen Kurdistans mit Hilfe der Türkei zu usurpieren. Sie hilft dem türkischen Faschismus bei der Errichtung zahlreicher Militärstützpunkte in Südkurdistan auf allen Ebenen, sie verkauft das Öl, das Eigentum und Besitz unseres Volkes in Südkurdistan ist, auf mafiöse Art und Weise an die faschistische Republik Türkei, bietet dem Geheimdienst MIT alle mögliche Unterstützung, damit er in den Gebieten unter der politischen Kontrolle der PDK aktiv sein kann, und sieht kein Problem darin, dass Südkurdistan vom türkischen Geheimdienst, den Kontras, Militärs und Bürokraten als Bordell benutzt wird. Im Gegenteil, die PDK sieht es als ihre Pflicht an, ihnen diese besonderen Dienste zu leisten, um ihnen zu gefallen.
„Auch vor 1992 war die PDK niemals an der Seite des kurdischen Volkes“
Aber wie war die PDK vor 1992, inwieweit stand sie auf der Seite des kurdischen Volkes und verfolgte dessen Interessen?
Ich schlage vor, dass diejenigen, die dies wirklich verstehen wollen, sich zumindest die wütende Rede von Dr. Qasimlo über den Verrat der PDK und ihre Rolle beim Völkermord in Rojhilatê Kurdistanê [Ostkurdistan] am 19. August 1980 anhören und seine Schriften lesen. Ich schlage vor, dass sie recherchieren, was mit dem großen kurdischen Revolutionär Suleiman Moini geschehen ist, dass sie seinen Freunden zuhören, die Geschichte von Elî Eskerî, dem wahren kurdischen Peschmerga, kennenlernen und die Verschwörung von Dr. Şivan1 studieren, der das größte Führungspotential für den kurdischen Freiheitskampf hatte. Ich schlage ihnen vor, sich die Bilder anzusehen, auf denen Barzanî den Völkermörder Saddam Hussein nach Helebce [Halabdscha] umarmt, und diejenigen zu befragen und anzuhören, die miterlebt haben, wie er Saddams Armee in die alte kurdische Stadt Hewlêr führte, die damals unter der Kontrolle der YNK stand. Anhand dieses kurzen historischen Abrisses wird deutlich, dass die PDK schon immer gegen die Kurdinnen und Kurden und ihre für Freiheit kämpfenden Organisationen stand. Das Problem reicht viel weiter zurück als die PKK. Man kann objektiv und wissenschaftlich feststellen, dass die PDK eine Struktur ist, die im Sinne von Familieninteressen gegründet wurde und die ihre Existenz ontologisch mit den Interessen der Feinde des kurdischen Volkes verbunden hat. Daher überschneiden sich ihre Interessen und die der Feinde der Kurden und sie hält es für notwendig, um ihre eigene Existenz zu bewahren, die Zusammenarbeit mit den Feinden weiter auszubauen.
In diesem Sinne ist es wichtig, nicht nur zu wissen, was ihre strategischen Beziehungen mit dem türkischen Staat gegen unsere Freiheitsbewegung Kurdistan und das kurdische Volk gekostet haben, sondern auch, was die verräterischen Beziehungen der PDK sowohl mit dem Schah von Persien als auch mit dem Iran Khomeinis die HDK und Komala gekostet haben. Es ist notwendig zu sehen, wie Tausende von ostkurdischen Revolutionären und Revolutionärinnen in iranischen Kerkern leiden und Folterungen und Hinrichtungen ausgesetzt sind, weil sie dort aufgrund der PDK keinen Guerillakampf leisten konnten. Man muss sehen, wie viele fliehen mussten. Wie wissenschaftlich, wie realistisch und oder auch moralisch ist es, das vergessen zu machen, wenn man die PDK betrachtet und ihre gegenwärtigen Interessenbeziehungen mit dem türkischen Staat als politisches Ergebnis ihrer Widersprüche mit der PKK bezeichnet? Sollen wir diese Vergangenheit der PDK vergessen? Ist Vergessen nicht selbst eine Form von Verrat?
„Die PDK kann sich nicht ändern“
Die Antwort auf die Frage „Warum kann sich die PDK nicht ändern?“ lässt sich durch eine Analyse des strukturellen Charakters der PDK finden. Ich muss leider feststellen, dass sich die PDK nicht ändern kann. Die Gründe können unter einigen Punkten zusammengefasst werden.
Zunächst einmal kann sich die PDK aufgrund der Mentalität und ihres Formats nicht ändern. Das derzeitige Format der PDK gründet auf ihrer Mentalität. Es handelt sich um eine Formation, die keine demokratischen, freiheitlichen und modernen Kriterien haben kann, da sie die Struktur einer staatlichen Dynastie besitzt. Es handelt sich um eine Struktur, die keine Konzepte von Volk und Gesellschaft hat und allein auf einer Dynastie basiert, in der die Macht vom Vater auf den Sohn übertragen wird. Diese dynastische Herrschaft beruht auf einer patriarchalischen und konfessionellen Struktur und ist Ausdruck einer Interessengemeinschaft. Sie dient als Werkzeug des Kapitalismus. Das gilt zweifellos für den Buchstaben „D“ in den Buchstaben PDK, d.h. das Wort „Demokrat“, das genauso falsch ist wie das Wort „Demokratie“, das die Imperialisten verwenden, um ihre Besatzungsmaßnahmen im Nahen Osten auf der Grundlage ihrer kolonialistischen Politik zu beschönigen. Es wird ebenso manipulativ verwendet, wie wenn der türkische Staat die Invasion und Zerstörung kurdischer Regionen wie Efrîn oder Serêkaniyê unter den Namen „Olivenzweig“ oder „Friedensfrühling“ verkauft. Dasselbe gilt zweifellos für den Buchstaben „K“, d.h. „Kurdistan“, denn die PDK hat nichts mit Kurdistan zu tun, sondern allein mit dem Barzanî-Clan. Auch das „P“ ist falsch, denn es kann sich nicht um eine Partei handeln, wenn seit ihrer Gründung die Macht vom Vater auf den Sohn übertragen wird und alle Entscheidungsmechanismen und Führungsebenen primär von Familienmitgliedern kontrolliert werden. Also ergibt auch das „P“ keinen Sinn.
„Der Feudalismus ist eng mit der Kollaboration verknüpft“
Wenn wir die PDK in unserer eigenen Geschichte verorten wollen, können wir sagen, dass sie über eine feudale Struktur verfügt, und wenn wir sie mit dessen kurdischer Ausprägung, den Mîr [Fürsten] vergleichen wollen, wäre es in vielerlei Hinsicht nicht falsch, eine Analogie mit dem Mîr von Bedirxan zu ziehen. Es wäre angebracht, die Familie Barzanî in diesen Kontext zu stellen. Zumindest was ihre Interessenbeziehungen zu den Feinden des kurdischen Volkes oder ihren darauf basierenden Politikstil betrifft, kann man eine Ähnlichkeit mit Bedirxan ziehen. So wie die Osmanen durch die Bedirxans zuerst das kurdische Erbe in der Region eliminierten, insbesondere Bilîs, Hekkaryan, Xoşav (Mahmutian), so eliminieren die türkischen, iranischen und irakischen Besatzerstaaten durch die PDK seit 60 Jahren kurdische Organisationen oder versuchen sie zu liquidieren. So wie die Osmanen lange Zeit den Wünschen von Bedirxan nachgegeben, sich nicht in seine Privilegien eingemischt und ihm sogar erlaubt haben, seinen Wohlstand in seiner Region zu vergrößern und sein Territorium zu erweitern, weil er an der Beseitigung aller kurdischen Fürstentümer mitgewirkt und seine Macht als Knüppel gegen andere Fürsten benutzt hat, so geht der türkische Staat heute mit der PDK um. Doch wie unser ganzes Volk, einschließlich unserer Mütter, und vor allem Rêber Apo [Abdullah Öcalan] und unsere Partei immer wieder gewarnt haben, wird die PDK schließlich das Schicksal von Bedirxan ereilen. Nachdem sie ihre Dienste für die Feinde Kurdistan erledigt hat, wird sie selbst eliminiert werden.
„Die Barzanîs verachten das Volk als ihre Sklaven“
Eine Politik, die sich auf die Feinde des eigenen Volkes und Landes stützt, eine Politik des Angriffs auf das eigene Volk in Kollaboration mit seinen Feinden, die ihre Macht daraus generiert, dass sie bei den Feinden des Volkes Zuflucht sucht, kann niemals die Politik einer demokratischen Volkspartei oder einer nationalen Partei sein. Das kann nur Ausdruck einer feudalen Mentalität und eine Politik sein, die auf dynastischen Strukturen und dynastischen Eigeninteressen beruht. Diese Struktur kennt das Volk nicht, erkennt es nicht an, traut dem Volk und seiner eigenen Kraft nicht und verachtet es als seine Untertanen oder Xulam [Sklaven]. Sie betrachtet alles und alle im Lande als ihr Eigentum und nutzt sie ihren Interessen entsprechend aus. Während ihr Volk in Armut lebt, häufen sie genug Privatbesitz an, um zu den reichsten Menschen der Welt zu gehören. Denn in ihrem Weltbild gibt es kein öffentliches Interesse, kein Gemeinwohl, keine gerechte Verteilung, und alles, was dem Volk gehört, wird zugunsten der dynastischen Familie privatisiert. Ganz bewusst wird eine Klasse von Reichen geschaffen, die aus ihren eigenen Kumpanen besteht, und die hungrigen Massen sollen sich nach diesen Positionen sehnen. Die Gesellschaft wird unter dem Deckmantel des freien Marktes verkauft, während in Wirklichkeit alles einer Familiendynastie und einer Handvoll reicher Gefolgsleute gehört. Das Volk wird als Masse betrachtet, deren Arbeitskraft ausgebeutet wird, während die Stellschrauben der Zirkulation des Kapitals sich in den Händen einer Familiendynastie befinden. So werden die Menschen dazu gebracht, hinter falschen Hoffnungen herzulaufen und sich weiter durch den Kreislauf des Elends zu schleppen.
Feudalkapitalismus treibt die verarmten Massen in die Flucht
Wir haben in dem Gebiet unter der Herrschaft der Barzanî-Administration der PDK einerseits ein dynastisches Feudalsystem und andererseits einen kapitalistischen Markt. Doch was bringt dies dem kurdischen Volk und der Gesellschaft Kurdistans? Wird man sich nicht fragen, ob Tausende von gefallenen Peschmerga, fast ein Jahrhundert des Kampfes und die unermesslichen Opfer, die das Volk gebracht hat, allein dem Profit dieser Dynastie und ihrem anschwellenden Kapitalmarkt dienen sollen? Wird man nicht kritisieren, ja verfluchen, dass die überirdischen und unterirdischen Ressourcen in dem von den Feinden der Kurden und Kurdistans entrissenen und zumindest teilweise befreiten Südkurdistan zwar für ein Leben aller in Wohlstand ausreichen würden, aber die Menschen trotzdem aufgrund von Armut und Verfolgung in alle Welt fliehen müssen? Wird keine Erklärung, Aufklärung oder Rechenschaft für die jungen Männer, Frauen und Kinder aus Başûr [Südkurdistan] gefordert, die im Mittelmeer und in der Ägäis von Fischen gefressen werden oder an der Grenze zu Weißrussland in der Kälte erfrieren?
Warum investieren die Barzanîs, die zu den reichsten Menschen der Welt zählen und die meisten Arbeiter beschäftigen, nicht in ihre eigene Region, sondern in den Metropolen des Besatzungsstaates? Warum leben die Menschen unter der Kontrolle dieser Superreichen im Elend, so dass sie ihr Land verlassen und anderswo Zuflucht suchen müssen? Warum sind Hewlêr und Dihok berühmt für Prostitution? Warum werden die unterirdischen Kerker, die der Völkermörder Saddam zur Ausrottung der Kurdinnen und Kurden gebaut hat, mit kurdischen Journalisten, Intellektuellen und Revolutionären gefüllt, anstatt sie zu schließen oder in Museen der Schande zu verwandeln?
„Es geht um den Unterschied zwischen feudalem Kapitalismus und demokratischem Sozialismus“
Manche betrachten den materiellen Reichtum der Barzanîs als gottgegeben und natürliche Akkumulation und sehen keinen Grund zur Nachfrage. Vielleicht halten sie diesen Reichtum sogar für etwas, auf das man als Kurde stolz sein könne. Wenn sie so denken, dann müssen sie auch unseren Repräsentanten, unseren Wegweiser Rêber Apo, verachten, da er nichts Materielles besitzt. Rêber Apo, seine Familie und ihr Umfeld besitzen keinen materiellen Reichtum. Genau, Rêber Apo, der Vordenker und Vorsitzende der riesigen Organisation PKK, die weltweit Einfluss ausübt, die Kurdistan neu geformt hat und einen fünfzigjährigen Kampf führt, der den Nahen Osten zutiefst verändert hat, besitzt wirtschaftlich nichts. Wenn er im Gefängnis, wo er seit 25 Jahren inhaftiert ist, einen Kugelschreiber benötigt, kann ihn nur sein Volk, seine Organisation kaufen und ihm schicken, denn er hat kein Geld, um einen Stift zu kaufen. Obwohl er seit 50 Jahren der Wegweiser des kurdischen Volkes ist, ist seine Familie, die wir als seine Kernfamilie bezeichnen, immer noch eine der ärmsten Familien Kurdistans. Die Familie des PKK-Vorsitzenden zu sein, hat ihr wirtschaftlich nichts gebracht. Wie sich vielleicht einige erinnern werden, sagte Rêber Apo zu seinem Bruder Mehmet bei einem seiner Besuche im Gefängnis: „Verlasse dein Haus im Dorf. Es ist nicht dein Haus, sondern das Haus des Volkes. Statte es mit Büchern aus und nutze es als Haus des Volkes“. Er vergesellschaftete also auch das Haus seiner Familie. Doch ist diese Situation gottgegeben und somit natürlich? Nein, natürlich nicht. Denn die PKK könnte in ihrer jetzigen Position das gesamte Kapital der Barzanîs dutzendfach aufkaufen, wenn sie es wollte. Hinter der PKK steht die Kraft des Volkes, sie hat politische und wirtschaftliche Macht. Kein Mitglied der PKK, insbesondere auch die Gründungsmitglieder, verfügen über privates Kapital. Das wäre undenkbar.
So sehr also die Barzanîs und damit die PDK dynastisch, nepotistisch, individualistisch und auf der Basis von Privateigentum antisozial agieren, so sehr sind Rêber Apo und seine Partei, die PKK, am Volk orientiert, sozialistisch und revolutionär. Kurz gesagt, es handelt sich um den Unterschied zwischen feudalem Kapitalismus und demokratischem Sozialismus. Diese offensichtliche Tatsache, dieser gravierende Mentalitätsunterschied, ist der Grund dafür, dass sich die PDK niemals ändern kann.
„Die PDK wird sich noch stärker an den türkischen Faschismus binden“
Der zweite Grund für die Unveränderbarkeit der PDK hängt wiederum mit ihrer ontologischen Struktur zusammen. Wie bereits erwähnt, hat die PDK ihre Existenz an die Feinde der Kurden und Kurdistans gebunden und betrachtet diese Verbindung als strategische Grundlage ihrer Herrschaft. Da sie wirklich daran glaubt, das heißt, weil sie seit Jahrzehnten in dieser Überzeugung agiert und meint, dass sie sich so auf den Beinen halten und sogar einige Errungenschaften erreichen konnte, kann sie nie mehr in die entgegengesetzte Richtung gehen. Denn die entgegengesetzte Richtung bedeutet für sie den Untergang und die Auslöschung. Die PDK ist zutiefst von der Haltung geprägt, dass sie ihre Pfründe nicht schützen kann, ohne sich auf zumindest einige der regionalen Staaten des Status quo zu stützen und ohne einen Teil Kurdistans zu verkaufen. Nach dieser Perspektive ist Politik eine Frage der Berechnung, und in Kurdistan, dem Zentrum des Nahen Ostens, kann man Familieninteressen nur durch das beste Verhandlungsgeschick schützen. Das geht nur, wenn man sich auf mindestens ein oder zwei der Feinde des kurdischen Volkes stützt und mit ihnen kooperiert. Deshalb kann die PDK seit Jahren ungebrochen an der Macht bleiben, obwohl sie die übrigen Teile Kurdistans und seine Organisationen verkauft. So versucht sie, ihre eigene Macht zu festigen. Sie versteht und nutzt das als das ABC ihrer Politik. Daher kann sich das Verhältnis der PDK zu den Feinden der Kurdinnen und Kurden nicht ändern, denn dieses macht ihr Wesen aus. Von der PDK zu erwarten oder zu wollen, dass sie sich in dieser Hinsicht ändert, wäre so, als würde man erwarten, dass die PDK ihre eigene Position unterminiert. Es ist in keiner Weise realistisch, eine Änderung der seit 31 Jahren auf diesem Weg andauernden militärischen, wirtschaftlichen, politischen und sozialen Beziehungen mit dem türkischen Besatzungsstaat zu erwarten. Daher werden alle, die ein wenig politisches Bewusstsein besitzen, unweigerlich erkennen, dass die Zukunft der PDK darin besteht, sich noch mehr an den türkischen Staat zu binden, um die eigenen dynastischen Interessen zu sichern und noch aggressiver gegen das eigene Volk vorzugehen.
„Die PDK ist vom Hass der Abschwörer und Verräter durchdrungen“
Was ich bisher aufgezählt habe, sind die Gründe, die in der Grundeinstellung der PDK und den Grundlagen ihrer Existenz liegen. Es mag wichtig sein, noch einen dritten Grund für die Unveränderbarkeit der PDK hinzuzufügen, insbesondere auch noch einmal, um das Vorgehen der PDK gegen die PKK genauer zu betrachten. Denn zu der traditionellen kollaborativen Haltung der PDK und ihrem Politikverständnis sind im Laufe der Jahre auch diejenigen hinzugekommen, die die PKK vor vielen Jahren verraten haben. Sie sind kein zu unterschätzender Faktor und bieten zumindest auch eine teilweise Erklärung für die derzeitige Feindseligkeit der PDK gegenüber der PKK.
In diesem Sinne kann man sagen, dass die PDK zusätzlich zu ihrer Struktur der Kollaboration von denjenigen, die die PKK verraten haben, und vom Spezialkriegsorgan des türkischen Staates, dem Geheimdienst MIT, aufgebläht wurde. Die PDK ist daher völlig von Verrat durchdrungen und bis hin zu einer Blutfehde gegen die PKK verblendet worden. Stellen Sie sich den Geisteszustand eines Verräters vor. Stellen Sie sich Menschen vor, die die Organisation verraten haben, an die sie jahrelang geglaubt und in der sie mitgewirkt haben, Menschen, die ihre Orientierung an der Revolution und dem Erfolg auf dieser Grundlage verloren haben. Diese Leute, und es gibt eine beträchtliche Anzahl von ihnen, traten der PDK bei, wurden zu ihren Beratern, nahmen an Entscheidungsprozessen teil, waren für die Propaganda verantwortlich, wurden Ausbilder in ihren Akademien, Kommandeure in ihrer Armee und Offiziere in ihrem Geheimdienst. Stellen Sie sich die Wut und den Hass eines Verräters auf die Werte vor, die er verraten hat, und versuchen Sie sich vorzustellen, wie sehr er die Niederlage der Bewegung, die er verraten hat, herbeisehnt, um seine eigene Niederlage zu legitimieren. Seit 2004 sind viele solcher Menschen, die permanent die Psychologie und Energie des Verrats in sich tragen, in der PDK.
„Die PDK ähnelt dem JITEM“
Bedauerlicherweise ist die PDK zu einer Struktur des türkischen Staates geworden, die dem JITEM ähnelt. Unser Volk in Nordkurdistan und diejenigen, die den Freiheitskampf verfolgen, wissen, dass die Todesschwadron JITEM aus Abschwörern und Verrätern aus den Reihen der PKK geschaffen wurde. Diejenigen, die es nicht wissen, können leicht auf in Buchform veröffentlichte Aussagen zugreifen, die diese JITEM-Mitglieder in den folgenden Jahren abgelegt haben. Aus den Quellen, die die JITEM und damit den tiefen Staat analysieren, und aus den Geständnissen, die Gegenstand dieser Quellen sind, können sie lernen, was ein Verräter seinem Volk antun kann. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Verräter, die zur PDK gingen und mit dem MIT zusammenarbeiteten, um die PDK und die PKK gegeneinander auszuspielen, ähnliches tun. Man sollte sich also fragen, inwiefern eine PDK, die von Verrätern als Zufluchtsort und Schnittstelle zum MIT betrachtet wird, eine nützliche Struktur mit guten Absichten für das eigene Volk sein kann. Das ist ein weiterer Grund, warum sich die PDK niemals ändern kann – sie ist die Heimstätte der Verräter, weil sie geglaubt hat, durch die Verräter etwas erreichen zu können.
„Das Volk muss die PDK isolieren und marginalisieren“
Was also soll geschehen, wenn sich die PDK nicht ändern kann? Was ich erklären möchte, ist, dass wir nicht erwarten sollten, dass die PDK sich ändert und mit der PKK zusammenkommt. Das Problem ist nicht zwischen der PDK und der PKK. Es kann weder durch einen Krieg zwischen der PKK und der PDK noch durch einen Dialog gelöst werden. Wir müssen erkennen, dass es sich hierbei um ein Problem zwischen der PDK und dem kurdischen Volk handelt. Deshalb ist es ein Problem, dessen Lösung nur aus dem Volk kommen kann. Das kurdische Volk, die kurdische Öffentlichkeit, kurdische Akademiker:innen, Intellektuelle, Jugendliche und Frauen können das Problem lösen, wenn sie es wollen. Und wie? Natürlich, indem sie sich gegen den Verrat wehren, indem sie den Verrat aufdecken, indem sie Verräter isolieren, indem sie lautstark ihre Stimme erheben, Stellung beziehen und die PDK in Südkurdistan, auf nationaler als auch auf internationaler Ebene boykottieren und zeigen, dass die Verräter nicht zu ihnen gehören und sie nicht vertreten können. Indem wir also den Verrat und die Linie des Verrats isolieren und marginalisieren, können wir sie schwächen. Denn das Volk und die kurdische Öffentlichkeit als ihre organisierte Struktur sind die eigentliche Kraft und es gibt keine Macht, die über ihnen steht. Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass ein Volk, das den Verrat in sich selbst nicht überwinden kann, niemals eine gesunde Gesellschaft bilden kann. Der Verrat ist die schlimmste Krankheit, das größte Laster. Die einzige Möglichkeit, als freie Gesellschaft zu leben, besteht darin, den Fluch des Verrats abzuschütteln.
1 Dr. Sait Kırmızıtoprak (Dr. Şivan), war einer der führenden Kader der Demokratischen Partei Kurdistans Türkei (T-KDP). Der auch als kurdischer „Che Guevara" bekannte Revolutionär aus Dersim wurde 1969 in Zaxo von der PDK festgenommen und offenbar zusammen mit zwei seiner Genossen erschossen.