Wien: Filmvorführung „Xwebûn“ in Erinnerung an Sara Dorşîn

In Wien ist in Erinnerung an Sarah Handelmann der Film „Xwebûn“ vorgeführt worden, an dem die Internationalistin 2016 mitwirkte. Auch an weitere internationalistische Gefallene wurde gedacht, zudem gab es eine Diskussion zur Lage in Kurdistan.

In Wien fand gestern eine Vorführung des Films „Xwebûn“ statt, die von rund 50 Leuten besucht wurde. Der Film wurde von Sarah Handelmann* (Sara Dorşîn), Cora Hoffmann und Antonia Kilian im Jahr 2016 in Amed (tr. Diyarbakir) in Nordkurdistan gedreht und porträtiert die kurdische Frauenbewegung zu dieser Zeit. In der Diskussion wurde thematisiert, dass der Titel Xwebûn (Selbstwerden, Selbstsein) vor allem für Kurd:innen, Frauen, LGBTIQ+ und andere unterdrückte Identitäten sehr wichtig ist. Wer seine Identität nicht kennt oder verleugnet, sieht die eigene Unterdrückung gar nicht erst und kann auch nicht dagegen kämpfen. Daher ist der erste Schritt für den Kampf gegen die Unterdrückung diese Selbsterkenntnis, das Selbstwerden.

Jede Gefallene eine Philosophie des Lebens

Nach dem Film wurde der Internationalistin Sara Dorşîn gedacht. In der kurdischen Bewegung wird gesagt, jede Gefallene ist eine Philosophie des Lebens. Sara Dorşîn war es wichtig, Internationalismus neu zu denken und weiterzuentwickeln. Sie kämpfte in Kurdistan für die eigene und die weltweite Befreiung und nicht aus einem orientalistischen Reflex heraus, einem unterdrückten Volk helfen zu wollen. Und weil es deutsche Waffen sind, die in Kurdistan morden. So schrieb sie beispielsweise dazu: „Wir befinden uns im Krieg... Es ist Zeit für einen neuen Internationalismus. (...) Dieser Krieg, den wir den 3. Weltkrieg nennen, ist vor allem ein ideologischer. Wenn wir gewinnen, ist das ein Sieg über eine große Depression. Wenn wir aber scheitern, wird sich eine noch größere Hoffnungslosigkeit über genau diejenigen legen, die jetzt vielleicht interessiert zuschauen, es aber nicht schaffen, aktiv auf der militanten Seite zu kämpfen. Das aber zu kämpfen bedeutet, gar nicht verlieren zu können, dass wir schon gewonnen haben, wenn wir wirklich zu kämpfen beginnen. Dieser Krieg ist unser Krieg, unsere Verantwortung, unsere Entscheidung und unsere Entschlossenheit. Warum also vergessen wir so leicht, dass wir uns im Krieg befinden?“

Gedanken zur Gedenkkultur

Es wurden auch ein paar Gedanken zur Gedenkkultur geteilt, da dies in der linksradikalen und anarchistischen Bewegung oft auf Missverständnisse trifft: „Das Gedenken dient nicht dazu, einen Held:innenmythos zu den Personen zu schaffen und diese zu verklären oder sie über uns zu stellen. Vielmehr soll es denjenigen Menschen Respekt zollen, die ihr Leben im Kampf gegen Unterdrückung und für ein freies Leben verloren haben. Das gilt nicht nur für Menschen, die im bewaffneten Kampf gefallen sind, und auch nicht nur für die Gefallenen in Kurdistan, sondern wir erinnern an die Gefallenen des weltweiten Befreiungskampfes. Wir lassen sie Teil unserer Kämpfe sein, indem wir ihrer gedenken. Gedenken ist dabei auch Widerstand, da das System darauf abzielt, unsere Widerstandskraft zu brechen und die Kämpfe der Vergangenheit unsichtbar zu machen. In der antifaschistischen Bewegung wird zum Beispiel Carlo Guliani gedacht, in der antirassistischen Bewegung Marcus Omofuma, auf den Anti-Feminizid-Demos gedenken wir den Feminizid-Opfern. Dies sind wichtige Momente der Verbundenheit in unseren Bewegungen. Erst wenn wir uns noch mehr unserer Gefallenen der Widerstände auch in Österreich erinnern, auch der noch weiter zurückliegenden, fühlen wir, dass wir Teil eines historischen Widerstandes um Befreiung sind, und dieses Gefühl gibt uns Kraft und Hoffnung, auf diesem Weg weiterzukämpfen."

Andrea Wolf, Uta Schneiderbanger, Ivana Hoffmann…

Im Anschluss daran wurde weiteren internationalistischen Gefallenen gedacht: Andrea Wolf (Ronahî), Uta Schneiderbanger (Nûdem), Ivana Hoffmann (Avaşîn Têkoşîn Güneş), Konstantin G. (Andok Cotkar) und Michael Panser (Bager Nûjiyan/Xelîl Viyan). Beispielsweise wurde an Ivana Hoffmann erinnert, die als Kommunistin in den Reihen der MLKP gemeinsam mit den YPG/YPJ gegen den IS kämpfte und dabei ihr Leben ließ. Es wurde hervorgehoben, dass sie als Schwarze Deutsche und offene Lesbe einer unterdrückten Minderheit in Deutschland angehörte und daher ihr Entschluss, nach Kurdistan zu gehen und dort zu kämpfen, aus einer großen Stärke heraus getroffen wurde, die ein Vorbild ist. Ein Freund, der sie kannte, berichtete, dass sie zwar sehr jung, aber dennoch sehr entschlossen und ein Beispiel dafür war, dass sie sich selbst kritisch reflektierte und das, was sie neu lernte, als Person lebte.

Diskussion zur Lage in Kurdistan

Am Ende entspann sich eine Diskussion um die aktuelle Situation in Kurdistan, wo der Krieg in Nord- und Ostsyrien neben permanenten niedrigschwelligen Angriffen vor allem darauf ausgerichtet ist, die Bevölkerung auszulaugen – durch Wasserknappheit – und ein ökonomischer Krieg geführt wird. In Südkurdistan setzen sich derweil die Angriffe der türkischen Armee fort, die weiterhin Giftgas einsetzt, durch das vor wenigen Tagen erneut zwei Guerillakämpfer:innen gefallen sind, während die Weltöffentlichkeit dieses Kriegsverbrechen ignoriert. Es kam außerdem zu einer Diskussion um den persönlichen Umgang mit Leuten, die verblendet sind von der faschistischen Propaganda, sowie die Hindernisse der Zusammenarbeit unter antisystemischen Kräften wie zum Beispiel Rassismus in der türkischen Linken oder in der weißen Linken und wie diesen begegnet werden kann. Zuletzt wurde begrüßt, dass die Diskussion und diese Zusammenkunft verschiedener Menschen und ihren unterschiedlichen Hintergründen an diesem Abend sehr wertvoll ist und an diesen Begegnungen und Gesprächen in Zukunft für die Kämpfe in Wien angeknüpft werden kann.

*Sarah Almuth Handelmann wurde am 25. November 1985 in Deutschland geboren und wuchs in einem kleinen Dorf in Ostdeutschland auf. Nach der Schule studiere sie drei Jahre Literatur in Tübingen, wo sie linksradikale Ideen kennenlernte und sich der anarchistischen Bewegung zugehörig fühlte. Anschließend studierte sie in Berlin an der Filmhochschule und arbeitete später als Kamerafrau. Die kurdische Bewegung lernte sie bei den Dreharbeiten zu Xwebûn kennen und war von der Widerständigkeit der Frauen und der gesamten Bevölkerung berührt und inspiriert. Als Feministin gab ihr vor allem die starke Organisierung der Frauen auch für eine eigene Perspektive Hoffnung. 2017 ging sie nach Rojava, wo sie nach kurzer Zeit die Entscheidung traf, sich der Frauenguerilla YJA-Star in den Bergen Südkurdistans anzuschließen. Sie nahm den Namen von Sara (Sakine Cansiz) an, um ihren Kampf weiterzuführen. In den Bergen fiel sie am 7. April 2019 gemeinsam mit weiteren Freundinnen durch einen Luftangriff der türkischen Armee.