24. Juli 2015: Das Ende der Hoffnung auf Frieden

Vor vier Jahren bombardierte die türkische Luftwaffe die Qendîl-Berge in Südkurdistan und leitete damit das Ende des von der PKK ausgerufenen Waffenstillstands ein.

Am 24. Juli 2015 wurde der Dialogprozess zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen Befreiungsbewegung mit der Bombardierung der Qendîl-Berge durch die türkische Luftwaffe endgültig beendet. Seitdem sind vier Jahre vergangen. Als Vorwand für den erneuten Beginn des Krieges wurde der Mord an zwei türkischen Polizisten in Ceylanpinar (kurdisch: Serê Kaniyê, Provinz Riha/Urfa) benutzt. Der Mordfall wurde nie aufgeklärt. In den vergangenen vier Jahren haben Tausende Menschen ihr Leben verloren, ganze Städte in Nordkurdistan wurden zerstört und aufgrund innerstaatlicher Machtkämpfe kam es 2016 zu einem Putschversuch. Der Ausnahmezustand wurde ausgerufen, Tausende Menschen wurden per Dekret aus dem öffentlichen Dienst entlassen, festgenommen, verhaftet, gefoltert, misshandelt oder verschwanden einfach. Nach Angaben der Menschenrechtsstiftung Türkei (TIHV) waren zwischen dem 16. August 2015 und dem 18. März 2016 1.642.000 Menschen von den bewaffneten Konflikten in den nordkurdischen Städten betroffen, 310 Zivilist*innen kamen ums Leben. In dieser Zeit wurden elf Abgeordnete der Demokratischen Partei der Völker (HDP) und ungefähr 10.000 Mitglieder der Partei verhaftet. Im Schatten des Krieges fanden fünf Wahlen statt. In der Türkei wurde das „Ein-Mann-Regime“ eingeführt.

In dem vorangegangenen Dialogprozess, der mit der 2013 von Abdullah Öcalan vorgelegten „Newroz-Deklaration“ konkrete Züge angenommen hatte, war der wichtigste Moment die Verkündung der „Dolmabahçe-Erklärung“ am 28. Februar 2015 durch türkische Regierungsvertreter und die kurdische Abordnung, die auf Imrali mit Öcalan gesprochen hatte. Diese Initiative, mit der die bewaffneten Auseinandersetzungen in Türkei beendet werden sollten, wurde später von Erdoğan und der Regierung verleugnet. Die Gespräche wurden von türkischer Seite abgebrochen.

Vorzeitige Warnung Öcalans

Bei dem letzten Gespräch mit der HDP-Delegation auf Imrali am 5. April 2015 hatte Öcalan bereits davor gewarnt, dass der Staat sich nicht auf demokratische Verhandlungen einlässt. „Es ist möglicherweise das letzte Mal, dass Sie kommen können“, erklärte Öcalan und sagte, dass die türkische Seite einen Dialog nicht ernsthaft in Erwägung zieht. In den Gesprächen auf Imrali hat der PKK-Gründer wiederholt vor zunehmend autoritären Zügen der AKP gewarnt. Wenn es keine Einigung gebe und der Staat auf Faschismus setze, werde der Krieg erneut ausbrechen. Sogar den Putschversuch sah Öcalan voraus: „Wenn keine Demokratisierung entsteht, tritt ein Putschmechanismus in Kraft.“

Vom 5. April zum 24. Juli

Was ist in der Zeit seit Beendigung der Gespräche auf Imrali im April und dem Neubeginn des Krieges am 24. Juli geschehen? Am 7. Juni fanden Parlamentswahlen statt. Zwei Tage vorher wurden bei einem Sprengstoffanschlag auf eine Wahlkundgebung der HDP in Amed (Diyarbakir) fünf Menschen getötet und Hunderte verletzt. Insgesamt erfolgten nach Angaben des Menschenrechtsvereins IHD 168 Angriffe auf die HDP, darunter auch zwei Bombenanschläge auf die Parteizentralen in Mersin und Adana. Im Wahlkampf wurden 183 HDP-Mitglieder festgenommen.

Provoziertes Ende des Waffenstillstands

Einhergehend mit dem Dialogprozess hatte die PKK ein weiteres Mal einen Waffenstillstand erklärt. Am 11. April 2015 wurden trotz des Waffenstillstands auf Befehl des Gouverneurs der nordkurdischen Provinz Agirî (Ağrı) Soldaten aus Hubschraubern auf dem Berg Tendûrek abgesetzt. Es kam zu einem Gefecht, bei dem zwei HPG-Kämpfer und ein Zivilist ums Leben kamen. Diese Militäroperation wurde in der Öffentlichkeit als „Provokation gegen den Dialogprozess“ bewertet.

Allen Angriffen und Provokationen zum Trotz gelang es der HDP bei den Wahlen, mit 80 Abgeordneten in die türkische Nationalversammlung einzuziehen. Die AKP verlor massiv an Stimmen und damit die Möglichkeit, alleine zu regieren.

Im Laufschritt zum Krieg

Da die Wahlergebnisse nicht ausreichten, um das von Erdoğan gewünschte Präsidialsystem einzuführen, wurden Neuwahlen angesetzt. Die AKP distanzierte sich umgehend von den vorangegangenen Verhandlungen für eine Lösung der kurdischen Frage und signalisierte damit erneute massive Gewalt. Es kam zu Militärbewegungen, Festnahmewellen und schließlich zum Selbstmordanschlag von Pirsûs (Suruç), bei dem 33 junge Menschen ihr Leben verloren.

Zwei Tage nach dem blutigen Anschlag wurden die beiden Polizisten Feyyaz Yumuşak und Okan Acar in Ceylanpınar im Schlaf ermordet. Der Mord ist immer noch nicht aufgeklärt, wurde jedoch umgehend der PKK untergeschoben. Die Angeklagten in dem Mordprozess wurden nach zweieinhalb Jahren freigesprochen, weil keine Verbindung zwischen ihnen und dem Mord feststellbar war.

Bombardierung am 24. Juli

Dieser weiterhin ungeklärte Mord war für die türkische Regierung der willkommene Anlass für eine massive Bombardierung des Qendîl-Gebirges mit Dutzenden Kampfbombern am 24. Juli. Die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) erklärte daraufhin den Waffenstillstand für beendet: „Der 24. Juli wird als größter Fehler der AKP und Erdoğans in die Geschichte eingehen.“ Im weiteren Verlauf brachen vielerorts erneut Gefechte aus, denen unzählige Menschen zum Opfer fielen.

Der Zersetzungsplan war bereits fertig

Die türkische Regierung behauptete zwar, dass der Krieg erst im Juli 2015 neu entfacht worden sei, tatsächlich jedoch hatte der Nationale Sicherheitsrat bereits am 30. Oktober 2014, als offiziell noch Friedensgespräche stattfanden, einen „Zersetzungsplan“ zur Vernichtung der kurdischen Bewegung verabschiedet. Dieser Plan wird seit dem 24. Juli Stück für Stück umgesetzt. In zahlreichen kurdischen Städten wurden Ausgangssperren verhängt, es kam zu massiven Auseinandersetzungen, bei denen ganze Stadtteile dem Erdboden gleichgemacht wurden und die legale kurdische Opposition mit einer massiven Repressionswelle konfrontiert wurde.

Putsch und innerstaatlicher Konflikt

Die Warnung Öcalans vor einem Putsch im Falle einer ausbleibenden Demokratisierung wurde ein Jahr nach Beendigung des Lösungsprozesses durch die AKP zur Realität. Nach dem vermeintlichen Putschversuch 2016, der für eine Zuspitzung des Machtkampfes innerhalb des Staates steht, wurde der Ausnahmezustand ausgerufen, der ein grenzenloses Vorgehen gegen die gesamte Opposition in der Türkei möglich machte. Zehntausende Menschen wurden aus dem öffentlichen Dienst entlassen, kurdische Bürgermeisterinnen und Bürgermeister wurden durch staatliche Treuhänder ersetzt und Tausende Politikerinnen und Politiker wurden verhaftet.