Am 9. Januar 2013 wurden Sakine Cansız (Sara), Leyla Şaylemez (Ronahî) und Fidan Doğan (Rojbîn) in Paris vom türkischen Geheimdienst MIT ermordet. Auch elf Jahre danach hat sich nichts im Sinne einer Aufklärung getan. Stattdessen liegen die Akten im Geheimen. Nicht nur das, am 23. Dezember 2022 wurden erneut drei kurdische Aktivist:innen in Paris ermordet. Wieder befand sich die kurdische Frauenbewegung mit ihrer führenden Vertreterin Emine Kara (Evîn Goyî) im Visier. Anlässlich dieser Morde findet auch in diesem Jahr am 6. Januar ein europaweiter Protest in Paris statt. Die Kurdische Frauenbewegung in Europa (TJK-E) erklärt: „Wir lassen nun das erste Viertel des 21. Jahrhunderts hinter uns. Das kapitalistische System, dessen Wurzeln im Patriarchat liegen, versuchen die Zukunft und die Hoffnung der Menschheit durch Femizide, die Zerstörung der Natur, der Gesellschaft sowie durch nationalistische und religiöse Kriege zu verdunkeln. Diese Zeit erinnert uns aber auch an die Wahrheit derjenigen, die sich gegen diese Realität wehren.
Die Geschichte lehrt uns, so entschlossen und widerstandsfähig zu sein wie Sara, die angesichts der Folterungen, denen sie in den Kerkern von Diyarbakır ausgesetzt war, sagte: ‚Ich schämte mich sogar zu stöhnen‘ und wie sie zu sagen ‚Ich bin in diesen Kampf verliebt‘. Wir lernen aus dem Geist der Zeit die Wahrheit, mit der uns Sakine Cansız und ihre Genossinnen Fidan Doğan und Leyla Şaylemez den Weg erleuchten. Die Zeit lehrt uns, uns zu erinnern und nicht zu verzeihen. Die Geschichte ruft die Frauen auf, es im 21. Jahrhundert als überlebensnotwendig zu erkennen, den Weg der Frauenrevolution zu beschreiten und zu kämpfen.
Deshalb werden wir nicht aufgeben, nach Gerechtigkeit zu suchen, und noch mehr, wir werden nicht aufhören, sie mit unseren eigenen Händen zu verwirklichen“, erklärte die TJK-E und fuhr fort: „Als kurdische Frauen werden wir nicht aufhören, wie Sara, die jeden Moment als Revolution betrachtete, weitere Wegsteine auf dem Weg zur Frauenrevolution zu legen.
Auch wenn unsere Stimme, mit der wir auf den Straßen, Plätzen, Wegen und vor den staatlichen Einrichtungen Gerechtigkeit fordern, um die schmutzigen Allianzen und das Schweigen der Hegemonialmächte zu brechen, auf taube Ohren stoßen und auf uns zurückprallen, wird man uns mit Massakern nicht von unserem Weg abbringen. Wir haben nicht vergessen und nicht verziehen, dass diese Institutionen in den letzten elf Jahren zugesehen haben, wie wir massakriert wurden. Wir haben die niederträchtigen Bündnisse, die Feinde der Frauenrevolution, mit der Zeit genau kennen gelernt.
Obwohl die Ermordung der drei kurdischen Frauen durch den MIT durch Dokumente, Tonaufnahmen und persönliche Verbindungen nachgewiesen wurde, haben die Institutionen angesichts der Bemühungen der französischen Behörden, die Akte zu schließen, geschwiegen. Auch nach dem zweiten Antrag der Familien der drei Ermordeten im Jahr 2018 wurde der Antrag auf ‚Aufhebung der Geheimhaltungsanordnung‘ aus dem Jahr 2020 noch immer nicht beantwortet.
Die Behörden hatten trotz unserer Warnung vor neuen Attentatsplänen gegen kurdische Institutionen und Vertreter:innen keinen Finger gerührt. Sie haben unsere Bemühungen um die Aufdeckung von Wahrheit und Gerechtigkeit ignoriert. So haben sie auch das Drehbuch für die Ermordung von Evîn Goyî, einer Vorreiterin der kurdischen Frauenbewegung, und von Mîr Perwer und Abdurrahman Kızıl am 23. Dezember 2022 geschrieben.
„Der Widerstand von Sara ist eine Inspiration für alle Frauen“
Während eines Besuchs einer Delegation auf Imrali am 23. Februar 2013 hat Rêber Apo [Abdullah Öcalan] gesagt, ob die Schüsse nun ihn oder Sakine getroffen hätten, das Ziel sei dasselbe. Seine Aussage ‚Sakines Kampf ist die Befreiung der Frau‘ war der einfachste Ausdruck für die Parallele zwischen der Dialektik von Imrali und Paris und der Führungsrolle von Sakine im Kampf der kurdischen Frauen. Diese Dialektik hat in den elf Jahren unserer geduldigen Suche nach Gerechtigkeit und dem Schweigen der Hegemonialmächte immer gewirkt. Weder durch die absolute Isolation von Rêber Apo noch durch die Ermordung von Sakine und später weiterer Vorreiterinnen der kurdischen Frauen konnte etwas erreicht werden. So wie man den Widerstand des kurdischen Volkes durch die 25-jährige Isolation von Rêber Apo auf Imrali brechen wollte und scheiterte, so konnte man uns durch die Ermordung der drei kurdischen Frauen nicht von unserem Weg in die Freiheit abhalten. So wie das Paradigma von Rêber Apo sich von Indien bis Mexiko, von Kenia bis Australien ausbreitet, so inspiriert der Freiheitsmarsch der kurdischen Frauen jede Frau, die sich dem Patriarchat widersetzt. Die Wahrheit, die durch die Morde an Sakine und ihren Gefährtinnen vernichtet werden sollte, ist lebendig. Sie lebt in den Rufen der Kämpferinnen, die den IS in Rojava in Angst und Schrecken versetzen, in dem Feuer, das die Frauen entzünden, wenn sie sich in Ostkurdistan das Tuch vom Kopf reißen, in den Parolen tausender Frauen, die man in Bakur in den Kerker warf, im Mut der kurdischen Guerillakämpferinnen, die zu ihrem Wort stehen. Saras Widerstand inspiriert heute weltweit soziale Bewegungen und Frauen, die das Land, das Wasser, ihre Überzeugungen und die Kultur schützen.
„Wo ist die Gerechtigkeit?“
Wir sagen den Herrschenden, dass wir uns unseren Zorn weder von ihren leeren Versprechungen besänftigen ließen, noch uns von ihren leeren Versprechungen, dass sie unseren Schmerz teilten, täuschen ließen. Wir lassen uns nicht von unserer Suche nach Gerechtigkeit abbringen. Die Stimme Saras, die nach Freiheit ruft, wird nicht verstummen. Wir sind gestärkt aus diesem Schmerz, zu dem man uns durch die Ermordung dieser drei Frauen verurteilen wollte, hervorgegangen.
Wir sagen den Herrschenden, dass die Massaker und Verschwörungen, die sie persönlich von Imralı bis Paris geplant oder keinen Finger gerührt haben, als sie begangen wurden, und anschließend alles getan haben, sie zu vertuschen: Auch dadurch werdet ihr den Widerstand des kurdischen Volkes nicht brechen und das Fortschreiten der Frauenrevolution nicht aufhalten können. Unsere Wut und Entschlossenheit liegt auf der Waage der Gerechtigkeit. Nach elf Jahren der Dunkelheit werden wir Paris und der Welt das Licht bringen.
Wie schon elf Jahre zuvor werden wir, gemeinsam mit allen anderen Kurd:innen in Europa, nach Paris strömen. Und wir werden fragen: Von 2013 bis 2024 lag das Massaker von Paris im Dunkeln, wo bleibt die Gerechtigkeit? Wir sind davon überzeugt, dass unser Volk unserer Stimme Kraft verleihen und den Mördern und denjenigen, die sie mit ihrem Schweigen unterstützen, die notwendige Antwort geben wird.“