„Spuren, die nie verwischen"

Erinnerung an Sarah Handelmann (Sara Dorşîn): Zum zweiten Todestag hat eine Freundin und Weggefährtin einen Brief an Sara geschrieben: „Ich schreibe diese Worte in Stein, denn die Fußabdrücke, die du hinterlassen hast, sind Spuren, die nie verwischen ..."

Die Internationalistin Sarah Handelmann ist vor zwei Jahren am 7. April bei einem Luftangriff der türkischen Armee ums Leben gekommen. 2017 hatte sie sich der PKK angeschlossen. Als Mitglied der Frauenguerilla YJA-Star hatte die Revolutionärin aus Deutschland den Namen Sara Dorşîn angenommen. Eine Freundin und Weggefährtin hat in Erinnerung und Gedenken zum zweiten Todestag einen Brief an Sara Dorşîn geschrieben:

Zîlan

Für einen Wert der größer ist als wir,

Für einen Kampf der sich in dir findet, wie du dich in ihm gefunden hast, Zîlan, bist du gegangen.

Mit deinen Beinen, mit deinen Augen mit deiner Hand,

die uns einen Weg gezeigt hat, der nun unauslöschlich ist.

Der nun Teil der Welt ist.

Der Kampf,

die Bedingungslosigkeit,

Zîlan.

Jetzt folgt der Kampf dir,

Jetzt bist du der Wert.

Jetzt werden die, die dir in die Augen gesehen haben,

den Weg vervielfachen.

Wenn die anderen Angst haben,

vor dem Kampf,

der Bedingungslosigkeit,

Zîlan.

Vor dem Weg, der Welt,

Zîlan

Jetzt folgen wir dir,

Zîlan.

Von: Sara Dorşîn in Gedenken an Şehîd Zîlan, 30. Juni 2018

 

Liebe Hevala Sara Dorşîn,

ich schreibe diese Worte in Stein, denn deine Fußabdrücke, die du hinterlassen hast, sind Spuren, die nie verwischen, sondern jeder Tritt, den wir in deinen Fußspuren gehen, schreibt sich noch tiefer in unsere Herzen ein und die Erinnerungen unseres gemeinsamen Kampfes können von keinem Wind weggeweht werden. Dieser Wert, den du uns hinterlassen hast, er bleibt auf ewig klar. Es ist dies der Wert, der uns fühlen lässt, dass es sich lohnt in deinen Fußspuren weiter zu gehen. Du bist Teil dieses Kampfes, du bist Teil der Geschichte, an der wir schreiben, du bist Teil einer Revolution, an der sich weltweit kämpfende Frauen beteiligen – die Geschichte der freien Frau!

In deinen eigenen Worten beschreibst du das Gefühl von Hevaltî wie folgt:

Seit meinem ersten Tag wälze ich das Thema Hevaltî in meinem Kopf hin und her. Langsam kann ich behaupten, dass aus einem theoretischen Verständnis auch eine Praxis gewachsen ist. Wenn wir laufen, hängt mein Blick oft auf den Füßen der Freundin, die vor mir läuft. Es gibt Freundinnen, wenn du genau auf die Stelle trittst, auf die sie ihre Füße gesetzt hat, kannst du nichts falsch machen. Das heißt, dass du im richtigen Rhythmus bist, nicht das Gleichgewicht verlierst, besonders in schwierigen Passagen. Das hat etwas mit Vertrauen zu tun, also dass du dann wirklich, ohne nachzudenken, in den Fußstapfen der anderen läufst.“

Diese Worte aus deinem Tagebuch sind heute veröffentlicht in dem zweiten Band von Widerstand und gelebte Utopien: „Wir wissen was wir wollen… und was wir tun.“ Es ruft Erinnerungen auf, wie wir gemeinsam den ersten Band über die Frauenguerilla und Frauenbefreiung in Kurdistan lasen und wie du dich dann auf den Weg gemacht hast, das Leben, die Natur, die Freundschaft, alles was du als Internationalistin und Feministin so liebtest, von einer ganz neuen Seite kennen zu lernen. Einerseits hatte mit diesem Buch alles angefangen, die Utopien nach einem Leben in Freiheit wieder denkbar und erlebbar werden zu lassen, andererseits gibt es gar kein Ende, denn wir sind alle Teil eines Kontinuums von Widerstandskämpfer*innen, die sich vor und nach uns auf diesen Weg begeben haben, sowie jenen, mit denen wir Seite an Seite kämpfen und für die wir unser Leben einsetzen. Revolutionär*in zu sein ist wohl die schwerste Aufgabe, der wir uns in dieser Zeit stellen können, und dennoch ist es das schönste und wahrste, was du für diese Generation getan hast. Du hast uns wieder an etwas glauben lassen und das schafft Vertrauen, verbindet und gibt Hoffnung.

Du warst furchtlos, bis zuletzt, das spüre ich. Du warst dir deiner Aufgabe bewusst. Hast deine Entscheidung niemals in Frage gestellt. Als Revolutionärin hast du die nötigen Schritte getan, bist deiner Verantwortung gefolgt, hast nicht nach Ausreden, sondern nach Antworten gesucht.

Dir war klar, Freiheit kann es nur für uns alle geben. Dir war klar, nicht nur eine bestimmte Gruppe hat das Recht auf Freiheit von Unterdrückung. Deine Verbundenheit zur Natur, dein Respekt vor dem Leben, dein Sinn für Gerechtigkeit brachten dich zur kurdischen Freiheitsbewegung.

Ich habe dich als suchenden Menschen kennengelernt. Deine innere Unruhe, dein inniges Bedürfnis auf Veränderung, führten dich zu dem tiefen Bewusstsein, die Welt mit all ihren Ecken und Kanten verstehen zu wollen, um Lösungsvorschläge zu entwickeln.

Dafür stelltest du ständig die Frage nach dem „Warum?", Du warst einer dieser Menschen, die sich die Frage stellen: Was habe ICH getan, damit das Leid und das Sterben aufhören? Und was für eine Zukunft geben wir an unsere Kinder weiter?

Dein Wunsch nach Veränderung war wie der Drang einer Knospe zu blühen. Und wie das Bedürfnis einer Raupe, sich zum schönsten Schmetterling zu verpuppen. Getrieben warst du von deinem Gewissen, dem Wunsch einer freien, gleichberechtigten Welt im Einklang mit der Natur. Das Feuer, was in deinen Augen brannte, als du mir von den Werten der Frauenguerilla erzähltest, war genauso unauslöschlich, wie dein Wissensdurst, deinen Horizont zu erweitern und hoch hinaus auf die freien Berggipfel Kurdistans zu steigen, um die Weitsicht, die Langzeitperspektive für Wandel und Veränderung zu vertiefen.

Es ist diese Bedingungslosigkeit, Hevala Sara, die deinen Herzschlag so eng mit der Realität dieses Lebens verbunden hat. In diesem gemeinsamen Rhythmus deines Herzschlages mit dem Ticken der Zeit war dir nichts zu schwer, um dich eben auch mit den Konsequenzen des Freiheitskampfes zu verbinden und dich mit allem dafür notwendigen Wissen zu wappnen.

Du hast die Verantwortung gespürt, gegenüber dem Leben, der Natur, den Menschen und all den Revolutionär*innen, die vor dir diesen Weg eingeschlagen haben. Der Ausdruck in deinen Augen zeigt deutlich, dass du dort angekommen warst, wohin dich deine Sehnsucht immer getrieben hatte. Von jetzt an warst du Teil etwas Größerem. Du hast mit deiner Entschlossenheit gezeigt, was es heißt, wieder an etwas zu glauben, an die eigene Kraft, die Kraft der freien Frau, die zu großen Veränderungen beitragen kann, die stets in Bewegung ist, und überall, wo sie mit anderen in Berührung kommt, neue Samen sät.

Samen der Schönheit des Lebens. Sie sind so voller Energie, dass alle die, die diese Blumen auf deinem Werdegang sprießen und blühen sehen, selbst wieder an die Kraft der freien Frau glauben werden.

Auf der Suche nach neuen Wegen ist Veränderung unumgänglich. Abschied gehört dazu und hat immer auch einen traurigen Beigeschmack, obwohl er uns lehrt, dass immer auch ein Stück von uns mit unseren Freund*innen mitgeht, sie dich in ihrem Herzen und in ihrem Kampf bei sich tragen und auch wir sie überall mithin begleiten, weil wir uns mit ihnen verbunden und verbündet haben.

Von jetzt an wirst du uns mit deiner Kraft überall hin begleiten. Es wird keinen Abschied mehr zwischen uns geben, weil du ständig bei uns bist. Wir tragen dich da hin, wohin du uns getragen hast und streuen deine Ideen dort, wo du sie mühevoll gezogen hast. Deine Philosophie, deine Gedanken und deine Liebe steckt in all unseren Taten, weil wir eins werden im Kampf um Freiheit. So bist du für viele ein Vorbild geworden!

Für jene, die für immer fort sind und die wir immer im Herzen behalten: ihr seid eine revolutionäre Philosophie des Lebens – die Quelle unerschöpflicher Inspiration! Der Schmerz über euren Tod sitzt tief. Wie ein Spiegel, der in Stücke zerschlagen wird, ist unser Herz gesprungen – in viele kleine Erinnerungssplitter, auf deren Suche wir uns begeben, um den noch so kleinen Splitter, der einen Teil eurer verschiedenen Farben im Lichte widerspiegelt, wieder zu finden und sie weiter zu erzählen.

Einen Weg zu gehen, den vorher andere geebnet haben, vermittelt ein Gefühl der Sicherheit“
Rebêr Apo