Anna Campbell: Eine Freiheitskämpferin

Die britische Internationalistin und YPJ-Kämpferin Anna Campbell ist im März 2018 bei der Verteidigung von Efrîn gefallen. Unsere Kollegen von Yeni Özgür Politika haben mit ihrem Vater Dirk Campbell über seine Tochter gesprochen.

Die britische Internationalistin YPJ-Kämpferin Anna Campbell (Helîn Qereçox) ist im letzten Jahr bei der Verteidigung Efrîns gefallen. Die damals 27-Jährige kam am 16. März 2018, dem 55. Tag des Widerstands von Efrîn, bei einem türkischen Luftangriff auf einen Zivilkonvoi in Cindirês ums Leben. Kolleg*innen von der Tageszeitung Yeni Özgür Politika hatten im Rahmen des ersten internationalistischen Jugendfestivals, das im Juli in Euskirchen stattfand, die Gelegenheit, mit Annas Vater Dirk Campbell zu sprechen. Der Multiinstrumentalist beherrscht die Bilûr (Flöte), ein Melodieinstrument der traditionelles kurdischen Musik, und spielte für die Teilnehmenden des Festivals emotional sehr berührende Stücke. Im Interview äußerte sich Campbell gegenüber unseren Kolleg*innen Pervin Yerlikaya und Fadil Donma über die Freiheitsbewegung Kurdistans und seine Tochter Anna. Wir geben es an dieser Stelle in deutscher Übersetzung wieder.

Kannten Sie das kurdische Volk und seinen Freiheitskampf, bevor Anna nach Rojava ging?

Auch wenn es nicht viel war, wusste ich etwas. Ich wusste, dass es in Syrien große Probleme gab, dass der syrische Staat zerfiel und dort viele Kämpfe stattfanden. Ich wusste es aufgrund der antikapitalistischen Haltung meiner Tochter. Antikapitalistische, marxistische und anarchistische Gruppen hatten Verbindungen nach Rojava. Meine Tochter interessierte sich sehr dafür. Sie hat mir Bücher über die Revolution von Rojava geschickt, damit ich sie lese. Es waren im Allgemeinen Bücher, die einen Schwerpunkt auf Feminismus legten. Ich muss an dieser Stelle betonen, dass Anna dem Feminismus tief verbunden war. Gedanken über Frauenrechte, Frauenfreiheit, die Rolle der Frau in der Gesellschaft und in der Politik und ihre Beteiligung haben sie interessiert. Sie interessierte sich ebenso für Ökologie.

Was denken Sie über die Freiheitsbewegung Kurdistans und die Beteiligung von Internationalist*innen?

Auch wenn ich mich an den Titel nicht erinnere, so habe ich ein Buch über die Grundideen von Abdullah Öcalan gelesen. Ich weiß, dass er gesagt hat: „Auf dem Weg zum Frieden in Kurdistan werden wir Hilfe von außen brauchen“. Ich denke, internationalistische Hilfe ist notwendig, um das Problem zwischen der Türkei und den Kurden zu lösen. Mein Freund Henry Robinson war einst IRA-Kommandant. Er spielte bei der Lösung des Konflikts zwischen Großbritannien und Irland eine wichtige Rolle. Mein Freund war nach Kolumbien gegangen, um den Friedensprozess dort zu unterstützen. Er war davon überzeugt, dass jeder Krieg irgendwann vorbei sein würde. Er sagte immer: ‚Warum soll er nicht früher enden? Es macht keinen Sinn, zehn Jahre zu warten. Lasst uns etwas tun, bevor hunderttausende Menschen sterben‘.

Wie hat sich Ihr Leben verändert, nachdem Ihre Tochter nach Rojava ging?

Als sie nach Rojava ging, habe ich mir sehr große Sorgen gemacht. Ich hoffte, dass sie am Leben bleibt und es ihr gut geht, aber mein Leben ging weiter, wie es zuvor war. Als Anna fiel, hat sich alles verändert.

Als der IS in Europa angriff, kämpfte ihre Tochter in Rojava gegen diese Gruppen. Was dachte Sie als Vater darüber?

Damals habe ich mit meiner Tochter telefoniert. Ich brachte meine Vorurteile zum Islam zum Ausdruck. Meine Tochter widersprach heftig. Später, als ich nach Rojava ging, habe ich viele Muslime mit gutem Herzen kennengelernt. Ich habe zum Beispiel die Familie von Barîn Kobanê kennengelernt, deren Leichnam von Islamisten verstümmelt wurde. Videoaufnahmen davon verbreiteten diese Gruppen im Internet. Ich gehe davon aus, dass dieses Video immer noch durchs Netz geistert. Als ich Barîns Familie kennenlernte, fragte ich: „Sie sind Muslime. Wie kann es sein, dass Menschen mit der gleichen Religion Ihrer Tochter so etwas antun?“ Ihr Vater sagte: „Das sind keine Menschen, das sind Ungeheuer. Meine Religion ist eine des Respekts und der Toleranz.“

Wollen Sie noch etwas von Ihrer Tochter erzählen?

Meine Tochter wurde sechs Wochen zu früh geboren. Deswegen war sie als Kind immer etwas schwächlich. Ich denke, diese Situation hat den Wunsch in ihr geweckt, stärker und gesünder zu sein. Es war so, als ob sie uns, als sie klein war, beweisen wollte, dass sie stark ist. Sie war auch ein sehr emotionales und romantisches Mädchen. Sie liebte es zu lesen. Sie las traditionelle Bücher und hörte manchmal traditionelle Lieder. Ihre Fantasie war sehr ausgeprägt. Sie hat sich selbst Spiele ausgedacht und sie stundenlang gespielt. So etwas habe ich bei ihren Brüdern nie beobachtet. Meine Tochter wuchs nicht in der Stadt auf. Sie wuchs an einem Ort auf, an dem es Wälder und Felder gibt. Sie hatte eine Idee, wie eine ideale Welt aussehen könnte und fühlte sich in der normalen Kultur nicht wohl. Als sie elf Jahre alt war, wollten ihre Schulfreunde einmal eine Biene töten. Anna versuchte die Biene zu retten. Sie tat es, ohne zu überlegen, was die Kinder sagen oder denken würden. Meine Tochter war immer an der Seite der Armen und Entrechteten. Sie hat sich immer in andere Menschen hineinversetzt und ihren Schmerz geteilt. Als sie mit der Universität begann, lernte sie linke Gruppen kennen und nahm an vielen Organisationen und Aktionen teil, um Menschen und Tiere zu schützen.

„Ich werde mit aller Kraft gemeinsam mit meinen Genoss*innen kämpfen“

An dieser Stelle liest Dirk Campbell aus einem Brief seiner Tochter an die YPJ vor:

„Ich bin seit sechs Jahren Revolutionärin und ich habe mich in dieser Zeit mit der Ideologie der Revolution, der Philosophie des Vordenkers Apo auseinandergesetzt und unseren Grund zu kämpfen verstanden. Ich habe auch an der Operation in Deir ez-Zor teilgenommen und meine Aufgabe erfolgreich zu Ende geführt. Ich möchte nun meinen Wunsch äußern, als Kämpferin nach Efrîn zu gehen. Der Grund, warum ich mich der YPJ anschloss, war es, gegen die Unterdrücker zu kämpfen. Aber jetzt fallen meine Genoss*innen und ich sitze hier. Das kann ich nicht weiter ertragen. Ich als Frau sollte in den Fraueneinheiten kämpfen und ein Teil dieser Revolution sein. Diese Revolution findet nicht nur für Kurdistan oder den Mittleren Osten statt, es ist eine Revolution für die ganze Menschheit, sie ist die Hoffnung der Menschheit.

Als der türkische Staat und seine Milizen begannen, Efrîn anzugreifen, versuchten sie uns zu schwächen und auszuschalten. Deswegen sollte ich für die Freiheit aller Frauen kämpfen. Die Ideologie der türkischen Armee unterscheidet sich nicht von der des IS. Die IS-Banden ermorden und unterdrücken seit Jahren Frauen. Sie hassen Frauen.

Es ist unsere Aufgabe, diese furchterregende Mentalität zu vernichten und für die Bewahrung unserer Freiheit zu kämpfen. Als Frau sollte ich meiner selbst bewusst sein und die Waffe aufnehmen. So wie es der Vordenker Apo sagte; jede Frau soll kämpfen und ihren Platz im Krieg finden. Deshalb sollte auch ich die Waffe aufnehmen, mich selbst erkennen und eine noch stärkere Revolutionärin werden. Dort, wo die männlichen Freunde kämpfen, sollten auch die Frauen kämpfen. Dort, wo arabische und kurdische Freund*innen kämpfen, sollten auch Internationalist*innen kämpfen. Unsere Leben sind nicht wertvoller als die ihren.

Ich habe mich dieser Revolution als Genossin angeschlossen, sollte ich eines Tages versehrt werden oder fallen, dann bin ich dazu auch als Genossin bereit. Ich hoffe, nach Efrîn geschickt zu werden. Ich habe nicht die Kraft etwas anderes zu machen. Mein Herz hält die Angriffe nicht mehr aus. Gestern habe ich gehört, dass ein internationalistischer Freund in Efrîn gefallen ist. Ich hoffe, ich werde nach Efrîn geschickt. Ich sollte dorthin gehen und den Kampf meiner Genoss*innen bis zum Ende weiterführen, den Widerstand vergrößern und stärken. Die Gefallenen wollten, dass wir uns ihrer in unserem Kampf erinnern und sie durch unseren Widerstand ehren. Ich sollte für all die gefallenen Freund*innen die Waffe aufnehmen und kämpfen. Ihr werdet es nicht bereuen, wenn ihr mich nach Efrîn schickt. Ich werde mit aller Kraft an der Seite der Freund*innen kämpfen.“