Bayik: Der türkische Staat will den Völkermord in Kurdistan vollenden

Cemil Bayik, Ko-Vorsitzender der KCK, erklärt in einer Analyse der politischen Entwicklungen, dass der türkische Staat den Genozid am kurdischen Volk vollenden will und darin die Wurzel seiner aktuellen Probleme liegt.

Cemil Bayik hat als Ko-Vorsitzender des Exekutivrats der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) in einer Sondersendung bei Stêrk TV die aktuellen politischen Entwicklungen bewertet. Wir veröffentlichen Ausschnitte aus dem auf Kurdisch geführten Interview:


Die Isolation von Abdullah Öcalan hat ein Ausmaß erreicht, das nur noch als Folter bezeichnet werden kann. Seit mehr als zwei Jahren hat niemand mehr etwas von ihm gehört. Gleichzeitig dauern die Proteste gegen die Isolation Abdullah Öcalans an. Wie bewerten Sie die neuesten Entwicklungen zu diesem Thema?

Die gegen Rêber Apo [Abdullah Öcalan] verfolgte Politik betrifft nicht nur das kurdische Volk, sondern die gesamte Menschheit. Aus diesem Grund nehmen die internationalen Proteste gegen diese Politik von Tag zu Tag zu. Kürzlich fand in Lausanne eine Konferenz statt, bei der viele wichtige Entscheidungen getroffen wurden, darunter die Forderung nach der körperlichen Freiheit von Rêber Apo. Ein weiteres Beispiel ist, dass vor einigen Tagen in Belgien Gewerkschaften, Intellektuelle und Gemeindemitglieder eine Pressekonferenz abhielten, in der sie die körperliche Freiheit von Rêber Apo forderten. Ich möchte allen danken, die diese Forderung gestellt haben und an der Pressekonferenz teilgenommen haben. Ich glaube, dass sie in diesem Kampf eine führende Rolle spielen und ihre Forderung letztendlich durchsetzen werden. Ich sage das, weil sie selbst seit Jahren auf dieser Grundlage kämpfen. Sowohl mit der Konferenz in Lausanne als auch mit der Pressekonferenz in Brüssel wurde eine neue Phase dieses Kampfes eröffnet. Als Bewegung werden wir unseren Platz in dieser neuen Phase einnehmen. Auf dieser Grundlage werden wir in naher Zukunft einige neue Entscheidungen treffen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich die vier Teile Kurdistans und unser Volk im Ausland aufrufen: Alle Kurdinnen und Kurden müssen sich am Kampf für die physische Freiheit von Rêber Apo beteiligen. Alle wissen, dass ein sehr schmutziger Krieg gegen ihn geführt wird und dass er seit mehr als zwei Jahren in völliger Isolation lebt. Wenn der unterdrückerische Feind mit dieser Politik Erfolg hat, wird er den Völkermord an den Kurdinnen und Kurden vollenden. Das ist es, was sie wollen und warum sie die ohnehin schon starke Isolation von Rêber Apo verschärfen. Der faschistische türkische Staat erkennt keinerlei humanitäre, moralische oder rechtliche Grundsätze an. Gegen diese Politik, die gegen Rêber Apo und damit gegen das kurdische Volk insgesamt betrieben wird, haben die Kräfte der Demokratie und Freiheit auf internationaler Ebene Stellung bezogen. Dass sie dies durch öffentliche Proteste tun, bereitet dem türkischen Staat Unbehagen. Der Staat ist sich der Bedeutung von Rêber Apo für das kurdische Volk und die Menschheit bewusst und erhöht daher die Folter von Rêber Apo schrittweise. Einige türkische Beamte haben kürzlich einige leere Dinge gesagt. Beispielsweise wurde Rêber Apo offenbar bedroht und ihm wurde gesagt, dass er Tag für Tag getötet würde, wenn er nicht täte, was sie von ihm wollten. Tuncer Kılınç [ehemaliger Generalsekretär des türkischen Nationalen Sicherheitsrates] sagte sogar: „Jeder Tag auf Imrali ist gleichbedeutend mit einer Hinrichtung, wir exekutieren ihn jeden einzelnen Tag.“ Das ist die Grundlage der Politik gegenüber Imrali. Daher muss die physische Freiheit von Rêber Apo die wichtigste Agenda für alle sein. So können wir die Politik, die gegen Rêber Apo und die Kurdinnen und Kurden insgesamt verfolgt wird, vereiteln. Das ist die Aufgabe von uns allen.

Unser Volk versteht die Politik des türkischen Staates sehr gut. Täglich gibt es Nachrichten über Disziplinarstrafen gegen Rêber Apo. Dadurch verhindern sie die Besuche seiner Anwälte und seiner Familie. Wenn eine Person weder ihre Familie noch ihre Anwälte treffen kann, keine Briefe schreiben oder sonst etwas tun kann, wie kann sie dann ein Vergehen begangen haben? Das sind rein politische Entscheidungen. Indem er sein Volk und die Menschheit als Ganzes vertritt, leistet Rêber Apo einen historischen Widerstand gegen diese schmutzige Politik. Deshalb will der türkische Staat Ergebnisse erzielen, die auf Hass gegen Rêber Apo basieren. Sie erzwingen eine so strenge Isolation, dass seine Stimme die Menschen nicht erreichen kann. Ich glaube, dass die Teilnehmenden der Konferenz in Lausanne und der Pressekonferenz in Belgien neue Aktionen für die physische Freiheit von Rêber Apo initiieren werden. Als Bewegung werden wir uns daran beteiligen und das in naher Zukunft öffentlich bekannt geben.

Vor acht Jahren, am 24. Juli 2015, startete der türkische Staat einen Großangriff gegen das kurdische Volk und die südkurdischen Medya-Verteidigungsgebiete. Diese Angriffe dauern nun schon seit mehr als acht Jahren ununterbrochen an. In einer ihrer jüngsten Stellungnahmen erklärten die HPG, dass die PDK an den Einsätzen der türkischen Armee in Xakurke und auch in anderen Gebieten in Südkurdistan beteiligt sei. Was können Sie uns dazu sagen? Wie ist die Lage im Hinblick auf den andauernden Krieg?

Die letzten acht Jahre sind für unseren Kampf sehr wichtig. Natürlich haben wir viele schwierige Zeiten durchgemacht, aber in den letzten acht Jahren haben wir einen noch härteren Krieg geführt. Die türkische Armee, die zweitgrößte Armee der NATO, erhält alle Arten von Waffen und Unterstützung von NATO-Mitgliedern und anderen Staaten. Sie nutzen jede Art von Waffe, wenn es um die PKK und die Kurden geht; von chemischen Waffen bis hin zu taktischen Nuklearwaffen. In den letzten acht Jahren hat der türkische Staat in seinem Krieg gegen unsere Bewegung alle Mittel eingesetzt. Er greift die Guerilla 24 Stunden am Tag mit Panzern, Artillerie, Kampfflugzeugen und Chemiewaffen an. Zuletzt gaben die HPG an, dass es täglich mehr als 500 Angriffe gegeben habe. Die Angriffe auf unsere Kräfte sind enorm und in gewisser Weise beispiellos. Ziel des türkischen Staates ist es, seinen Völkermord am kurdischen Volk zu vollenden. Außer der PKK hätte keine andere Kraft solchen Angriffen acht Jahre lang, nicht einmal acht Monate lang, widerstehen können. Rêber Apo, die Guerilla der PKK und das kurdische Volk haben in den letzten acht Jahren historischen Widerstand geleistet. Da der Widerstand groß ist, zahlen wir auch einen hohen Preis. Denn der Kampf, den wir führen, gilt nicht nur uns selbst, sondern auch dem Nahen Osten und der Menschheit. Trotz dieses hohen Preises, den wir gezahlt haben, haben wir es dem türkischen Besatzerstaat nicht ermöglicht, sein Ziel zu erreichen. Sein Ziel war es, die PKK zu zerstören und am 100. Jahrestag des Vertrags von Lausanne einen Völkermord am kurdischen Volk zu verüben. Doch dagegen leisten Rêber Apo, die PKK und das kurdische Volk heldenhaften Widerstand. Bei dieser Gelegenheit möchte ich respektvoll alle Kämpfer und Kämpferinnen der HPG und YJA Star grüßen, die in und außerhalb der Tunnel gegen die Invasoren kämpfen und damit einen historischen Widerstand leisten. Ich möchte ihnen meinen Dank aussprechen und ihnen zu ihrem Erfolg gratulieren.

Auf der anderen Seite gibt es die Praxis der PDK und Barzanîs. Alle Kurdinnen und Kurden mit politischem Bewusstsein protestieren ausdrücklich gegen die Situation, die durch die PDK und Barzanî geschaffen wird. Die PDK und die Familie Barzanî kollaborieren mit dem türkischen Staat. Sie stellen alle ihre Mittel in den Dienst dieses völkermörderischen Staates und sehen darin nichts Falsches. Sie behaupten sogar, die Kurden zu vertreten und ihnen zu dienen. Doch gleichzeitig fallen junge Kurdinnen und Kurden bei den Angriffen, die der türkische Staat mit Hilfe der PDK durchführt. Unser Volk muss die Beziehung zwischen Barzanîs PDK und dem türkischen Staat gut verstehen.

In Xakurke führen der türkische Staat und die PDK Operationen gegen die Guerilla durch. In [der südkurdischen Region] Zap ziehen sie [PDK-Kräfte] Uniformen türkischer Soldaten und kämpfen an ihrer Seite gegen die Guerilla. Sie kommen aus Barzanîs Außenposten und greifen unsere Freundinnen und Freunde [Guerilla] an. Am Tag der Konferenz in Lausanne, deren Ziel die Entstehung einer nationalen Einheit war, führten die Barzanîs an der Seite des türkischen Staates Operationen gegen die Guerilla durch. Was bedeutet es, sich mit dem Feind zu verbünden und Operationen gegen die Guerilla durchzuführen? Darüber sollten alle nachdenken. Heute gibt es in Kurdistan nur zwei Linien: eine ist die Linie der Freiheit und die andere ist die Linie des Verrats und der Kollaboration. Die Kurdinnen und Kurden können sich nicht auf die Seite des türkischen Staates stellen, sie können nicht gemeinsam mit dem türkischen Staat das Blut der kurdischen Jugend vergießen. Unser Volk muss entsprechend Stellung beziehen.

Zum 100. Jahrestag des Vertrags von Lausanne kamen alle Parteien außer der PDK in Lausanne zusammen. Sie brachten ihre Einigkeit genau dort zum Ausdruck, wo der Vertrag unterzeichnet wurde, der zum Völkermord an den Kurdinnen und Kurden führte. Wie bewerten Sie diese Konferenz?

Die Konferenz in Lausanne war ein Schritt in Richtung der nationalen Einheit des kurdischen Volkes. Sie hat nicht nur beim kurdischen Volk, sondern auch bei anderen in Kurdistan lebenden Völkern Hoffnung geschaffen. Vor hundert Jahren wurde in Lausanne ein Dokument unterzeichnet, das zum Völkermord an Kurden, Armeniern, Assyrern, Assyrern, Aleviten und Êzîden führte. Rêber Apo hat gegen das damals in Lausanne geschmiedete Bündnis gekämpft und versucht, die Wahrheit dieses Vertrags aufzuzeigen. Das hat die kürzlich stattgefundene Konferenz der Welt deutlich vor Augen geführt. Während der Konferenz wurde klar zum Ausdruck gebracht, dass die seit dem Vertrag von Lausanne umgesetzte Völkermordpolitik nicht länger akzeptiert werden wird. Der türkische Staat und seine Kollaborateure haben große Anstrengungen unternommen, um die Durchführung der Konferenz zu verhindern. Aber sie hatten nicht genug Macht, um damit erfolgreich zu sein. Der ständig wachsende Widerstand des kurdischen Volkes in allen Teilen Kurdistans und im Ausland und die wachsenden Zahl unserer internationalen Freundinnen und Freunde haben die Konferenz möglich gemacht. Sie war sehr wichtig und ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um meine Grüße an alle zu richten, die an der Konferenz mitgewirkt haben, die dort an der Entscheidungsfindung beteiligt waren und diese Entscheidungen in die Tat umsetzen werden. Sie haben etwas Historisches geleistet und damit dem kurdischen Volk und allen anderen Völkern einen großen Dienst erwiesen. Alle wollten, dass die PDK und die Barzanîs an dieser historischen Konferenz teilnehmen. Sie sollten an einem so historischen Tag auf der Seite ihres Volkes und nicht auf der Seite der Besatzer stehen. Doch sie nahmen nicht an der Konferenz teil, weil sie ihr Schicksal vom türkischen Staat abhängig gemacht haben. Auf der Konferenz in Lausanne kamen alle zusammen, die sich kurdische Einheit und Freiheit wünschten. Nur die Barzanîs kamen nicht. In Lausanne organisierte das kurdische Volk eine Konferenz, während Barzanî und seine PDK gemeinsam mit dem türkischen Staat Operationen gegen die Guerilla durchführten. Das kurdische Volk zerriss das Bündnis von Lausanne, aber Barzanî versucht es am Leben zu erhalten. Darin liegt der Sinn der Entscheidung, sich auf die Seite des türkischen Staates zu stellen und nicht an der Konferenz teilzunehmen.

Der Vertrag von Lausanne bedeutet die Leugnung und Ausrottung nicht nur des kurdischen Volkes, sondern aller anderen Völker und Andersgläubigen in Kurdistan, weshalb die in Kurdistan lebenden Menschen ihn nicht akzeptieren. Die auf der Konferenz getroffenen Entscheidungen sind wichtig und müssen umgesetzt werden. Es reicht nicht aus, nur Entscheidungen zu treffen, sie müssen auch weiterverfolgt werden. Dafür sind nicht nur die PKK, sondern alle in Kurdistan lebenden Völker verantwortlich. Vielleicht ist die Verantwortung bei allen anders, aber alle müssen irgendeine Form von Verantwortung übernehmen und dieser nachkommen.

Die AKP betreibt ihre Politik auf der Grundlage des „Unterwerfungsplans“, den sie seit 2015 gegen das kurdische Volk in die Tat umsetzt. Sie pendelt zwischen der NATO und Russland hin und her, führte kürzlich aber auch Gespräche in mehreren arabischen Ländern. Wie bewerten Sie das?

Wir sehen jeden Tag in den Nachrichten, dass die faschistische AKP/MHP die Menschen in der Türkei aushungern lässt. Sie haben die Menschen zur Armut verurteilt. Sie betreiben eine Politik der Täuschung, die auf Lügen und Demagogie basiert. Daher versuchen sie, die Not der Menschen zu verbergen. Denn die AKP/MHP weiß, dass sie nicht länger an der Macht bleiben kann, wenn die Bevölkerung das erkennt. Sie täuschen die Menschen mit leeren Worten wie „Es gibt Terrorismus“, „Es gibt Separatismus“ oder „Die Kurden werden die Türkei zerreißen, sie werden uns zerstören. Deshalb müssen wir uns verteidigen.“ Durch Täuschung und die Angst der Menschen auf der einen Seite und durch ständigen Krieg auf der anderen Seite versuchen sie, an der Macht zu bleiben. Auch außerhalb der Türkei verfolgen sie eine solche Politik. Indem sie sich auf die osmanische Geschichte beziehen, versprechen sie, das Land den Osmanen zurückzuerobern. Deshalb genießt der türkische Staat auf der internationalen Bühne keine große Glaubwürdigkeit. Seitdem er alle Ressourcen in den Krieg investiert haben, ist die Wirtschaft zusammengebrochen und die Politik steckt in einer Sackgasse. Sie lassen dafür jetzt die Menschen bezahlen. Jeden Tag kündigen sie eine Preiserhöhung nach der anderen an. Das Einzige, was die Menschen heutzutage interessiert, ist, wie sie leben und wie sie ihre Kinder am Leben erhalten. Die AKP/MHP verfolgt diese Politik bewusst und möchte, dass sich die Menschen nur um ihr tägliches Brot kümmern, damit sie die anderen Dinge vergessen und die AKP/MHP ihre Macht behalten kann. Dabei machen sie sich auch das Fehlen einer Opposition in der Türkei zunutze. Es gibt keinen Widerstand, mit dem die Öffentlichkeit über die Politik der Regierung aufgeklärt wird. Das ist derzeit eines der Hauptprobleme in der Türkei.

Deshalb muss das Bündnis für Arbeit und Freiheit der Gesellschaft die von der Regierung geschaffenen Probleme verständlich machen. Auf dieser Grundlage muss es die Gesellschaft organisieren und mobilisieren. Denn außer dem Bündnis für Arbeit und Freiheit gibt es in der Türkei keine andere Opposition, die das kann. Wenn sie den Menschen die Situation im Land begreiflich machen, sie organisieren und mobilisieren, wird sich das Volk erheben. Viele Menschen sind mit dieser Regierung nicht zufrieden und haben sich dagegen ausgesprochen. Wenn das Bündnis für Arbeit und Freiheit das nutzen kann, wird die AKP/MHP-Regierung der Bevölkerung der Türkei nicht mehr so viel Ärger bereiten können. Die Menschen stehen unter hohem Druck. Es fehlt selbst an Trinkwasser und sogar der Strom ist oft abgeschaltet. Menschen in Kurdistan werden ständig durch vorsätzliche Unfälle mit gepanzerten Fahrzeugen getötet. Aber niemand zieht jemanden zur Rechenschaft. Die Armen sind ärmer und die Reichen reicher geworden. Hunger, Plünderung und Unterdrückung nehmen täglich zu, während die Natur zerstört wird. Der türkische Staat hat kürzlich damit begonnen, Bäume im Wald [Akbelen im Südwesten der Türkei] zu fällen. Sogar eine 88-jährige Frau, die sich an einen Baum klammerte, damit sie ihn nicht fällen konnten, wurde von der Polizei abgeführt. Sie vernichten menschliches Leben. Sie kennen keine Grenzen und fördern Vergewaltigungen, Massaker und die Zerstörung menschlichen Lebens. In Kurdistan werden Heroin und Prostitution als politische Mittel gegen Frauen und Jugendliche eingesetzt. Sie fördern auch die Spionage in Kurdistan. Und ständig werden Menschen verhaftet und gefoltert. Deshalb müssen sich die demokratischen Kräfte auf all diese Probleme konzentrieren. Ihre Aufgabe ist es, diese Situation aufzudecken und der Gesellschaft aufzuzeigen, wer dafür verantwortlich ist. Dann werden die Menschen selbst handeln.

Die AKP/MHP-Regierung ist schwach geworden, versucht aber immer noch alles, um stark zu wirken. Die Probleme in der Türkei nehmen von Tag zu Tag zu. Es geht nicht nur um eine Wirtschaftskrise, es gibt auch eine soziale, politische und moralische Krise, die sie nicht lösen können. Sie wollen aus dieser Krise herauskommen, indem sie falsche Pläne entwickeln und alles verkaufen, was sie können. Es gibt nichts mehr, was sie nicht verkauft hätten. Der türkische Staat ist in viele verschiedene Länder gegangen, um seine Währungskrise zu lösen. Dies wird jedoch zu keinen wirklichen Lösungen führen. Sie können die Probleme nicht lösen, wenn sie den schmutzigen Krieg, den sie gegen das kurdische Volk führen, nicht aufgeben. Man muss verstehen, dass die Wurzel all dieser Probleme im Krieg liegt, der gegen das kurdische Volk geführt wird. Wenn die Gesellschaft in der Türkei ihre Probleme loswerden will, muss sie der AKP/MHP sagen, dass es genug ist, und diesen Krieg beenden. Sie müssen die Existenz des kurdischen Volkes und seine Forderungen akzeptieren, ihre Politik gegenüber den Kurden ändern und die Probleme durch Dialoge lösen. Anders kann die Türkei nicht aus der Krise herauskommen.

Vor neun Jahren verübte der sogenannte Islamische Staat (IS) ein Massaker an der êzîdîschen Bevölkerung. Die Guerilla der HPG und YJA Star kam zur Verteidigung nach Şengal und verhinderte so weitere Massaker. Haben Sie eine Botschaft zum Jahrestag des 74. Genozids am êzîdîschen Volk?

Unser êzîdîsches Volk hat 74 Völkermorde erlebt. Der Zweck des 74. Völkermords bestand darin, die Êzîdinnen und Êzîden vollständig auszurotten. Doch dieses Ziel erreichten sie nicht ganz, weil die PKK es verhinderte. Schon vor dem Völkermord wies Rêber Apo unsere Bewegung an, unser êzîdîsches Volk zu schützen. Wenn unsere zwölf Freunde, die als erste Gruppe nach Şengal gingen, nicht gegen den IS interveniert hätten, wenn die YPG, YPJ und HPG nicht dorthin gegangen wären und wenn kein Korridor geöffnet worden wäre, hätte der IS den Völkermord vollendet. Das êzîdîsche Volk kann nirgendwo anders leben als auf seinem eigenen Land in Şengal. Aufgrund des Eingreifens der Guerilla der PKK sowie der YPG und YPJ kann es dort noch heute leben. Diese Intervention verhinderte die Vollendung des Völkermords. Der IS hätte alle, die er zu fassen bekam, abgeschlachtet und alle anderen vertrieben. Eine Rückkehr wäre unmöglich gewesen. Ohne unser Eingreifen gäbe es die êzîdische Gemeinschaft heute nicht mehr. Denn sobald du dein Land verlässt, kannst du nicht mehr überleben. Diese Gefahr war gebannt und es musste ein hoher Preis gezahlt werden. Doch die Folge ist, dass die Menschen in Şengal auch heute noch mit ihrer Identität, Religion und ihren Werten leben. Heute ist unser êzîdîsches Volk stärker als vor dem 74. Völkermord. Es gibt noch viele Probleme, die gelöst werden müssen, z.B. die Angriffe des türkischen Staates und der Barzanîs. Doch trotz all dieser Probleme verfügt das êzîdîsche Volk heute über eigene Institutionen und kann sich verteidigen. Auf dieser Basis wurde ein sehr wichtiges Bündnis gebildet, das noch weiter gestärkt werden muss, um eine Lösung für Şengal zu erreichen. Für die Menschen ist es wichtig, einen Status für Şengal und das êzîdîsche Volk zu erreichen. Innerhalb dieses Bündnisses gibt es auch andere Völker und Glaubensrichtungen als die Êzîden. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um die Gefallenen unseres êzîdîschen Volkes zu ehren. Ohne diese Gefallenen und den Widerstand würde das êzîdîsche Volk heute vielleicht nicht mehr existieren. Die Situation nicht nur der Êzîdinnen und Êzîden, sondern auch der Kurden und anderer Völker im Nahen Osten wäre eine ganz andere. Deshalb hat dieser Widerstand für die Menschheit insgesamt neue Werte geschaffen. Ich grüße unser êzîdîsches Volk und gratuliere ihm zu seinem Kampf. Ich möchte ihnen meinen Respekt erweisen und sie ermutigen, an sich selbst zu glauben und das von ihnen gegründete Bündnis weiter zu stärken. Wenn sie auf dieser Grundlage weiterhin entschlossen und mutig kämpfen, werden sie ihre Ziele auf jeden Fall erreichen.